Einsatzgebiete, Umsatzprognosen und Techniklösungen zur Unterstützung der Zusammenarbeit über Distanz, ohne den Raum verlassen zu müssen, begleiten meine Projektarbeiten seit gut 15 Jahren. Die Bezeichnungen und die technologischen Grundkomponenten haben variiert: »Telekooperation« war einer, »Teamplattformen« ein anderer; »virtuelle Unternehmen« galten für einige Jahre als DAS Konzept zukunftsweisender, flexibler Organisation. Und die journalistischen bzw. anbieterseitigen Voraussagen für die Nutzungszahlen von Videokonferenzsystemen zeigten immer dasselbe Muster: eine steil nach oben ragende Kurve. Nur die Jahresangaben auf der x-Achse haben sich nie so realisieren lassen wie erwartet und mussten immer wieder nach oben bzw. rechts korrigiert werden. Also kein echtes Thema? Oder mittlerweile vielleicht schon so weit verbreitet, dass man sich in einem anwendungsorientierten Forschungsinstitut damit nicht mehr auseinandersetzen muss?
Seit rund zwei Jahren lautet die Bezeichnung für all die zugrunde liegenden Konzepte »eCollaboration« oder auch »Unified Communications«. Was sie ausmacht?
- Eine mittlerweile tatsächlich erreichte breite Verfügbarkeit dank innovativer Dienste und leistungsfähiger Infrastrukturen.
- Eine verbesserte Nutzungsfreundlichkeit, die z.B. Webkonferenzen genauso einfach realisierbar machen wie früher einen einfachen Telefonanruf.
- Eine maßgeblich verbesserte Integration all dieser Anwendungen in das tägliche »Office«-Umfeld.
Zusammenarbeit über Distanz prägt den Unternehmensalltag
Und tatsächlich: Die Nutzungsraten steigen. Vor allem Mitarbeiter projekt- bzw. vertriebsorientierter Organisationen takten sich mit Audio- oder Webkonferenzen, dem wöchentlichen Regel-Abstimmungsmeeting per Desktop-Videokonferenz durch den Tag; Terminabstimmungen und der Zugriff auf gemeinsame Projektunterlagen sind wirklich von überall her hoch automatisiert möglich. Alles klar also?
eCollaboration strategisch verankern
Trotz klar erkennbarer Vorteile: Noch immer bleiben viele Fragen offen. Wo bleibt die langfristige Strategie hinter den Einführungsprozessen dieser Technologien, die sich an wesentlichen Geschäftsprozessen orientiert? »Meetingunterstützung« oder »Vermeidung von Reisen« sind naheliegende Argumente und Grundlage vieler Business Cases. Aber: Wie kann z.B. ein bisher umständlicher, über mehrere Schreibtische laufender Kundenberatungsprozess via eCollaboration wirklich anders, im Sinne des Kunden, verkürzt, verschlankt, direkter strukturiert werden? Wo und wie werden wirklich neue Geschäftsmodelle denkbar? Hier liegen noch beachtliche Potenziale.
Persönliche vs. virtuelle Kommunikation: Den richtigen Mix finden
Wo liegt das richtige Maß für die virtuelle Zusammenarbeit, die Abwägung zwischen vier Telcos hintereinander, in die sich die Teilnehmer häufig genug gehetzt, buchstäblich zwischen zwei Zügen einwählen, und einem »echten« Treffen? Ist es immer ein Gewinn, am Tag drei Besprechungen vom Schreibtisch aus halten zu können, bei denen nebenher die E-Mails gecheckt werden, weil keiner dabei zusehen kann? Möglicherweise leiden unter dieser Simultaneität konzentrierte Abstimmungsprozesse, persönliche Kommunikation und ausgedrückte Wertschätzung oder es fehlt Raum für das Erfassen von Zwischentönen. Wie gestaltet sich das richtige Maß von Virtualität und persönlichen Treffen, wie hoch ist der notwendige Anteil echter »quality time« als gemeinsam verbrachter Zeit? Wie viele der Nutzer können mit den Besonderheiten der einzelnen Medienumgebungen wirklich umgehen und diese sinnvoll nutzen? Wo sind die Unternehmen, die den Umgang mit virtuellen Begegnungsformen in einer gelebten und akzeptierten Kommunikationskultur thematisieren, Regeln aufstellen und bewusst weiterentwickeln? Unsere Erfahrung zeigt, dass hier noch Lernbedarf besteht.
Neue Kommunikationsformen im Büroalltag etablieren
Menschen gewöhnen sich nur langsam um. Man sagt, wir wären ernährungstechnisch noch auf dem Stand von Steinzeitmenschen. Wir essen noch wie schwerst körperlich arbeitende Jäger und Sammler, tatsächlich aber sitzen wir den ganzen Tag im Büro. Die arbeits- und kommunikationstechnische Evolution befindet sich bei vielen Erwerbstätigen möglicherweise auch noch in der Phase, in der man »ins Büro« ging und dort Besprechungen abhielt oder zu Dienstreisen startete. Das war und ist wohl für viele ganz natürlich noch immer der Normalfall, der implizit unser Verhalten prägt. Möglicherweise gehen die Digital Natives damit anders um. Doch auch sie müssen sich damit aktiv auseinandersetzen.
Nachhaltige Konzepte virtueller Mobilität
Das alles sind die Gründe, warum wir als arbeitswissenschaftliches Institut dieses Thema noch lange nicht abhaken werden. Im Gegenteil: Wir sind stets auf der Suche nach guten Praxisbeispielen, Lernerfahrungen, inspirierenden Nutzungsansätzen und auch Beispielen des bewussten Verzichts auf solche Technologien. Eine besondere Herausforderung liegt in der richtigen Quantifizierung und Argumentierung der langfristigen Effekte, die virtuelle Mobilität auf ganz reale Mobilität, Stadt- und Büroplanung, Verkehrskonzepte sowie nachhaltig orientierte Bewertungskonzepte hat. Diskutieren Sie mit uns diese und weitere Fragestellungen hier im Blog.