Über die Herausforderungen der Bedarfsorientierten Forschungsplanung
Es gibt eine überraschende Parallele, die meine Großeltern in der sauerländischen Provinz mit Microsoft Word verbindet: Beide verstehen die Beschreibung meines Arbeitsplatzes offensichtlich nicht. Doch während meine Großeltern ihr Unverständnis mit derselben Gelassenheit hinnehmen, mit der sie schon meine Nintendos, Handys und Smartphones hingenommen haben, quält und sträubt Word sich bei jedem Kontakt mit den neun Silben, als würde ich meinem Großvater sagen, dass sein Auto ihn bald fahren könnte, während der Kühlschrank die Einkäufe regelt. Dabei ist es gar nicht so schwer: Ich arbeite im Kompetenzfeld Need-Oriented Research Planning im Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO. Da wird Word regelmäßig Rot und Grün. Die deutsche Variante meines Arbeitsplatzes klingt für meine Großeltern ähnlich spanisch, löst bei Word aber immerhin keine Anzeichen von Ärger oder Übelkeit aus: Bedarfsorientierte Forschungsplanung. Das liegt übrigens keineswegs daran, dass Word auch nur das geringste Verständnis von den Inhalten und Zielen unserer Arbeit hat, sondern daran, dass es die Worte und Kombinationsmöglichkeiten der deutschen Sprache kennt: Bedarf, Orientierung, Forschung und Planung sind für Word eindeutig deutsche Worte, die mit oder ohne Fugenelemente kombiniert werden können. Bedarf – s – orientierte – Forschung – s – Planung, macht für Word genau so viel Sinn wie Forschungsorientierte Bedarfsplanung, Orientierungsforschende Planungsbedarfe oder auch Orientierungsbedürfende Planungsforscher.

Genau hier sind meine Großeltern im Vorteil, denn in seine Einzelteile zerlegt passt das, was ich tue, wieder in ihren Wortschatz: Erstens geht um Bedarfe, an denen man sich orientieren sollte. Da widersprechen meine Großeltern nicht: Wenn jemand was braucht, sollte er oder sie es wenn möglich auch bekommen. Zweitens geht es um Forschung, die geplant werden muss. Das ist schwieriger – liegt doch die Vermutung nahe, dass in den hiesigen Elfenbeintürmen einfach auch viel vor sich hin geforscht wird – aber auch das könnte ich glaubhaft vermitteln. Zusammengefügt werden dann Konturen deutlich: Forschung muss geplant werden und soll sich an Bedarfen orientieren. Forschung soll im besten Fall so geplant werden, dass sie Bedarfen entspricht. Und damit ist die Enkelin also zugange!

Es bleibt die Frage: Wessen Bedarfe eigentlich? Und hier schließt sich der Kreis! Ich sehe mich schon auf der nächsten Familienfeier die Pointe präsentieren: Unter anderem eure Bedarfe, liebe Großeltern! Denn was aus der Forschung an Erkenntnissen und Technologien hervorgeht, muss von der Gesellschaft erst mal akzeptiert werden. Sonst steht da auf einmal ein Kühlschrank im Schaufenster, der selber kauft, aber nicht gekauft wird. Oder es fallen säckeweise genmanipulierter Reis um, die niemanden interessieren. Und damit das nicht passiert, versucht das Kompetenzfeld »Bedarfsorientierte Forschungsplanung« schon früh die Bedarfe von Menschen einzubeziehen, die nicht selbst in der Wissenschaft tätig sind. Menschen wie meine Großeltern, die besondere Bedarfe an neue Gesundheitstechnologien haben. Aber auch Menschen, die bisher bei der Entwicklung von Technologien gar nicht mitgedacht wurden. All diese Bedarfe sind wichtig, wenn es um die Forschungsplanung geht und daran, sie schon möglichst früh einzubeziehen und mit Expertinnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu diskutieren, daran arbeiten wir.

Am meisten aber freue ich mich nach diesem glanzvollen Auftritt auf die Re-Interpretation meiner Erklärung beim folgenden Familienfest: Na, arbeitest Du immer noch als orientierungsbedürftige Planforscherin und verteidigst uns vor kaufsüchtigen Kühlschränken?

Marie Lena Heidingsfelder

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO. Marie forscht in Berlin, wo und wie die bedarfsorientierte Forschungsplanung auf Diversity und Design trifft und promoviert an der Universität der Künste. In ihrer Freizeit läuft sie lange Strecken im Kreis.

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