Die Schwabschule in Stuttgart West ist einer der interessantesten Orte in Stuttgart: Die Grundschule ist umgeben von 12 Fahrspuren, 12 Ampeln, zwei U-Bahngleisen und unzähligen Verkehrsschildern. Die Kinder als Experten der Räume und Wege rund um die Schwabschule absolvieren hochgerechnet 115 000 Schulwegstrecken pro Jahr und kennen sich wirklich aus. Und Ende des Jahres 2015 sind jetzt 267 Flüchtlinge als Nachbarn in die verwaiste Friedensschule, eine ehemalige Hauptschule Mauer an Mauer mit der Schwabschule, eingezogen. Die Umgebung ist also wie geschaffen für ein »Reallabor« als Lern- und Forschungsstätte. In diesem zweiteiligen Beitrag erzähle ich, was die »Kinderstadtteilforschung«, eine Projektreihe von Caritasverband für Stuttgart e.V., Fraunhofer IAO und vor allem Kindern des Schülerhauses der Schwabschule in Stuttgart-West, im Jahr 2015 unternommen hat und denke gleichzeitig nach über die Forschung mit Kindern (statt über Kinder).

Aktion 1: Spielplatztest – Nutzwert und Physik

Im Februar 2015 standen Spielplätze auf der Forschungsagenda, d.h. die Frage, wie die Plätze, die Erwachsene für Kinder vorgesehen haben, genutzt werden können und wie sie funktionieren. Die Kinder vom Schülerhaus Schwabschule kennen den Spielplatz beim ABI-West und den Spielplatz auf der Elisabethenanlage am besten, deshalb wurden diese beiden miteinander empirisch verglichen. Der Spielplatztest ergab, dass die Kinder beide Spielplätze mögen, der Spielplatz auf der Elisabethenanlage aber etwas beliebter ist. Die Kinder lobten besonders, man könne auf diesem Spielplatz sehr gut mit anderen Kindern spielen und er biete auch viele Phantasie- und Abenteuerspielmöglichkeiten. Kritisch beurteilt wurden lediglich die großen scharfkantigen Steine dort. Die Anwesenheit von sogenannten »besoffenen Menschen« haben die Kinder weiterhin bemängelt.

Weil Spielplätze so viel Spaß bereiten, haben die Forscher dort in einem weiteren Schritt die naturwissenschaftlichen Gesetze besprochen und ausprobiert. Die Schaukel hat sich dabei als physikalisches Pendel mit Schwerpunktverlagerung als Antrieb erwiesen. Die Kinder testeten, ob das Schaukeln bei kurzen Seilen oder mit leichten und schweren Personen besser, schlechter oder einfach nur anders funktioniert. Auf der Rutsche zeigte das Experiment, dass es mit einer Filzdecke als Unterlage am besten klappt, mit einer Gummimatte als Unterlage nur sehr schwer. Mit physikalischer Reibung konnten die Forscherinnen und Forscher den Unterschied erklären. Auf dem Karussell haben die Kinderforscher die Rotation, das Drehmoment und die Fliehkraft besprochen und ausprobiert.

Forscher mit Leib und Seele

Résumé: Kinder forschen »mit Leib und Seele«, wenn sie sich für etwas interessieren, auch und gerade bei Themen wie MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), mit denen manche Erwachsene so ihre Berührungsängste haben.

Kinderstadtteilforscherinnen im Praxistest... © Projekt Kinderstadtteilforschung
... und das Ergebnis des Spielplatztests © Projekt Kinderstadtteilforschung

Aktion 2: Kleine Architekturkunde in Stuttgart

Da Kinderstadtteilforscher auch immer daran interessiert sind, was andere Stadtforscher in Stuttgart treiben, wagten sie im Juni 2015 einen Blick über den Tellerrand der Stadtteilgrenze und ein besuchten das Stadtlabor der Landeshauptstadt Stuttgart. Als Thema für den Besuch wurden »Türme« ausgewählt und die Kinderforscher beschäftigten sich mit deren Statik, Ästhetik und Funktion.

