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Was eigentlich macht ein Unternehmen zu einem »agilen« Unternehmen? Von Seescheiden und Oktopussen – Tauchgang 3

Am 27. Juni 2017 war es soweit: Ich begab mich zusammen mit Teilnehmern unserer Veranstaltung »Transformation zum agilen Unternehmen« auf den dritten Tauchgang in die Untiefen der Unternehmensorganisation. Ziel war diesmal, die zentralen Unterschiede zwischen Seescheiden und Oktopussen, die ich bereits hier im IAO-Blog beschrieben habe, in der Praxis aufzuspüren. Ausgehend von der Überlegung, wie sie agieren, wollten wir Äquivalente für ein Seescheiden- bzw. Oktopus-Handeln in den Unternehmen identifizieren. Und vielleicht auch herausfinden, wie viel wovon benötigt wird.

Zunächst zu den Äquivalenten:

Die Seescheiden identifizierten wir als recht starre Gebilde, die Stabilität über Veränderung stellen und etwa der Reaktionsfähigkeit vorziehen. Sie fokussieren sich so sehr auf das unmittelbar Nächste und ein konkretes, unveränderliches Ziel, dass darüber hinaus auch keine Kommunikation mit dem Umfeld mehr stattfindet.

So gesehen begegnen wir Seescheiden-Handeln im hierarchischen Denken, in der Sicherheitskultur, wenn Standardisierung um ihrer selbst willen erfolgt (anstatt zum Lernen) und Kommunikation nur gelenkt erfolgt. Gelebt wird dies in Behörden und Organisationen, die primär Sicherheitsaufgaben wahrnehmen oder wenn es auf Stabilität ankommt, wie bei der Wartung von Servern, aber auch in der Produktentwicklung, wenn aus anfangs kreativen Workshops umgehend statische Prozesse werden.

Ganz anders die Oktopusse. Sie scheinen sich an ihr Ziel eher heranzutasten und begeben sich dabei auch ganz selbstverständlich auf unbekanntes Terrain. Ihre Überlebensfähigkeit verdanken sie ihrer Flexibilität. Zumindest auf Außenstehende wirken sie, als fehle es an einem größeren Plan.


Oktopus-Handeln in den Unternehmen identifizieren Foto: Christian Hass, © Fraunhofer IAO

 

An Oktopus-Handeln fühlen wir uns erinnert, wenn ein dynamisch am Markt orientiertes Verhalten erfolgt, wenn Generalisten(-Teams) hierarchiefrei im Multi-Tasking-Modus unterwegs sind oder trotz aller Planung einmal die Neugier des Einzelnen gewinnt. Als Äquivalent für einen Oktopus identifizierten wir FuE-Teams, in welchen die versammelten Talente in alle Richtungen kommunizieren und ein »Inspect and Adapt« leben.

Nun zur Frage, wie viel Seescheide es noch braucht und wie viel Oktopus erwünscht ist

Was wir doch gerne von der Seescheide behalten wollen, auch für unsere eigene Arbeit, ist zum Beispiel ein klarer Fokus auf eine Aufgabe oder ein Ziel. Und sei es nur ein Zwischenziel. Auch die Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit von Seescheiden ist nichts Schlechtes. Andererseits sind Oktopus-Talente teilweise doch sehr voraussetzungsvoll, was das Führen betrifft, erst Recht, wenn viele hiervon als Team zusammenarbeiten sollen.

Zum Ende des Workshops waren wir uns einig: Es gibt wohl Herausforderungen, für die es angemessen ist, sich ein wenig wie eine Seescheide zu verhalten – und andere, in welchen wir dem Oktopus-Handeln den Vorzug geben würden.

Wenn ich das Thema aus der Perspektive eines Organisationsentwicklers und Scrum Masters angehe, sehe ich in Methoden wie Scrum eine große Chance, das Gute der Seescheide zu bewahren, ohne Agilität einzubüßen. Zum Beispiel erfährt die Arbeit eines Entwicklerteams mittels des Sprint-Backlogs (priorisierte Aufgabenliste) für die Dauer eines Sprints einen klaren Fokus auf die Aufgaben, die als nächst-wichtigste identifiziert wurden; um sich ganz agil im Rahmen des sich an den Sprint anschließenden Review (Auslieferung der Zwischenergebnisse) und Sprint-Planning (neuer Sprint-Backlog entsteht) intensiv mit dem Kunden darüber auszutauschen, wie erfolgreich man sich tatsächlich dem Ziel genähert hat und was nun, ausgehend von der aktuellen Situation, als nächste Aufgabe ansteht. In diesem Sinne plädiere auch ich ganz klar für ein »Sowohl-als-Auch«!

Leselinks:

Gabriele Korge

Forscht zu Organisationsentwicklung, beruflichem Lernen und Kompetenzmanagement. Leitet die Arbeiten zur innovativen Lernform »agiles Sprintlernen«. »Die Idee zum agilen Sprintlernen hatte ich, als ich ein IT-Unternehmen dabei unterstützte, agiler zu werden: Agiles Lernen als ideale Ergänzung zu den bewährten Bildungsmaßnahmen, deren Qualitätssicherung und professionelle Lernbegleitung ich sehr schätze, an denen ich aber zunehmend die Flexibilität und Praxisnähe des informellen Lernens vermisse.«

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