Vorige Woche war ich zu Gast bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, genauer beim Gesprächskreis Arbeit und Qualifizierung. Dabei handelt es sich um einen Expertenkreis, der sich in regelmäßigen Abständen Gedanken über die Veränderung von Arbeit und Fragen der beruflichen Bildung macht.
Zukunft der Facharbeit
Diesmal stand nicht weniger als die »Zukunft der Facharbeit« auf dem Programm. Das Thema ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Zum einen gilt das Modell qualifizierter Facharbeit zu Recht als Grundpfeiler des deutschen Produktionsmodells. Zum anderen ist dieses System in den vergangenen Jahren unter Druck geraten, so dass das duale Ausbildungssystem nicht mehr vorbehaltlos als Exportschlager empfohlen wird.
Meine Aufgabe war es einen Vortrag zu halten, für den ich das Thema »Konturen einer Dienstleistungsfacharbeit« wählte. Da war schon der Titel gewagt. Denn bislang verbindet man mit Dienstleistungsarbeit nicht gerade Tätigkeiten, die im Zentrum der Wertschöpfung stehen. Das gilt vor allem für personenbezogene Dienstleistungen, wie Pflegedienste, Erziehung, aber auch für konsumorientierte Leistungen wie Verkauf etc.
Arbeit am Kern der Wertschöpfung
Mein Vorredner vom Institut für Arbeit und Qualifizierung (IAQ) gab mir zunächst eine Steilvorlage, weil er statistisch untermauerte, dass die Zukunft der Erwerbsarbeit weniger in der Industrie, als vielmehr in der Dienstleistungswirtschaft zu suchen sei. Soweit so gut, aber was hat man sich unter »Dienstleistungsfacharbeit« vorzustellen. Meine These hierzu ist einfach und baut auf vier Elementen auf:
- Ist Facharbeit nicht gleichzusetzen mit einem Gesellenbrief. Nicht jeder, der einen Beruf gelernt hat, ist schon Facharbeiter. Facharbeit ist nicht nur gekoppelt an For-malqualifikation, sondern entsteht, wenn Beschäftigte mit mittlerem Qualifikati-onsniveau nah am Kern der Wertschöpfung arbeiten und hier wichtige Gestaltungsspielräume haben – sei es in der Produktion oder im Dienstleistungsbereich.
- Wertschöpfung entsteht nicht nur in der Produktion, sondern auch im Dienstleis-tungsbereich. Sie nimmt dort allerdings andere Ausprägungen an. Es entsteht nicht ma-terieller, sondern vor allem ideeller Mehrwert. Aber wenn ich mich als Kunde in einem Hotel wohl fühle, ist das Mehrwert, der sich ökonomisch abbilden lässt.
- Qualifizierte Facharbeit ist ein unschlagbarer Wettbewerbsvorteil wo es um schnelle und vor allem kundenindividuelle Produktion geht. Es gibt keine Maschine, die den Brenner meiner Ölheizung morgen früh reparieren kann. In der Industrie aber ist es in einigen Branchen gelungen, diese Flexibilisierung durch Digitalisierung und Automatisierung zu erreichen (z.B. Autoindustrie). Das Ergebnis ist ein Rückgang an Facharbeit.
- In vielen Dienstleistungsbranchen wird flexible und kundenindividuelle »Produktion« erst durch die persönliche Kommunikation mit dem Kunden erreicht. Aber bloß weil jeder sprechen kann, heißt das nicht, dass jeder qualifiziert mit Kunden interagieren kann. Kundeninteraktion ist eine Kunst, die gelernt sein will und die Gestaltung der Schnittelle zu Kunden ist der (!) Ansatzpunkt für die Gestaltung von Dienstleistungsfacharbeit. Sie wird aber viel zu selten als solche erkannt.
Wertschöpfung durch Kundeninteraktion
Im Dienstleistungsgeschäft entsteht Mehrwert, wenn Kundenprobleme schnell, einfach und gut gelöst werden. Dazu brauchen Mitarbeiter Gestaltungsspielräume und Kompetenzen. Wir müssen endlich begreifen, dass man auch ökonomische Werte kreieren kann, wenn man nicht zwei Tonnen Stahl auf vier Rädern verbaut. Erst wenn dies breitflächig akzeptiert ist, werden wir die Wertschöpfungsbeiträge einer guten Kundeninteraktion zu schätzen wissen. Das dies geschieht, steht für mich außer Frage. Die Zukunft der Dienstleistungsfacharbeit ist deshalb Interaktionsarbeit!
Wenn Sie das genauso oder anders sehen, posten Sie einen Kommentar oder schreiben Sie an.
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