Flugtaxis bieten hervorragende Möglichkeiten, den innerstädtischen Luftraum neu zu erkunden und flexibler zu nutzen als es heutige öffentliche Verkehrsangebote tun. Damit das Flugtaxi in die Realität überführt werden kann, bedarf es jedoch einer größtmöglichen Akzeptanz dieser neuen Verkehrsform. Welchen Beitrag verschiedene Designelemente, Materialien und Technologien dazu leisten, den Passagierinnen und Passagieren im Innenraum ein einzigartiges Flugerlebnis zu vermitteln, zeigt das Mobilitätskonzept »Airtime« der zwei Studenten Yvonne Riester und Janis Ufheil der Hochschule Reutlingen. Die beiden wurden im Rahmen des Ideenwettbewerbs »Designer in Lab« des Fraunhofer-Netzwerks »Wissenschaft, Kunst und Design« von der Jury ausgewählt und haben ein einzigartiges Konzept entwickelt. Da ich mich bei meiner Forschungsarbeit viel mit dem Vertrauen und der Akzeptanz in autonome Fahr- und Flugzeuge beschäftige, insbesondere in Hinblick auf den Einfluss der Innenraumgestaltung (siehe Leselinks), habe ich die kreativen Köpfe wissenschaftlich bei ihrem Projekt begleitet. Anlässlich der Ausstellung des Projekts auf der MS Wissenschaft (siehe Leselinks) spreche ich mit Yvonne und Janis darüber, wie sich ein vertrauensvolles Mobilitätskonzept gestalten lässt, welches das urbane Reisen in der Luft zum interaktiven Erlebnis macht.
Karin: Wie ist die Idee für das Projekt »Airtime« entstanden und was hat es eigentlich mit dem Begriff auf sich?
Janis: Nachdem wir im vergangenen Jahr den Ideenwettbewerb »Designer in Lab« gewonnen hatten, wussten wir zunächst nur, dass es in dem Projekt um das Thema Mobilität gehen würde. Aus der Zusammenarbeit mit eurem Team kamen dann das Design und die Entwicklung eines Flugtaxis zustande. Der Begriff »Airtime« bedeutet im weitesten Sinne »Zeit in der Luft« und bezieht sich auf sinnstiftende Momente und Erlebnisse in der Luft. Das heißt, es geht nicht mehr um das reine Mobilitätskonzept, sondern um die User Experience und ein einzigartiges Flugerlebnis. Dazu gehören beispielsweise Interaktionsmöglichkeiten mit dem Objekt und der Grad an Autonomie.
Karin: Habt ihr euch vorher schon mal mit dem Design eines Flugtaxis beschäftigt oder war das Neuland für euch?
Yvonne: Es war auf jeden Fall neu für uns, in diesem Bereich zu recherchieren.
Janis: Als Transportation-Designer geht es uns natürlich immer um interessante und innovative Designkonzepte für Fortbewegungsmittel. Aber hier war neu, dass es um Luft ging
Karin: Von der Recherche bis zum Modell besteht ein Designprozess aus vielen Schritten. Wie sah eure Vorgehensweise bis zum finalen Konzept aus?
Yvonne: In unserem Designprozess standen die Themen Vertrauen und Sicherheit sowie Möglichkeiten zur Interaktion an erster Stelle. Aber auch Hygienekonzepte wollten wir aufgrund der Pandemie berücksichtigen. Auf dieser Grundlage haben wir sowohl bei großen Mobilitätsunternehmen als auch am Fraunhofer IAO nach geeigneten Innenraumelementen recherchiert, die zu unseren Vorgaben passten. Aus dieser Ideensammlung sind mit Janis’ Hilfe dann erste Skizzen entstanden, die wir schlussendlich in ein 3D-Modell überführt haben, das die einzelnen Designkomponenten in verschiedenen Varianten abbildet. Zusätzlich haben wir noch eine Animation des Flugtaxis erstellt.
Janis: Uns war nach dieser intensiven Recherche sehr wichtig, die »Pain Points« genauer zu betrachten, sprich: Was würde das Erlebnis in der Luft noch besser und interessanter für Passagiere machen?
Yvonne: Während des Designprozesses haben wir dann das Szenario »Berlin« erstellt – die Hauptstadt hat sich einfach perfekt für unsere Idee angeboten. Davon ausgehend haben wir dann Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Eigenschaften entwickelt. Ein Beispiel: Für ältere Passagiere, die bisher keine Erfahrungen im Umgang mit der Technik haben und eher schüchtern sind, ist die ruhige Lounge im hinteren Bereich des Flugtaxis sehr gut geeignet. Junge, abenteuerlustige Passagiere möchten vielleicht eher im vorderen Bereich reisen. Das Flugtaxi bietet also für verschiedene Nutzergruppen angepasste Interaktionsmöglichkeiten.
