Innovationen sind Wirklichkeit gewordene Ideen. Wie aber kann man die Ideen derjenigen Menschen in Innovationen verwandeln, die nicht leicht erreicht werden können und die sich meist nicht freiwillig melden? Wenn man sich das zum Ziel setzt, werden Einbeziehung und Co-Creation kompliziert. Das haben wir in einem Projekt deutlich gespürt, in dem wir gemeinsam mit Geflüchteten neue Lösungen für deren Gesundheitsversorgung erarbeitet haben.

Schritt für Schritt zu nachhaltigen Innovationen

Wenn wir vom Center for Responsible Research and Innovation am Fraunhofer IAO Innovationsprozesse entwickeln, dann machen wir das bedarfsorientiert. Also gehen wir zu Menschen oder laden sie zu uns ein. Genauso sind wir beim Thema »Gesundheitsversorgung für Geflüchtete« auch vorgegangen: Wir haben die Geflüchteten schon sehr früh in den Prozess einbezogen, um von Beginn an ihre Bedarfe und Wünsche im Blick zu haben. In allen Prozessschritten haben wir auf designbasierte Methoden und Tools zurückgegriffen, um zum Beispiel die Geflüchteten bei der Formulierung ihrer Wünsche zu unterstützen und zu wertvolleren Ergebnissen zu gelangen.

Open-Kick-Off –Stakeholder frühzeitig einbinden und vernetzen

Zu Beginn haben wir zu einer zweistündigen Open-Kick-Off-Veranstaltung eingeladen. Mit dabei waren Geflüchtete, Sozialarbeiter/-innen, Mediziner/-innen, Engagierte aus der Flüchtlingshilfe und Vertreter/-innen staatlicher und privater Angebote. Gemeinsam haben wir die relevanten Themenbereiche abgesteckt, die wir im weiteren Projektverlauf bearbeiten wollten: neben Problemen, die das deutsche Asylrecht mit sich bringt, ging es hauptsächlich um die mangelnde psychosoziale Betreuung.

Für uns hatte die Veranstaltung zwei Vorteile: Zum einen konnten wir unsere weiteren Schritte nach den relevanten Themenbereiche ausrichten, zum anderen haben wir so ein Netzwerk aufgebaut, welches für die Umsetzung ganz wichtig ist.

Workshops mit Geflüchteten –Bedarfsabfrage über Sprachgrenzen hinweg

Um die Lebenswelt und die Probleme der Geflüchteten in Bezug auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland kennenzulernen, haben wir sprachhomogene Workshops auf Arabisch und Persisch in drei unterschiedlichen Flüchtlingsunterkünften und in zwei Schulen mit insgesamt rund 55 Geflüchteten durchgeführt. Dabei mussten wir neben organisatorischen und sprachlichen auch kulturelle Hürden nehmen. Zum Beispiel mussten die Workshops geschlechtergetrennt durchgeführt werden und die Gruppengrößen variierten stark – auch während der zweistündigen Workshops. Neben Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem interessierten uns vor allem die Wünsche und Bedürfnisse an die medizinische Versorgung in Deutschland. Dabei geholfen haben uns visuell gestützte Methoden, denn so konnten sich die Teilnehmenden über die Grenzen ihrer Sprache hinaus ausdrücken.

Natürlich waren die sprachlichen Barrieren ein großes Thema. Es stellte sich beispielsweise heraus, dass der Informationsfluss über Gesundheitsleistungen oft an Flüsterpost erinnert. Daneben waren auch hier die psychosoziale Versorgung und Lebensverhältnisse in den Unterkünften die dominierenden Themen. Spannend für uns war die Erkenntnis, dass viele Missverständnisse entstehen, weil es den Geflüchteten an Systemwissen fehlt, über das alle Deutschen verfügen. Daher werden spezifische Abläufe und Besonderheiten oft nicht explizit erklärt. Das Verhältnis von Allgemeinärzten zu Fachärzten ist ein Beispiel dafür, denn Überweisungen und lange Wartezeiten kennt man, wenn man sich schon lange im deutschen System bewegt. Ist man damit nicht vertraut, kommt es schnell zu Missverständnissen.

Ideationworkshop mit Stakeholdern

Aufbauend auf den Ergebnissen der Bedarfsworkshops haben wir einen Ideenworkshop konzipiert: 30 Teilnehmende arbeiteten zwei Tage lang an Lösungen ganz konkreter Probleme in der Gesundheitsversorgung von Geflüchteten. Eingeladen waren Geflüchtete und Stakeholder aus allen relevanten Bereichen, wie Mediziner/-innen, Sozialarbeiter/-innen oder Mitarbeiter/-innen aus der Verwaltung. Dabei wurden sie durch uns mit designbasierten Methoden angeleitet und in ihrer Kreativität unterstützt. Am zweiten Tag prämierte eine Jury, besetzt mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin, der Friedrich-Ebert-Stiftung, Factory Works GmbH und dem Deutscher Caritasverband e.V. die vielversprechendsten Ideen. Darunter waren ein On-demand-Dolmetscherservice mit integrierter Informationsüberprüfung und eine Edutainment-Youtube-Serie für Geflüchtete von Geflüchteten, die über kulturelle Besonderheiten aufklärt und gleichzeitig Spaß macht.

Unsere »Lessons learned: Wie gelingt Co-Creation mit Gruppen, die schwer zu erreichen sind?

  1. 1.Einbezug der betreffenden Gruppe – Die Formate müssen auf die Gruppe und ihre Bedürfnisse und Lebenswirklichkeit angepasst werden. Geeignet sind kurze Workshops mit Mitgliedern der Gruppe vor Ort, um einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen.
  2. 2.Öffnung für Stakeholder – Nicht nur die Zielgruppe selbst muss nach ihren Bedarfen gefragt werden. Auch andere Beteiligte, wie in unserem Fall Sozialarbeiter/-innen oder medizinisches Personal, sollten die Möglichkeit haben, an den Lösungen mitzuwirken und ihre Sichtweise einzubringen.
  3. 3.Kontinuierlicher Netzwerkaufbau – Damit aus den Ideen Innovationen werden, die ihre Wirkung entfalten können, müssen früh diejenigen Stakeholder einbezogen werden, welche die für die Umsetzung relevanten Ressourcen und Zugänge haben.
Verortung der Teilnehmenden beim Ideenworkshop im Spannungsfeld (zwischen Geflüchteten, Gesundheit und Gestaltung)
© Jan Michalko
Aktivierende Aufwärmübung zwischen den Runden
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Teilnehmerin beim Bearbeiten der Ideenmappe
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Ideation mit Pocket Prototyping
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In den kommenden Monaten werden wir die Ideenrohlinge aus dem Ideationworkshop schärfen und dazu mit Designern und (Fraunhofer-)Experten diskutieren. Gemeinsam mit unserem Projektpartner Charité Berlin bereiten wir anschließend die Umsetzung der Ideen vor.

Leselinks:

Hannah Bergmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Design Thinkerin am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO. In Berlin forscht Hannah an der Schnittstelle von bedarfsorientierten Innovationsprozessen und Design. Besondere Interessen: Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel.

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