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Digitalisierung für die alternde Gesellschaft: Warum wir Lösungsansätze anders angehen müssen

Die Welt wird nicht jünger. In Europa liegt die Geburtenrate unter der Sterberate und gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Hochrechnungen ergeben, dass die Bevölkerungsstruktur Deutschlands im Jahre 2050 zur Hälfte aus über 50-Jährigen bestehen wird (Vgl. Mädig 2006: 338). Laut Statistik lebten 2019 schon 24,37 Mio. Menschen über 60 in Deutschland – etwa ein Viertel aller Einwohnerinnen und Einwohner (vgl. Statista 2020). Unsere Gesellschaft altert – und wir müssen unsere bestehenden Denkweisen, Arbeits- und Service-Kulturen und insbesondere die Entwicklung neuer Produkte an die neue Mehrheit der Kundinnen und Kunden sowie Konsumenten anpassen.

Demografischer Wandel und Digitalisierung: Zwei Mega-Trends, die zusammenwachsen müssen

Die Veränderung von Gesellschaften steht schon immer im Zusammenhang mit technologischen Entwicklungen. Früher war diese Beziehung zwischen Entwicklung und Anwendung technologiegetrieben. Der Wirtschaftswissenschaftler Nikolai D. Kondratieff beschrieb seiner Zeit lange Wellen wirtschaftlichen Auf- und Abschwungs, die mit der Entwicklung bestimmter Technologien in Verbindung gebracht wurden. Beginnend bei der Dampfmaschine, über die Zeit der Eisenbahn, der Elektrotechnik, dem Zeitalter des Automobils, bis zur heutigen Zeit die durch die Informations- und Kommunikationstechnologie gekennzeichnet ist. All diese Technologien haben unsere Lebensumstände so radikal beeinflusst, dass sich dadurch unser Verhalten geändert hat. Unser gesamter Alltag, die Arbeitswelt miteinbegriffen, wird neu organisiert. Wollen wir etwas kochen? Suchen wir das Rezept im Internet. Wollen wir Sport machen? Laden wir uns eine App auf das Smartphone, die uns einen Trainingsplan erstellt, usw. Zudem ist ein Arbeitsplatz ohne Informations- und Kommunikationstechnik nicht mehr vorstellbar. Der Alltag wird digitalisiert.

Die Digitalisierung der alternden Bevölkerung anpassen – nicht umgekehrt

Die häufigsten Probleme einer alternden Gesellschaft sind körperlicher Natur. Oft werden kognitive Tätigkeiten langsamer, die Motorik unkoordinierter und die Mobilität eingeschränkt. Aber auch finanzielle Herausforderungen wie z.B. Altersarmut sind keine Seltenheit. All diese Faktoren können u.a. zu einem Rückgang an gesellschaftlicher Teilhabe für eine wachsende Bevölkerungsgruppe führen – digitale Teilhabe miteingeschlossen. Dabei können gerade die Digitalisierung und neue Technologien dabei unterstützen, diese Herausforderungen anzugehen. Die Voraussetzung ist dabei, dass die Alterung der Gesellschaft mitberücksichtigt wird.

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wird bspw. Vereinsamung auch von anderen Altersgruppen wahrnehmbar. Es hat sich gezeigt, dass ein Videochat mit der Familie oder Freunden gegen die Vereinsamung und zur Überwindung des Social Distancings hilft. Wer neben der Vereinsamung zusätzlich nicht mehr gut zu Fuß ist und keine nahen Freunde und Verwandten hat, ist auf Unterstützung angewiesen. Einkaufshilfen per App, bspw. in Form von Nachbarschaftsnetzwerken, können dafür in Anspruch genommen werden.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch, dass gerade ältere Menschen mit »der Digitalisierung« nicht viel anfangen können. Deutlich wird es, wenn sich die Großeltern nach langem Hin und Her doch für die Anschaffung eines Smartphones entscheiden. E-Mails sind kein Problem, »das ist ja so wie am Computer«, auch WhatsApp ist einigermaßen verständlich, doch bereits bei der mobilen Kommunikation über Apps tut sich eine Generationenkluft auf, die viele ältere Menschen von der »digitalen Hilfe zur Selbsthilfe« via Smartphone ausschließt. Größere Schwierigkeiten gibt es beim Verständnis von »Apps«. Bei einem Erklärungsversuch schien die Metapher einer Anstecknadel geholfen zu haben. Die Generation der heute Älteren fremdelt mit den Zukunftstechnologien – und wir müssen dafür sorgen, dass digitale und andere Alltagshilfen für ältere Zielgruppen zugänglich werden, denn nur so ist ein technologie-unterstütztes, selbstbestimmteres Leben möglich.

