IAO-Blogreihe zum Wissenschaftsjahr 2015: »Zukunftstadt«

Im vergangenen Blog-Beitrag habe ich von der Notwendigkeit zur Verbesserung der Handy-Konnektivität in öffentlichen Verkehrsmitteln geschrieben, um ad hoc auf Änderungen im geplanten Reiseablauf reagieren zu können. Doch die Digitalisierung hat auch eine Kehrseite…

Technische Lösungen als Innovation – und Sackgasse

Die Zeiteffizienz ist in unserer heutigen Gesellschaft so essenziell, dass zur Förderung der Lebensqualität die ständige Erreichbarkeit vorangetrieben wird. Neben der Online-Innenstadt kam 2013 das Thema kostenloses W-LAN in Stuttgarter S-Bahnen auf. In zahlreichen internationalen Großstädten und auf den Langstreckenverbindungen der Deutschen Bahn klappt es schließlich auch. Bis heute ist in der Landeshauptstadt jedoch keine merkliche Beseitigung der Funklöcher unter Tage zu verzeichnen: Ständige Begleiter vieler U- und S-Bahn-Workaholics sind abbrechende Telefongespräche, notorische Netzüberlastung oder Endlosladezeiten für einfachste Webseiten. Der unvermeidliche Alltagsstress durch lückenhafte Netze könnte theoretisch abgebaut werden… doch wollen wir wirklich die letzten analogen Nischen in unseren Städten digitalisieren?

Öffentlicher-Personen-Nahverkehrs-Stress

Mit einer verbesserten Konnektivität würden natürlich die Beschäftigungsmöglichkeiten während der Fahrt zunehmen: E-Mails beantworten, Nachrichten lesen, chatten, Bilder posten, telefonieren… Jede Minute im Tagesablauf könnte optimal genutzt werden, sowohl im Privaten als auch geschäftlich. Allerdings greift das lineare Denken »Mehr Netz schafft mehr Entlastung« bei Weitem zu kurz: Mit wachsenden Netzen werden auch Anwendungen, Nutzer und Ansprüche weiter zunehmen, sodass der technischen Entspannung die nächste Stufe des Transitstress folgen dürfte. Von bösen Vorahnungen geplagt, wird derweil der Ruf nach Rückzugsmöglichkeiten in unserer »immer-on«-Gesellschaft, in der ständige Bereitschaft erwartet und durch moderne IuK-Technologien auch ermöglicht wird, langsam lauter… Sicher haben auch Sie schon einmal an die Vorzüge gedacht, der anhänglichen Freundin oder auch dem Chef sagen zu können: Ich klink mich heute mal aus!

Geistige Innovation: Anders U-Bahn fahren

Der Begriff Zero-Connection Spaces klingt für immer mehr Menschen wie Musik in den Ohren. Was läge also näher, als: einfach in die U- oder S-Bahn einzusteigen, in voller Absicht, unterirdisch unerreichbar zu sein? Damit wird U-Bahn-Fahren keineswegs zur esoterischen Entspannungsübung, sondern zum bewussten Anti-Stress-Programm ohne Unterbrechung durch Klingelton und Bildschirm-Pop-Up. Dieses Vorgehen zieht die Effektivität der Effizienz vor: Das Dauer-Stakkato unserer fast totalen Konnektivität würde ersetzt durch gezielte ÖPNV-Auszeiten. Wir müssten nur lernen, das kleine Glück der Nicht-Erreichbarkeit zu schätzen und praktisch zu verwirklichen. Innovation verlangt eben nicht nur, Dinge anders zu denken, sondern manchmal auch sich selbst und das eigene Verhalten.

U-Bahn fahren kann also ein Glücksmoment sein – zumindest, wenn die Mitfahrer die Ruhe ebenso schätzen wie Sie. Dazu mehr in meinem nächsten Beitrag.

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