Karin: Gibt es noch weitere Designelemente, die besonders im Vordergrund standen?
Yvonne: Vor allem die Interaktion zwischen Passagier und Flugobjekt trägt ja maßgeblich zur User Experience bei, wie du, Karin, schon erklärt hast. Über verschiedene Designelemente, z.B. die Farb- und Materialgestaltung, intelligente Devices und eine geeignete Raumaufteilung kann das Vertrauen in neue Technologien und Fortbewegungsmöglichkeiten gestärkt werden.
Janis: Um das Vertrauen der Passagiere in das Flugtaxi zu stärken, haben wir den Roboter Claire designt.
Yvonne: Das ist im Grunde eine Künstliche Intelligenz, die das Wohlbefinden der Passagiere beobachtet, bei Haltestellenauskünften weiterhilft, aber auch ängstliche Passagiere beruhigen kann. Über diese Interaktionsmöglichkeit mit der Technik können wir das Vertrauen in das Flugtaxi stärken.
Karin: Das stimmt, Kommunikation und Interaktion sind wichtige Stichwörter zum Thema Vertrauen.
Janis: Deshalb bieten Plattformen in der Stadt, die auch als Ladestationen genutzt werden, auch die Möglichkeit, das Flugtaxi im Simulator zu testen. Wir haben diese Probierstationen als kleine Attraktionen geplant, die aber zeitgleich helfen, ein vertrautes Verhältnis zur Technik aufzubauen…
Yvonne: …und mögliche Hemmschwellen in Bezug auf die autonome Technik abzubauen und ein besseres Gefühl für die Räumlichkeiten zu bekommen. Denn der normale Verbraucher oder die Verbraucherin kommt ja im Alltag selten mit so einem Mobilitätskonzept in Berührung.
Janis: Neben diesen Designelementen gibt es auch eine Rückzugslounge, die räumlich vom Panoramabereich getrennt ist, die sogenannten »shy/brave zones«. Es gibt auch einen in die Frontscheibe integrierten transparenten Screen und spezielle Luftpolster in den Sitzen, die sich der Körperform anpassen. Da hat man das Gefühl, man fliegt auf einer Wolke. Das trägt stark zum Nutzererlebnis bei und vermittelt Sicherheit.
Karin: Das Spannende an diesem Projekt ist ja, dass wir von einzelnen Forschungsbausteinen und -elementen ausgehen und ihr diese dann in euren persönlichen Designprozess einfließen lassen konntet, um etwas völlig Neues zu erschaffen.
Karin: Welche Vision habt ihr als Designerin und Designer denn mit eurem Konzept? Soll das Flugtaxi in die Realität umgesetzt werden?
Janis: Ich denke, da gibt es viele verschiedene rechtliche und politische Faktoren zu berücksichtigen, und wie sich das das Stadtbild durch die Nutzung von Flugtaxis verändern würde. Natürlich spielt auch das Thema Klimafreundlichkeit eine große Rolle.
Yvonne: Bislang denken wir rein konzeptionell, möchten aber mit »Airtime« einen Ausblick geben, wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte.
Karin: Da ist ein erster wichtiger Schritt natürlich eure Vision, aber es muss sicherlich noch viel auf dem Gebiet erforscht werden, bis wir das Flugtaxi wirklich über der Stadt sehen.
Karin: Zu guter Letzt würde mich natürlich noch interessieren, ob ihr gerne selbst mit eurem entworfenen Flugtaxi fliegen würdet.
Janis: Gar keine Frage, natürlich! Besonders den Screen mit Zoom-Funktion in die Landschaft würde ich gerne ausprobieren, um die Stadt mal von oben kennenzulernen.
Yvonne: Ich glaube, ich würde erstmal in unserem Simulator ein paar Testrunden drehen und dann würde ich auf jeden Fall mitfliegen, um all die coolen Features live zu erleben.
Karin: Janis und Yvonne, vielen Dank für das Gespräch, ich kann es kaum erwarten, irgendwann mal eine Fahrt in eurem Flugtaxi zu buchen! Auch von mir nochmal meine herzlichen Glückwünsche zu diesem spannenden Projekt, das ihr aus meiner Sicht hervorragend umgesetzt habt. Mit der Ausstellung des Flugtaxis auf der MS Wissenschaft bietet sich ja auch eine tolle Möglichkeit, eure Vision in die Gesellschaft hineinzutragen.
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