Smarte TV-Geräte, Spielekonsolen mit Virtual Reality-Technologie, Smart Watches, Fitness Tracker… Die Weihnachtsprospekte sind derzeit gespickt mit neuen, vernetzten Produkten. Sie eröffnen uns ganz neue Interaktionsmöglichkeiten mit unserer Umwelt. Mithilfe einer Smart Watch erfahre ich zum Beispiel mehr über meine eigene Fitness, kann mich aber gleichzeitig einer Community anschließen und mich so mit anderen vernetzen. Klar ist: Das Internet der Dinge (englisch: Internet of Things, kurz: IoT) bietet ein riesiges Ideen- und Entwicklungspotenzial. Viele kleine und große Unternehmen tüfteln daher momentan an neuen, einzigartigen Produkten und Kundenerlebnissen. Doch grade angesichts dieses enormen Gestaltungsrahmens gilt es, systematisch vorzugehen und zuerst ein paar Fragen zu beantworten: Wie sehen intelligente, vernetzte Services der Zukunft aus? Welche Daten benötige ich, um meine Produkte intelligenter zu gestalten? Und wie muss ich mich organisieren, um innovativ, kreativ und am Puls der Zeit zu arbeiten?

Antworten auf diese Fragen will ich hier kurz unter sechs aus meiner Sicht erfolgsentscheidenden Aspekten beleuchten:

1. Statt »groß frisst klein« gilt »schnell toppt langsam«

Die Disruptoren von morgen erfinden das Rad nicht neu. Aber sie haben raffinierte Ideen für neue Produkte und Lösungen, die Nutzer begeistern. Zum Beispiel die Mobilitäts-App des Daimler-Tochterunternehmen Moovel: Hier werden öffentliche Verkehrsmittel, Taxi und Sharing-Optionen einfach und direkt gebucht und bezahlt. So können auch Anreizsysteme mit gesellschaftlichem Mehrwert geschaffen werden: Während des Feinstaubalarms in Stuttgart kann man VVS-Einzeltickets über die Moovel-App zum halben Preis erwerben.

Mit geringem Ressourcenaufwand und in rasanter Entwicklungszeit konkurrieren Start-ups mit oft behäbigen Großunternehmen. Basis für die Entwicklungen sind Plattformen und APIs (Application Programming Interfaces), die Systeme offen und einfach nutzbar machen. Die Plattformen lösen dabei Grundfunktionen wie Verschlüsselung, Datenspeicherung und Data Analytics. APIs erlauben den Entwicklern mittels Programmierschnittstellen den Zugriff auf die Plattform. Aber auch Anwendungen selbst können Schnittstellen besitzen und von anderen Anwendungen als Plattform genutzt werden – meiner Meinung nach ein ganz neuer und spannender Spielraum für Innovation.

2. Show-Stopper Cybersicherheit

Im Allianz Risk Barometer werden jährlich die Top-Unternehmensrisiken identifiziert. In der aktuellen Untersuchung für 2016 landen dabei Cybervorfälle mit einem Anstieg von 28 Prozent auf Platz 3. Auch das Internet der Dinge ist für diesen massiven Anstieg von Cybervorfällen verantwortlich. Denn aufgrund der Vernetzung kann schon ein simpler technischer Fehler in einer großen Systemunterbrechung münden und so großen Schaden anrichten. Zu den heute unbestrittenen Werkzeugen im globalen Datenschutz-Instrumentenkasten gehört das übergreifende Konzept »Privacy by Design«, das auch die in 2018 in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung prägt. Datenschutz ist hier ein inhärenter Bestandteil des Entwicklungs- und Herstellungsprozesses. Im »Security Engineering« werden Bedrohungs-, Risiko- und Auswirkungsfaktoren abgefragt und Assets, Threats und Risiken identifiziert. Demnach lässt sich die Risikowahrscheinlichkeit messen. Und je nach Risikokategorie lassen sich geeignete Gegenmaßnahmen entwickeln. In der Betriebsphase selbst sollte man auf »Security Operations« setzen, um Bedrohungen früh zu erkennen und zu beseitigen.

3. Fehlende Standards oder der Turmbau zu Babel

Im Frühjahr 2016 wurden mehr als 500 IoT-Entwickler im Rahmen der »IoT Developer Study« zur Umsetzung von IoT-Lösungen befragt. Eine Erkenntnis aus der Studie war, dass neben fehlender Sicherheit die Aspekte Interoperabilität und Konnektivität am meisten Sorgen bereiten. Wenn jeder Hersteller seine eigenen Insellösungen baut, leidet am Ende der Nutzer darunter, da sich Geräte verschiedener Marken nicht miteinander verbinden lassen. Hier sind Branchenstandards und Kooperation gefragt, die die Interoperabilität zwischen Systemen, Komponenten und Sensoren unterstützen.

