IAO-Blogreihe zum Wissenschaftsjahr 2015: »Zukunftstadt«

Das Produzieren in der Stadt hat Tradition. Und das aus gutem Grund: Es liegt in der Natur der Entstehung von Ballungsräumen, dass sich um industrielle Standorte Menschen ansiedeln. Irgendwann liegen Fabriken dann mitten in der Stadt. Angrenzende Wohngebiete und natürliche Begrenzungen wie Flüsse oder Berge verhindern das Wachstum am Standort. Den Unternehmen bleibt dann nur, neue Standorte in weniger dicht besiedelten Gebieten zu erschließen, was erneut einen Keim für einen urbanen Ballungsraum legen kann.

Damit gibt es verschiedene Momentaufnahmen in der urbanen Produktion. So entstand die Stadt Wolfsburg um die Volkswagen-Werke herum. In Stuttgart entwickelte sich Mercedes bzw. Daimler am Rand einer bestehenden Stadt. Inzwischen sind die Betriebe in Stuttgart und im Neckartal vollständig von einem urbanen Umfeld mit gemischter Nutzung umgeben. Masdar City in Abu Dhabi entsteht wiederum als Reißbrettstadt völlig neu. Hier kann eine moderne urbane Produktion mit zugehöriger Infrastruktur in der Stadtplanung systematisch berücksichtigt werden. Die Freiheitsgrade in bestehenden Ballungsräumen sind demgegenüber gering. Lediglich die Umnutzung von Flächen liefert hier Spielräume für industrielles Wachstum.

Chancen und Risiken urbaner Produktion

Für die Unternehmen stellt sich die Frage nach der Standortwahl: Lieber auf der grünen Wiese bauen oder in die Stadt gehen? Letzteres bietet Chancen und Risiken.

Die Chancen sind:

  • Weiternutzung bestehenden hochwertigen Grundbesitzes
  • Attraktivität des urbanen Raums für hochqualifiziertes Personal
  • (Meist) gute Infrastruktur
  • Wohngebiete in der Nähe bieten ein soziales Umfeld und fördern die Flexibilität der Mitarbeiter
  • Effizienter und nachhaltiger Transport
  • Größere lokale Märkte mit der Chance zur regionalen Kundenbindung
  • Attraktive gemischte urbane Umgebungen

Dem stehen Risiken gegenüber:

  • Begrenzte verfügbare Flächen behindern unter Umständen zukünftiges Wachstum
  • Grundstückskosten sind typischerweise hoch
  • Unter Umständen ungünstige Steuersituation vor Ort
  • Gefahr von Akzeptanzproblemen der Bürgerschaft in angrenzenden Wohngebieten
  • Unter Umständen Verzögerung durch Widerstände und Genehmigungsprozesse
  • Unter Umständen Umweltrisiken aus der Produktion

Es existiert ein »magisches Dreieck«, in dem sich die Interessen von Unternehmen, Bürgern und der Kommune treffen. Alle Beteiligten haben einen Nutzen wie Zugang zu einem Arbeitsmarkt oder zu Steuereinnahmen. Alle drei Akteursgruppen müssen sich jedoch auch mit Risiken auseinandersetzen. Meist lohnt es sich für ein Unternehmen nicht, einen akzeptierten Standort im urbanen Umfeld aufzugeben. Hier überwiegen meist die Vorteile der Stadt, sodass es unvermeidlich ist, zu bleiben. Interessanter ist die Frage, ob sich es sich lohnt, sich für einen neuen Standort in der Stadt zu entscheiden. Das wird immer eine Einzelfallentscheidung im Ausgleich der Interessen sein. Mehrkosten im urbanen Umfeld lassen sich häufig durch effizientere Produktionsprozesse ausgleichen. Ausschlaggebend ist dann oft die Attraktivität für die Mitarbeiter, insbesondere wenn man auf hochqualifizierte Fachkräfte in ausgedünnten Arbeitsmärkten angewiesen ist. Das zunächst ungeliebte Produzieren in der Stadt wird dadurch auch für die Unternehmen attraktiv.

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Manfred Dangelmaier

Institutsdirektor für Engineering-Systeme am Fraunhofer IAO. Virtuelles Engineering sowie Ergonomie und Human Factors sind seine angestammten Fachgebiete - insbesondere wenn es um Fahrzeuge geht. Dabei interessiert er sich für Schnittstellen und auch teilweise quer zum Mainstream liegende Themen.

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Kategorien: Advanced Systems Engineering (ASE), Stadtentwicklung
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