First-Science-KIT: IAO-Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
First-Science-KIT: Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.

Jetzt sind fast sechs Monate vergangen, in denen wir wegen Corona unsere Arbeit deutlich ortsmobiler gestaltet haben, wo dies möglich war. Vorgestern hat der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil seine Ankündigung wahrgemacht und den Gesetzesentwurf »Mobiles Arbeiten Gesetz« vorgelegt. Es soll das Recht umfassen, als Vollzeit beschäftigter Mitarbeitender mindestens zwei Tage pro Monat ortsmobile Arbeit verlangen zu dürfen und dies nur bei nachvollziehbarer Begründung arbeitgeberseitig abgelehnt bekommen zu können: Weil die Tätigkeiten nicht geeignet sind oder die betrieblichen Abläufe dem entgegenstehen. Geplant ist also die Umkehr der Beweislast; zusätzlich gefordert wird die Erfassung der geleisteten Arbeitszeit; wohl um Entgrenzungs- und Überlastungsgefahren vorzubeugen bzw. zu vermeiden, dass geleistete Arbeit nicht bezahlt wird. Möglicherweise ist dieser Zusatz auch eine Teilreaktion auf die noch ausstehende Umsetzung des letztjährigen EuGH-Urteils zur Vertrauensarbeitszeit. Die Reaktionen von Sozialpartnern, Verbänden, Parteien, und befragten Expertinnen und Experten sind erwartungsgemäß divers, der Koalitionspartner hat bereits Widerstand angekündigt.
Dieser Vorstoß ist für mich Anlass, meine Wahrnehmung der betrieblichen Realitäten zum Thema abzubilden, befinden wir uns doch derzeit mit einer Vielzahl von Organisationen im Gespräch dazu, wie das New Normal aussehen und geregelt werden kann.

Begriffliche und regelungsseitige Abgrenzungsschwierigkeiten

Alle reden von Homeoffice, meinen damit meistens mobile Arbeit. Es gibt aber immer auch noch die gute alte Teleheimarbeit und darauf bezogene Besitzstandsregelungen in bestehenden Verträgen. Das zeigt auch die aktuelle Debatte um den Gesetzentwurf in den Medien. Da gehen die Begrifflichkeiten munter durcheinander. Irgendwie kann sich das ja, gerade zu Pandemiezeiten, auch alles gleich anfühlen. Allerdings stecken hinter den Termini »Telearbeit« und »Mobiles Arbeiten« in vielen Unternehmen und in der allgemeinen Rechtsauffassung unterschiedlich stark geregelte Konzepte der Arbeitsgestaltung, mit, und das ist wesentlich, gestaffelten Verantwortlichkeiten des Arbeitgebers für die Ausstattung des Arbeitsplatzes, von dem aus gearbeitet wird. Bei der »klassischen Telearbeit« – handelt es sich um eine eng geregelte Arbeitsform, in der zu zumeist festgelegten Tagen und in fixiertem Umfang von daheim aus gearbeitet wird. Der Arbeitsplatz muss hier den Anforderungen in Bezug auf Ergonomie, Arbeitssicherheit, Datenschutz und Datensicherheit den Maßstäben der Arbeitsplätze in der Firma entsprechen. Für die Ausstattung muss logischerweise die Firma aufkommen. Die »mobile Arbeit« erfordert hingegen weniger Aufwände vom Arbeitgeber und findet im Grundgedanken fallweise, weniger regelmäßig statt. Dieses Konzept reagiert auch auf den Trend, von verschiedensten Orten aus zu arbeiten und dies aus den unterschiedlichsten Gründen zu tun: Weil der Mitarbeitende beim Kunden sitzt, im Hotel, im Zug oder eben auch daheim, weil sich der Handwerker angekündigt hat. Zumindest bis vor Corona war ein klarer Trend erkennbar, dass diese Umsetzungsform ortsflexibler Arbeit deutlicher im Anstieg begriffen war, was sicher auch veränderten Lebensentwürfen, betrieblichen Prozessen, nicht zuletzt auch den zunehmend verfügbaren mobilen Endgeräten geschuldet ist. Nur: gerade in Corona-Zeiten hat diese mobile Arbeit eben ganz wesentlich von daheim aus stattgefunden, und das häufig sehr intensiv. Das erleichtert die Trennung der Konzepte nicht gerade.