Zuerst erfolgte ein Briefing der Museumspädagogin. In einer Präsentation und Demonstration erfuhren die Kinder, was Türme ausmacht: Sie sind immer in der Höhe höher als in der Breite breit. Es gibt Leuchttürme, Kirchtürme, Fernsehtürme, Wassertürme und vieles mehr. Anschließend bestieg die Kinderforschergruppe den Turm des Hauptbahnhofs und studierte von dort aus mit Hilfe eines Fragenkatalogs ganz genau die Türme, die man in der Innenstadt und auf den Höhen von Stuttgart sehen kann.

Zurück im Stadtlabor hat sich jedes Kind selbst einen kleinen bis riesigen Turm gebastelt, den es dann auch mit nach Hause nehmen durfte, was die SSB-Buslinie 42 vor gewisse logistische Herausforderungen stellte, die aber gemeinsam gelöst werden konnten.

Turmmodelle...die zum Teil größer sind... © Projekt Kinderstadtteilforschung
... als ein Forscher...... selbst © Projekt Kinderstadtteilforschung

Aktion 3: Kinderkreativwettbewerb zum Bismarckplatz

Stuttgart 28, die Neugestaltung des Bismarckplatzes, ist ein großes Beteiligungsprojekt direkt vor der Haustür der Schwabschule. Über einen Kreativwettbewerb wurden Kinder zur Meinungsäußerung aufgefordert. Auch unsere Stadtforscher haben sich beteiligt, gemeinsam besuchten sie den Platz und besprachen die Situation vor Ort. Anschließend konnte jedes Kind seine Anliegen darstellen und sie als Texte oder Bilder direkt in ein Foto des Platzes kleben, sodass eine Collage entstand.

Die Positionen der Kinder lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Kinder wollen keinen weiteren Spielplatz, sondern eher einen ergänzenden Ruhe- und Naturraum. Es solle dort keine Hundekacke geben. Bäume, Blumen und Insekten hingegen sind willkommen. Ein Springbrunnen und Beete für Erdbeeren oder Haferflocken wurde weiterhin angeregt, ebenso eine raucherfreie Zone. Kinder sehen klar, dass der Bismarckplatz nicht ein Platz ist, sondern dass es zwei Plätze gibt, die durch die Schwabstraße getrennt werden, mit einer massiven Überquerungsproblematik. Zitat: »Wir brauchen eine Brücke o.ä. um über Autos zu laufen.« In der Bürgerbeteiligungsveranstaltung der Erwachsenen wurde dies unter dem harten, aber nicht unpassenden Begriff »Survival of the Fittest« diskutiert.

Ein Entwurf eines Kinderstädteplaners... © Projekt Kinderstadtteilforschung
... und hier ein anderer © Projekt Kinderstadtteilforschung

In der letzten Aktion wurde von den Kinderstadtteilforschern »der Jordan überschritten«, weg von reinem Beobachten und Analysieren hin zum Sich-Beteiligen und Rückmeldung geben. Auch wenn heiße Eisen wie kritische Verkehrsprobleme und die demokratische Nutzung des öffentlichen Raums betroffen sind. Insofern konnte es nicht gut gehen, wenn Stadt und Polizei dauerhaft zwei digitale Geschwindigkeitsanzeigetafeln für Autofahrer vor der Schwabschule anbrachten und keine Reaktion der Kinderstadtteilforscher erwartet hätten. Doch dazu mehr in Teil 2.

Danksagung

Danke an alle Forscherkinder fürs Mitmachen. Danke an Martina Joos (Projektleiterin) und Dragana Wetzstein (Hausleitung) und alle anderen beteiligten Sozialpädagogen vom Caritasverband für Stuttgart e.V. für die hervorragende Projektierung. Danke an meinen Arbeitgeber Fraunhofer IAO für die Unterstützung. Sowie danke an alle Bürgerinnen und Bürger, Organisationen und Verwaltungen, mit denen wir bislang in Interaktion getreten sind.

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