Den Fokus ändern: Innovieren für die alternde Gesellschaft

Eine Frage, der sich bspw. das Forschungsprojekt GESCCO widmet, lautet: Wie kann zwischen Technik und Anwender so vermittelt werden, dass dabei langfristige Lösungsansätze zustande kommen? GESCCO steht für »Generating Sharing and Caring Communities« und hat sich den Titel zum Ziel gesetzt: Netzwerke zu kreieren, die teilen und sich kümmern. Das Konzept hinter GESCCO teilt sich in zwei Bereiche auf. Ein Bereich ist das »Sharing Netzwerk«. In diesen selbstorganisierten Strukturen werden von den Teilnehmenden eigenständig Bedarfe erkannt. So werden z.B. Mitfahrgelegenheiten über das Netzwerk organisiert. Der andere Teil des Konzepts ist das »Caring Netzwerk«. Dieses besteht aus professionellen Akteurinnen und Akteuren, die entsprechend professionelle Hilfeleistungen anbieten. Durch den Dualismus der zwei Strategien können Bedarfe weitläufig erkannt und gedeckt werden. Zusätzlich gibt es Aktionstage an denen Flashmobs, Vorträge oder Workshops, auch zur Digitalisierung, angeboten werden. GESCCO steht stellvertretend für eine Reihe an aktuellen Forschungsprojekten, die wir am Institut mit Partnern aus Politik, Wirtschaft, Gesundheitsdienstleistern, Städten und Gemeinden und vielen anderen durchführen. Langfristig kündigen diese Pilotprojekte eine Neujustierung der Produkt-und Service-Entwicklung an.

Was wird der Treiber des nächsten wirtschaftlichen Aufschwungs?

Den eingangs beschriebenen wirtschaftlichen Entwicklungen steht nach der jetzigen Rezession ein merklicher Aufschwung bevor. Der Zukunftsforscher L. Nefiodov hat bereits zum Ende der 90er Jahre den 6. Kondratieff Zyklus konzeptualisiert.


Basisinnovationen bzw. Wirtschaftstreiber mit entsprechenden Anwendungsfeldern in zeitlicher Einordnung. (Quelle: Nefiodow 2011: 26)

 

»Nefiodow zeigt auf, dass Gesundheit im ganzen Sinne – körperlich, seelisch, geistig, ökologisch und sozial – im 21. Jahrhundert Träger einer neuen langen Phase der Prosperität sein wird. Die Länder, Regionen, Unternehmen und Personen, die sich rechtzeitig auf die neue lange Welle – den sechsten Kondratieff – ausrichten, werden zu den Gewinnern gehören« (Nefiodow 2011: 220). Durch Anstrengungen aller Art, die ganzheitliche Gesundheit zu stärken, werden Ausgaben des Gesundheitssystems verringert. Dazu bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten. Angefangen bei einem Netzwerk, um Orientierung in der digitalisierten Welt zu geben, bis hin zu vernetzten Systemen, um bspw. pflegebedürftigen Personen und ihren Angehörigen den Alltag zu erleichtern. Wie sich gezeigt hat, ermöglicht schon die Nutzung einer App die Identifikation von Infektionsketten – und damit die Verlangsamung einer Pandemie wie Corona.

Literatur

Leselinks:

Fatma Cetin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am IAT der Universität Stuttgart. Expertin für kommunale Transformations- und Innovationsprozesse. Großes Interesse besonders für kulturelle und kommunikationspsychologische Fragestellungen. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich gerne mit Filmen und ist eine passionierte Kinobesucherin.

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