Als jemand, der sich der Dienstleistungsforschung zugehörig fühlt, steht man gelegentlich vor Sinnfragen. Man fragt sich z.B. warum man sich mit Dienstleistungen beschäftigt, wo doch jeder noch so unfreundliche Chef vorgibt, dienstleistungsorientiert zu arbeiten. Man fragt sich, warum man immer wieder die Bedeutung von Dienstleistungen betont, wo doch schon lange die Mehrheit, nämlich weit über 70 Prozent, in diesem Bereich tätig ist. Und man fragt sich, wo bitteschön die klare Unterscheidung der wirtschaftlichen Sektoren geblieben ist, wenn auch in der Landwirtschaft Dienstleistungen im industriellen Maßstab erbracht werden. In solchen Momenten hilft es, den Forschungsgegenstand aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dann wird klar, dass die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft mit fundamentalen Transformationsprozessen einhergeht, die wir erst beginnen zu verstehen.

Wenn es nur noch Dienstleistungen gibt…

Stellen wir uns einmal kurz vor, wir würden tatsächlich in einer Welt leben, in der wirklich alle (!) Leistungen als Dienstleistungen organisiert sind. In einer solchen Welt kaufe ich kein Auto, weil es jemanden gibt, der Mobilität für mich als Service bereitstellt. In einer solchen Welt bin ich nicht mehr Eigentümer von Computern, weil es Dienstleister gibt, die mir stets neue Modelle liefern und die alten entsorgen. Natürlich finden sich auch keine Bücher in meinem Schrank, weil sie als digitale Informationen auf mein Endgerät überspielt werden. Und in einer solchen Welt kauft kein Mensch ein Haus, denn man bezahlt dafür, dass Wohnraum situationsgerecht verfügbar ist. Kurz: In einer solchen Welt gibt es zwar noch eine Menge Produkte, aber nur noch Nutzer von Produkten und keine Eigentümer von Objekten mehr.

Geht man davon aus, dass die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft fortschreitet, wird schnell klar, dass solche Überlegungen zumindest reflektiert werden müssen. Bislang lag ein Fokus der Dienstleistungsforschung auf der Differenz von Dienstleistungen und Produkten, wobei beide Kategorien nicht selten als unvereinbar begriffen wurden. Nun, da uns Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen – allen voran Apple & Co. – vor Augen führen, dass Produkte eine hervorragende Plattform für Dienstleistungen sind, stellen sich noch ganz andere Fragen: Zum Beispiel, wie sich durch Digitalisierung und die Zunahme von dienstleistungsorientierten Geschäftsmodellen unser Verständnis von Besitz und Eigentum verändert. Sind Nutzungsrechte ein Ersatz für physisches Eigentum und wenn ja, wie verändert sich dadurch das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenleben?

Mehr Geld für weniger Produkte

Es bleibt also in vielerlei Hinsicht spannend für die Dienstleistungsforschung und ich wäre nicht überrascht, wenn es künftig so etwas wie eine »Dienstleistungsfolgenabschätzung« geben wird. Schließlich gibt es schon lange eine Technikfolgenabschätzung, die sich mit den sozialen und ökonomischen Auswirkungen neuer Technologien beschäftigt. In der Welt von morgen werden wir mehr Geld ausgeben und weniger Produkte und Güter besitzen – diese These hat Jeremy Rifkin bereits Anfang des Jahrtausends gewagt. Aber nur wenn wir auch ein neues Verständnis von Wohlstand entwickeln, werden wir uns dabei nicht ärmer fühlen. Sie meinen, solche Überlegungen sind reif für das philosophische Quartett? Dann schreiben Sie mich an.

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Bernd Bienzeisler

Grenzstellen-Wissenschaftler am Fraunhofer IAO. Findet hier optimale Bedingungen, um seinen Interessen zwischen technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen nachzugehen. Bevorzugt privat die Fortbewegung auf Zweirädern.

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