Gerechtigkeitsfragen rund um Berufsbilder und die These der »digitalen Spaltung«

Wer kann mobile Arbeit machen und inwiefern kann und muss man etwas für die tun, die sehr personen- oder anlagenorientiert arbeiten und daher keine oder wenig Chancen auf ortsmobile Arbeit haben? Kann und muss man hier Ausgleiche schaffen, z.B. durch größere, evt. auch selbstverantwortete, Zeitflexibilität? Dieser Aspekt ist gerade in Unternehmen mit einem erheblichen Teil direkt produzierender Arbeitnehmer wichtig; zudem entspringt dieser Fragestellung auch die aktuelle These einer neuen »digitalen Spaltung« unserer Erwerbsbevölkerung insgesamt. Gerade Menschen in schlechter bezahlten Dienstleistungsberufen seien von dieser Flexibilisierung weitgehend ausgenommen, was doppelt ungerecht sei – gerade in Corona-Zeiten auch gut verständlich, denkt man z.B. an die (verhältnismäßig schlecht bezahlte) Supermarktkassiererin, die sich zudem aktuell einer größeren Ansteckungsgefahr aussetzt. Nicht selten findet sich das Zusatzargument, das so »mal wieder« eh schon privilegierte Beamte, Angestellte, Wissensarbeitende überdurchschnittlich profitieren würden. Doch halt: dem entgegen steht die ebenfalls nicht unplausible These, dass deren Jobs mittelfristig aufgrund großer Virtualisierungsfähigkeit eher vom Arbeitsplatzexport bedroht seien. Unsere Haltung dazu ist: Bestimmte Berufsbilder bringen unterschiedliche Möglichkeiten mit sich, die auch ein Arbeitgeber nicht ändern kann und die bei der Ergreifung eines Berufs bekannt sind; zudem birgt die rasch voranschreitende Digitalisierung rasche Veränderungen. Aber klar ist: hier muss arbeitgeberseitig gut und nachvollziehbar kommuniziert und aktiv nach Kompensationsmöglichkeiten gesucht werden.

Wieviel geht? Braucht es eine Quote für die Virtualisierung von Arbeit?

Immer noch weit verbreitet sind Ansätze, das Ausmaß an ortsmobiler Arbeit von vornherein zu deckeln. Sei es, weil man mit notwendiger Präsenz, Zusammengehörigkeitsgefühl, dem Verlust von Informalität und sozialer Bindung argumentiert, wenn man »zuviel« zulässt oder sei es, weil man sich damit eine einfachere Implementierung und klarere »Leitplanken« verschafft, die für viele, auch Führungskräfte, einfacher zu handhaben sind. Wir wurden als Institut bereits gebeten, hierfür nachvollziehbare »Quoten« zu definieren. Das ist schwierig, und kann angesichts der Veränderlichkeit von Tätigkeiten, dem digitalen »Reifegrad« von Strukturen, Prozessen und Kultur sowie eingesetzter IT immer nur eine Momentaufnahme sein. Wir raten daher eher dazu, Gestaltungsziele im Ergebnis auf Gesamtorganisationsebene positiv zu formulieren und die konkrete Ausgestaltung dann den Arbeitseinheiten und Verantwortlichen vor Ort zu überlassen. Es wäre sicherlich arbeitswissenschaftlich wichtig und wertvoll, längerfristige, belastbare Studien dazu aufzusetzen, inwieweit wesentliche Gestaltungsziele von Arbeitswelten, wie Loyalität, Kreativität, Innovationsförderlichkeit ursächlich mit variierenden Virtualisierungsgraden differieren, schlechter oder besser werden. Wir haben in den letzten Wochen häufig die Einschätzung gehört, dass das Ausmaß an Virtualisierung der letzten Monate nur möglich war, weil Arbeitsgruppen von einem vorhandenen Sozial- bzw. Beziehungskapital zehren konnten, das vorher bereits aufgebaut war. Könnte man, im Extrem, ein funktionierendes Team neu in stark virtuellen Arbeitsbeziehungen aufbauen? Hier stehen belastbare Forschungsaussagen aus. Ich persönlich glaube: ja, prinzipiell, bei hohem Einsatz, kreativer Mediennutzung, intensiver Kommunikationsintensität würde dies machbar sein. Aber Virtualität ist kein Gestaltungsziel per se.

