In der Beleuchtungsbranche hat sich der Begriff »Human Centric Lighting« (kurz HCL) bereits etabliert. Diese »mensch-zentrierte Beleuchtung« ist kein wandernder Lichtkegel mit schuftenden Arbeitnehmern im Fokus, sondern ein sensibles Unterstützungsinstrument mit großen Auswirkungen auf unser Empfinden und Verhalten.
Im Dunkeln: Die Psychologie der Beleuchtung
Licht hat für den Menschen im Wesentlichen drei übergeordnete Bedeutungen: Das Ermöglichen des Sehens, die emotionale Wirkung und die nicht-visuelle Wirkung. Die beiden letzten wurden in ihrer Wirkung auf uns lange Zeit unterschätzt. Mit der Entdeckung der intrinsisch photosensitiven retinalen Ganglienzellen (kurz ipRGC) – neuen Lichtfühlern im Auge – wird vor allem der nicht-visuellen Wirkung des Lichts immer mehr Beachtung geschenkt. Die neuen Lichtfühler bewirken vereinfacht gesagt, dass Licht mit hohen Blauanteilen die Menschen aktiviert und Licht mit wenig Blauanteilen nicht. Licht wirkt nicht nur auf uns, es steuert uns und – es lässt sich so einrichten, dass es unser Empfinden und unseren Tagesablauf unterstützt und verbessert.
ipRGCs: Der fünfte Sinn im Auge
Meist wird unter HCL die Veränderbarkeit der Farbtemperatur und damit der Blauanteile verstanden. Tagsüber kaltes aktivierendes Licht und gegen Abend warmes beruhigendes Licht schafft die Atmosphäre, die wir uns für einen produktiven und angenehmen Tagesablauf wünschen würden.
Die Zusammenhänge sind natürlich wesentlich komplexer wie beispielsweise eine neue Untersuchung von Prof. Lucas mit Mäusen zeigte: Mäuse können mit diesen Zellen grobe Muster erkennen. Sie nehmen also ihre Umgebung wahr, ohne dafür die »normale« visuelle Verarbeitung zu nutzen. Möglicherweise gilt dies auch für Menschen. Damit muss die gängige wissenschaftliche Meinung zur rein nicht-visuellen Wirkung dieser ipRGC-Lichtfühler teilweise revidiert werden. Das käme der Entdeckung des fünften Geschmackssinns »Umami« gleich. Umami fürs Auge sozusagen.
Weltraum-Licht-Forschung: Lichtsteuerung der NASA
Licht ist ein sehr mächtiges Mittel gegen zirkadiane Fehlausrichtung und Schläfrigkeit. Weiß erscheinendes Licht, welches mit blauen Anteilen des Spektrums angereichert wird, kann Melatonin unterdrücken, die Wachsamkeit erhöhen und die Arbeitsleistung verbessern und hat somit ein starkes Potenzial das Risiko von Leistungsdefiziten zu reduzieren. Je künstlicher die Umgebung, desto wichtiger ist die Steuerung des Lichts für unser Wohlbefinden und unsere Produktivität. In der Raumfahrt beispielsweise nimmt die Lichtsteuerung eine zentrale Rolle ein:
Auf Grundlage der spektralen Empfindlichkeit des menschlichen zirkadianen Photorezeptorsystems hat die NASA einen dynamischen Beleuchtungsplan entwickelt, der die Lichteinstellung auf die jeweiligen zirkadianen Bedürfnisse hin optimiert. Als Folge werden eine Verbesserung des Schlafs und vor allem eine Verbesserung der Wachsamkeit und Leistung erwartet. Ob sich diese Lichteinstellungen bei den Astronauten positiv auswirken, wird sich spätestens im Februar 2018 zeigen. Bis dahin dauern noch die aktuellen Expeditionen der ISS mit HCL.
Das Fraunhofer IAO hat mit einem ähnlichen Beleuchtungsplan bereits jetzt schon Ergebnisse zu dessen Wirkung. Neben der Optimierung des Spektrums wurde zusätzlich auch die Lichtverteilung für eine biologische Wirkung optimiert.
Da die Verteilung der photosensitiven Zellen in der Natur auf eine großflächige Quelle hin optimiert wurde (beispielsweise Himmel), empfiehlt es sich, dieses Prinzip auf HCL zu übertragen: die nicht-visuelle Wirkung von Licht ist am größten, wenn das Licht von einer großflächigen Quelle kommt.
Ausblick: Autonomes Fahren als Lichterlebnis
Auch bei den irdischen Anwendungen dürfte Lichtmanagement eine wesentliche Komponente bei Zukunftstechnologien werden: Im vollautonomen Fahrzeug der Zukunft muss der Fahrer sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren, sondern kann sich auch anderen Aufgaben widmen oder sogar schlafen. Damit kommt die Lichtwirkung im Innenraum ins Spiel. Wir haben für den Insassen – wie die NASA für ihre Astronauten – das Licht so optimiert, dass wir den Fahrer entweder dabei unterstützen, schwierige kognitive Aufgaben zu lösen oder einfach nur zu entspannen.
In Bild 1 ist das Beleuchtungskonzept zur Förderung der Konzentration gezeigt: großflächiges, helles Licht mit hohen Blauanteilen. Bild 2 zeigt das Standardlicht: Linienförmiges, dunkleres Licht mit sehr wenig Blauanteilen. In den Bildern ist weiterhin zu sehen, dass während des Experiments das EEG der Probanden gemessen wurde und die Probanden durch drücken auf Taster (rechts im Bild) auf visuelle und auditive Aufgaben reagieren mussten. Hierbei wurde die Fehlerquote und Schnelligkeit gemessen. Um zu sehen, wie viele Ressourcen zur Lösung der Aufgaben im Gehirn benötigt wurden, war das EEG eine wichtige physiologische Messgröße.
Die Ergebnisse lieferten einen eindeutigen Befund: Unser Gehirn ist unter dem konzentrationsfördenden Licht leistungsfähiger: Bei besserer Leistung war der sogenannte »Task Load Index« im EEG sogar niedriger. Das heißt, dass trotz geringer Beanspruchung des Gehirns die Leistung der Probanden besser war. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass man die Konzentration im Auto der Zukunft sehr gut beeinflussen kann, indem man – ähnlich wie die NASA – die Lichtverhältnisse je nach Tätigkeit genau kontrolliert. Während die Ergebnisse aus dem Weltall noch auf sich warten lassen, konnte in der Laborstudie schon eine erfolgreiche Wirkung im automobilen Anwendungsfall gezeigt werden. Dieses Experiment zeigt beispielhaft, wie interdisziplinär das Fraunhofer IAO aufgestellt ist. In diesem Projekt haben Forscher aus dem Mobility Innovation Lab, NeuroLab, Vehicle Interaction Lab und dem Visual Technologies Lab interdisziplinär zusammengearbeitet.
Leselinks:
- Visual Technologies Lab
- Interview und Videos zum Experiment Selbstfahrendes Auto der Zukunft in diesem Blog
- Literatur zum Sehen mit dem fünften Sinn im Auge: Report
Melanopsin Contributions to the Representation of Images in the Early Visual System (.pdf) - Hintergrund zur Weltraum-Licht-Forschung (www.nasa.gov)