Wer heute den Begriff »Industrie 4.0« bei Google eingibt, findet knapp 25.000 Einträge. Zum Vergleich: Der Begriff »Bundesliga« wird von Google über 127 Mio. mal gefunden. Allerdings existiert die deutsche Fußball-Bundesliga auch schon seit 1963, während der Begriff »Industrie 4.0« gerade ein halbes Jahr alt ist. Unserer Meinung nach wird sich das Verhältnis in den kommenden Jahren ändern. »Industrie 4.0« ist heute noch ein Expertenthema, aber auch ein neues industrielles Paradigma, das für den Standort Deutschland existenzielle Bedeutung erlangen kann. Wer auch in Zukunft in der ersten Liga der Industrienationen mitspielen will, muss sich frühzeitig mit diesem Thema auseinandersetzen. Gerade in Deutschland treiben namhafte Institute, Verbände und Unternehmen das Thema voran. Ein kurzer Überblick zu den Hauptakteuren der Debatte:

Wie aus CPS eine Revolution wurde
Auf der einen Seite stehen die Beratungsgremien aus Politik und Gesellschaft, allen voran die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – acatech. In der im März 2012 erschienenen acatech- STUDIE agendaCPS »Intergrierte Forschungsagenda Cyber-Physical Systems« beschreiben die Herausgeber, was mit Hilfe von Cyber-Physical Systems (CPS) alles möglich wird, welche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung geschaffen werden müssen und welches Potential in CPS mit ihren offenen Netzen aus Sensoren und Aktuatoren steckt. Nicht nur für die Produktion, sondern als »Enabling Technology« für viele Bereiche, wie TeleMedizin oder Smart Grid.

Schon rund zwei Jahre früher, im Dezember 2009, wurde vom ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie e.V. die »Nationale Roadmap Embedded Systems« herausgegeben, welche als Vorarbeit zum Zukunftsprojekt Industrie 4.0 aus der Hightech-Strategie der Bundesregierung gesehen werden kann. Der Zentralverband kommt zu dem Schluss, dass Automatisierungstechnik und industrielle IT Schlüsseltechnologien der kommenden Jahre für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie werden. Der ZVEI prognostiziert, dass Gegenstände und Maschinen künftig im Internet über eigene Adressen verfügen und darüber hinaus autonom miteinander kommunizieren. Das dadurch entstehende Internet der Dinge ermöglicht die Entwicklung ressourcensparender, hocheffizienter Produktionsverfahren. Es ist zugleich Basis für neue Geschäftsmodelle und damit Treiber einer vierten industriellen Revolution.

Die wissenschaftliche Seite der Revolution
Auch die Wissenschaft befasst sich aktuell mit der vierten industriellen Revolution: Professor Wolfgang Wahlster, Leiter des Deutschen Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz (DFKI) meint: »Miniaturisierte Embedded-Systeme werden überall in den Maschinen integriert sein. Sensoren werden direkt mit der Software zusammenarbeiten und die nötigen Daten liefern, wobei es darauf ankommt, aus der entstehenden Datenfülle relevante Informationen zu erzeugen.« In der SmartFactoryKL des DFKI können Besucher schon heute an einem beispielhaften Produktionsprozess die Kerntechnologien von Industrie 4.0 live erleben.

Noch stärker in Richtung Automatisierung geht die Vision von Professor Thomas Bauernhansl, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA: »In der vierten industriellen Revolution stehen die Smart Factory und, als eine der Schlüsseltechnologien, die Automatisierung im Mittelpunkt.« (Interview in Produktion vom 17.7.12) Bauernhansl meint sogar: »Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Maschinen und Produktionsmittel so intelligent sind, dass sie den aktuellen Fertigungsstand eines Produkts automatisch erkennen, sich automatisch vernetzen und auch ohne menschliches Zutun die Herstellung automatisch übernehmen.«

Wir am Fraunhofer IAO sind von einer schrittweisen 4.0-Entwicklung überzeugt: »Es wird eine evolutionäre Entwicklung sein, die nach und nach nicht nur die Anlagen, sondern auch das Denken der Mitarbeiter verändert«, sagt Professor Dieter Spath, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Am IAO befassen wir uns besonders mit der Frage, welche Rolle der Mensch in den Revolutionswirren spielt. »Die Möglichkeiten von Industrie 4.0 gehen unserer Meinung nach weit über die rein technischen Aspekte hinaus«, so Spath. Die Produktionsarbeit wird auch in Zukunft von menschlicher Arbeit geprägt sein – ganz besonders im Hochlohnland Deutschland. Die Fragen, die wir uns beim Fraunhofer IAO stellen, sind unter anderem »wie wir diese menschliche Arbeit durch die neuen Möglichkeiten der Technik sinnvoll unterstützen können, wie die Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeitenden, z.B. durch höhere Flexibilität und Selbstorganisation, gesteigert werden kann?« (vgl. MaschinenMarkt 10.8.12)

Von der Vision zur Praxis: Die Industrie macht mit
Das Thema hat die Phase der wissenschaftlichen Konzepte und Visionen bereits verlassen und beschäftigt inzwischen auch Akteure aus der industriellen Praxis. Manfred Wittenstein, Vorstand der Wittenstein AG, sieht beispielsweise Chancen durch die vierte industrielle Revolution. »Industrie 4.0 ermöglicht durch gesteigerte Produktivität und Flexibilität die wirtschaftliche Herstellung höchst individueller Produkte. Mit dem Neubau in Fellbach hat WITTENSTEIN bastian die Voraussetzungen geschaffen, um nach und nach Elemente einer „mitdenkenden“ Produktion – sogenannte Cyber-Physische Systeme – in die Prozesse zu integrieren. Die neue Produktionsstätte dient dabei als Demonstrationsfabrik, in der nach und nach die Konzepte der Industrie 4.0 integriert werden«, ist auf der Firmenseite im Internet zu lesen.

Das Thema »Industrie 4.0« steht erst am Anfang der Entwicklung. In den kommenden Jahren wird es viele weitere Chancen, Nischen und Potenziale eröffnen. Wir gehen deshalb davon aus, dass in naher Zukunft viele weitere Akteure hinzukommen werden. Denn die Umstellung auf Industrie 4.0 und CPS bedeutet weitreichende Eingriffe in die Art und Weise, wie wir heute produzieren. Neben Fragestellungen der Automatisierung, wird dies die Einbindung des Menschen in neue CPS-gestützte Arbeitssysteme genauso betreffen, wie solche zur sicheren Datenübertragung, der stärkeren Einbindung mobiler Informations- und Kommunikationstechnik in industrieller Umgebung, sowie neuer Planungs- und Steuerungsverfahren. Die Bundesliga wird das Google Ranking weiter dominieren, aber Industrie 4.0 befindet sich im Aufstieg in die industrielle Erstklassigkeit.

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