Wer zahlt welche Ausstattung?

Die Zusammenhänge von Ausstattungsnotwendigkeit, deren Finanzierungsverantwortung und der grundsätzlichen Ausgestaltungsform ortsmobiler Arbeit (Telearbeit versus mobile Arbeit) habe ich bereits skizziert. Derzeit erleben wir viele grundsätzlichen Debatten dazu, wieviel Ausstattung vom Arbeitgeber »prinzipiell« oder »eigentlich« gestellt werden könnte, wieviel privates Engagement hierfür erwartbar sei (schließlich gewinnen die Mitarbeitenden ja auch z.B. Freizeit durch Wegfall von Pendelzeiten), ob alternativ steuerliche Anreize erwartbar und einforderbar sind. Natürlich hängt das – neben der reinen »Form« der ortsflexiblen Arbeit – auch vom Ausmaß von deren Praktizierung, der Finanzkraft des Unternehmens, der arbeitgebenden Institution ab. Unsere Haltung dazu ist: je mehr ortsmobil gearbeitet wird, umso mehr sollte es den Arbeitgeber interessieren, dass dies in ergonomisch sinnvollen, technisch standardisierten und sicheren Kontexten getan wird. Auch aus ganz betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus. Hier ist eine gute Abwägung von unternehmerischen Interessen, Fürsorge und Selbstverantwortung nötig. Die immer günstiger werdenden Beschaffungskosten gerade für IT sind hier aber sicher hilfreich. Auch dann, wenn langfristig über andere Bürokonzepte nachgedacht wird, sollte realistisch und auch mit Blick auf die Gesundheit, nicht zuletzt in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit, evtl. ein Weiterdenken über das formal Notwendige hinaus erfolgen.

Fazit: Erfolgskriterien für die Umsetzung neuer Arbeitsformen

Unsere Empfehlungen zum Gesamtkomplex sind die folgenden Punkte:

  • Gestalten sie diese Arbeitsform chancenorientiert, mit klarem, mutigem Rahmen auf Gesamtebene bei gleichzeitig größtmöglicher Subsidiarität in der örtlichen Ausgestaltung. Das von uns empfohlene Instrument der Teamcharta als Ausdruck der teamverantwortlichen, verbindlichen Gestaltung durch die konkreten Arbeitseinheiten haben wir bereits in unseren Blogs erläutert.
  • Beziehen Sie Führungskräfte und Mitarbeitende frühzeitig in die Ausgestaltung dieser Arbeitsform mit ein.
  • Vergeben Sie notwendige technologische Komponenten nach Bedarf und nicht nach Hierarchie.
  • Sorgen Sie rechtzeitig dafür, dass notwendige Kompetenzen wie die der Medienkompetenz, der Führungsarbeit über Distanz, der ergebnisorientierteren Delegation eingeübt werden können.
  • Vor allem: Arbeiten Sie gemeinsam auf eine digitale Arbeitskultur hin. Eine Kultur, die Präsenz nicht mit Leistung verwechselt, aber dennoch sehr wertschätzend und förderlich mit persönlicher Begegnung umgeht.
  • Und last but not least: Nutzen Sie die Erfahrungen der letzten Monate, den Schwung, den die erforderliche Selbstorganisation bei vielen Mitarbeitenden erzeugt hat. Nehmen Sie die Kollegen als Mitgestalter der eigenen Arbeitswelt ernst. Fördern Sie deren Flexibilisierungswünsche – und fordern Sie die entsprechende Selbst- und Teamverantwortung. Damit realisieren Sie im besten Sinne nicht »nur« ortsmobile Arbeit, sondern nutzen und stärken grundsätzliche Prinzipien der New Work, die Ihre Organisation resilienter und innovationsfähiger für die Zukunft machen.

Das Fraunhofer IAO bietet zurzeit eine standardisierte, und dadurch sehr zügig umsetzbare Befragungskonzeption für den ersten Arbeitsschritt an. Kommen Sie bei Interesse gerne direkt auf mich und mein Team »Zusammenarbeit und Führung« zu!

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Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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