4. Hardware Over-Engineering – Vorbereitung für zukünftige Softwarefeatures?

Bei Tesla sind alle Autos mit einer einzigartigen Hardware ausgestattet, die ein komplett autonomes Fahren ermöglicht. Das Hightech-Paket beinhaltet acht Kameras für eine 360-Grad-Sicht, 12 Ultraschall- und Radar-Sensoren mit höherer Reichweite und Auflösung sowie eine um den Faktor 40 erhöhte Rechenleistung des Bordcomputers. Bis Ende kommenden Jahres will Tesla damit eine Fahrt von Los Angeles nach New York möglich machen, ohne dass der Fahrer auch nur einen Handgriff macht. Alle auf den Straßen fahrenden Teslas liefern permanent Daten und damit die Möglichkeit, die Funktionen zum autonomen Fahren weiterzuentwickeln. Ist der benötigte Reifegrad erreicht, werden sie zusammen mit einem ganzen Set neuer Anwendungen »over-the-air«, also via Internet, freigeschalten. Diese neuartige Entwicklungs- und Aktivierungsmethode bringt Tesla einen entscheidenden Marktvorteil gegenüber klassischen Fahrzeugherstellern und bietet gleichzeitig maximale Flexibilität für zukünftige Entwicklungen.

5. Blick über den großen Teich lohnt

Insgesamt 3,44 Mrd. US-Dollar wurden 2015 bereits als Venture Capital in IoT-Start-ups in den USA investiert. Speziell große öffentliche Hightech- sowie Telekommunikationsunternehmen wie Intel Capital, GE Ventures und Cisco Investments mischen hier kräftig mit und fördern die Entstehung innovativer Unternehmen für vernetzte Produkte. Der Markt für Konsumentenanwendungen wie Wearables, Fitness und Home Automatisierung ist bereits gut ausgeschöpft, Anwendungen im Unternehmens- bzw. Industrieumfeld werden aktuell attraktiver. Die Förderung in Deutschland und Europa stecken dagegen noch in den Kinderschuhen. Das EU-Rahmenprogramm Horizon 2020 zum Beispiel sieht zwischen 2016 und 2017 EU-weit eine vergleichsweise kleine Fördersumme von 104 Millionen Euro in IoT-Technologien vor. Hier ist meines Erachtens noch viel Spielraum nach oben.

6. Viele Wege führen nach Rom

Die Suche nach der digitalen Strategie für Unternehmen geht weiter und somit auch die Suche nach dem geeigneten Weg, Innovationen voranzutreiben. Im 2. Esslinger Forum über das Internet der Dinge, das von der Hochschule Esslingen und dem Anwendungszentrum KEIM des Fraunhofer IAO veranstaltet wurde, sind verschiedene Modelle gegenübergestellt worden. So entwickelte die ZF Friedrichshafen AG mit der ZF-Denkfabrik und Malgorzata Wiklinska an der Spitze ganz erfolgreich ein eigenes Start-up im Unternehmen. Und auch VW will – zumindest ein bisschen – Start-up sein. In Berlin richtet sich der Automobilhersteller derzeit ein neues Digital-Lab ein. Einen etwas anderen Weg geht Telefónica Deutschland mit dem Accelerator Programm Wayra. Das Unternehmen hilft den besten Entrepreneuren zu wachsen und erfolgreiche Geschäfte aufzubauen und bindet damit diese Unternehmen eng an sich. IBM hat sich explizit für die deutsche Wirtschaft ausgesprochen und tätigt derzeit mit dem Watson IoT-Hauptquartier in München die größte firmeneigene Investition seit mehr als 20 Jahren. Rund 1000 Entwickler, Berater, Forscher und Designer sollen dort gemeinsam mit Kunden an einer neuen Generation vernetzter Lösungen arbeiten.

Eine Kooperation zwischen Industrie und Forschung bietet das Fraunhofer IAO mit dem IoT-Innovationsnetzwerk »Smarte Produkte im Internet der Dinge« an. Mitglieder erhalten relevante Informationen zu technologischen und marktorientierten Trends der Digitalisierung im Kontext von vernetzten Produkten und Smart Services. Gemeinsam werden zukunftsorientierte Lösungs- und Handlungsoptionen entwickelt, Anwendungsfelder und Best-Practice-Lösungen analysiert und Umsetzungsmöglichkeiten aufgezeigt. Startschuss ist am 28. März 2017.

Für welchen Weg sich ein Unternehmen in der Entwicklung von IoT-Anwendung auch entscheiden mag: Das Rennen um die besten Lösungen hat gerade erst begonnen und Abwarten ist sicherlich keine Option mehr.

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Gabriele Scheffler

Gabriele Scheffler ist Diplom-Ingenieurin und stellvertretende Leiterin des Anwendungszentrums KEIM in Esslingen. Mit viel Herzblut erforscht sie Elektromobilität in allen ihren Facetten und forscht intensiv an den Vernetzungsmöglichkeiten von Produkten und Smart Services.

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