Die Redensart »gegen Windmühlen kämpfen« bezeichnet einen aussichtslosen Feldzug gegen einen unveränderbaren Zustand. Der Sprichwortgeber Don Quijote kämpfte aus seiner Perspektive zwingend logisch gegen Windmühlen, die er für Riesen hielt. Siegen konnte er nicht, weil seine Grundannahmen nicht stimmten. Ähnlich verhält es sich mit vielen klassischen Management-Ansätzen: Unternehmen lassen sich nicht planen und steuern wie mechanische Systeme. Es handelt sich um organisierte Sozialsysteme mit einem unplanbaren Eigenleben. Die Menschen entscheiden und handeln oft anders als man dies erwarten kann, vieles hängt von der jeweils eingeschränkten Sichtweise ab. Weitestgehend unbewusst filtern die Menschen im Unternehmen die Anordnungen und legen sie neu aus. Dagegen anzukämpfen kann kaum gelingen. Einem Manager, der das erfolglos versucht, wird die Herrschaft über die Unternehmensprozesse entgleiten.

Ein unplanbares und im Detail nur wenig beeinflussbares Eigenleben ist die Regel in Unternehmen, nicht die Ausnahme (der Fachbegriff dafür ist Emergenz). Die Organisationstheorie bringt auf den Punkt, was wohl jeder Mensch im Unternehmen immer wieder erlebt:

  • Unternehmen sind äußerst komplexe Systeme, die Vorhersagbarkeit ist eng begrenzt (Komplexitätstheorie).
  • Entscheidungen und Handlungen im Unternehmen erfolgen weit weniger zweckmäßig, als man dies allgemein unterstellt (Begrenzte Rationalität).
  • Entscheidungsprozesse bei komplexen Themen laufen nicht zielgerichtet ab (Organisationale Anarchie)
  • Unternehmen als organisierte Sozialsysteme widersetzen sich einer detaillierten Gestaltung durch das Management (Systemtheoretische Organisationsforschung).

Blinde Flecken und Schubladen in den Köpfen
Das unplanbare Eigenleben liegt an persönlichen Bedürfnissen und Interessen, vor allem aber an »blinden Flecken«. Der Mensch muss sich auf wenige Gesichtspunkte konzentrieren, die ihm als besonders wichtig erscheinen. Was nicht offensichtlich relevant ist, blendet das menschliche Gehirn automatisch aus. Außerdem kann das Gehirn neue Informationen nur an bestehendes Wissen anknüpfen. Input, für den keine »Schublade« im Gehirn vorhanden ist, geht verloren. Können nur Teile der Informationen eingeordnet werden, so werden sie aus dem Gesamtzusammenhang gerissen und verändert interpretiert – sie rutschen in eine »falsche Schublade«.

Dies zieht der Befehlsgewalt von Managern enge Grenzen. Trifft eine Weisung des Managements auf einen blinden Fleck, so wird sie ignoriert oder uminterpretiert. Da jeder Mensch andere »blinde Flecken« und »Schubladen« hat (abhängig von individuellen Erfahrungen hat sich jedes Gehirn anders entwickelt) kann sich ein Manger kaum darauf einstellen. Bereits bei direkter Kommunikation ist nur schwer vorhersehbar, was beim Gegenüber ankommt. In Unternehmen, wo Kommunikation meist über mehrere Stufen läuft, ist die schlussendliche Wirkung völlig offen. Eine unmittelbare Steuerung ist somit kaum möglich. Da Eingriffe häufig und unvorhersehbar ins Leere laufen, sind Prognosen über ihre Effekte nicht verlässlich.

Neue Wege
Bis heute sind zentrale, deterministische Managementsysteme weit verbreitet, etwa für Arbeitsplanung, Kostenrechung oder Controlling. Wie bei einer Spinne in ihrem Netz laufen alle Fäden beim Management zusammen, von dort wird das Netz aufgebaut, im Detail gesteuert und umfassend kontrolliert. Bei zunehmender Komplexität versagen diese Systeme, sie werden selber unbeherrschbar komplex. Eine weitere Verfeinerung von EDV, Optimierungsverfahren und Bürokratie in der bisherigen Weise erhöht die Wirkung von Management-Anweisungen kaum, dafür aber die innerbetriebliche Bürokratie und den Aufwand.

Die Lösung liegt bei Selbstorganisation in autonomer Teamarbeit. Wenn man davon ausgeht, dass viele Probleme am besten dort gelöst werden, wo sie entstehen, kann das Eigenleben organisierter Sozialsysteme als positiver Steuerungsmechanismus genutzt werden. Ein Beispiel ist die Fertigungssteuerung nach dem Pull-Prinzip. Nicht mehr jeder Arbeitsschritt wird zentral terminiert, der Endtermin genügt. Feinsteuerung erfolgt durch dezentrale, selbststeuernde Regelkreise, beispielsweise nach dem Supermarkt-Prinzip (Kanban).

Go Gemba
Es gilt, das Lean-Prinzip zu realisieren, dass Entscheidungen im Tagesgeschäft aktuell und situationsgerecht von den Menschen am Ort des Geschehens (Gemba) getroffen werden sollen. Die Rahmenbedingungen dafür sind hierzulande günstig. Das Qualifikationsniveau ist hoch, die Mitarbeiter sind fähig, mehr Zuständigkeiten und Verantwortung zu übernehmen. Enormes Wissen und Erfahrungen sind vorhanden, die für das Unternehmen erschlossen werden sollten. Identifiziert sich der Mensch mit den Zielen der Organisation, sind externe Kontrollen nicht notwendig, er wird Verantwortung übernehmen und Eigeninitiative entwickeln.

Dies bedeutet ausdrücklich nicht, auf Führung zu verzichten – im Gegenteil. Gefordert ist eine wirkungsvollere Führung insbesondere in Bezug auf die Ausrichtung auf die Unternehmensziele, etwa Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und die ständige Weiterentwicklung des Unternehmens. Ohne wirkungsvolle Ausrichtung ziehen zwar alle Mitarbeiter an einem Strang, aber wie beim Tauziehen in unterschiedliche Richtungen. Die Kräfte heben sich weitgehend auf, Leistungs- und Innovationsfähigkeit bleiben eng begrenzt.

Das Thema »Führen mit weniger Bürokratie« möchte in einem weiteren Blog-Beitrag vertiefen.

Axel Korge

Axel Korge hat das Institut verlassen.

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