Die Energiewende firmierte im aktuellen Wahlkampf als Erfolgsstory und Jobwunder oder bürokratischer Zankapfel. Aus wissenschaftlicher Sicht ist sie vor allem eines: unvollendet, solange sie nur im Strommarkt nachhaltig umgesetzt wird. Die Digitalisierung eröffnet neue Wege in die integrierte Energiewelt.
Das Jahr 2000 – obwohl erst 17 Jahre her – muss einem aus technischer Sicht mittlerweile vorkommen wie eine andere (Silizium-)Zeit: Der Jahreswechsel wird in der Sorge um einen Computercrash begangen – Stichwort Y2K. AMD und Intel liefern sich eine Schlacht um die 1 Gigahertz Schallmauer, Bluetooth erblickt das Licht der Welt und das Einrichten einer eigenen E-Mail Adresse ist der absolute Hit. Mobiltelefone mit Farbdisplay waren der letzte Schrei, die Akkus waren aber nach wenigen Stunden platt, Smartphones waren noch ferne Zukunft. Musik wurde auf Mini-Disc-Playern gehört, die Technologie war so schnell wieder verschwunden wie die sprichwörtliche Eintagsfliege. Die Deutschen staunten über die erste Staffel von Big Brother, DSDS und Wer wird Millionär und: die Bundesregierung verabschiedete das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) – Stichtag 1. April 2000 – einem Samstag.
Die Zielstellung war klar, die Energiewelt sollte grüner und CO2-ärmer werden. Die damalige Energiewelt sah aus wie eine Gartenkolonie mit klar abgesteckten Parzellen, in denen sich die jeweiligen »Pächter« nicht in die Quere kamen. Jeder sein Claim, das Geschäftsmodell war klar. Niemand oder nur sehr wenige rechneten mit dem Paradigmenwechsel, der die Herausforderungen der heutigen Energiewelt diktiert – manche Top-Führungskraft frotzelte, Photovoltaik in Deutschland zu nutzen mache ebenso viel Sinn, wie Ananas in der Arktis anzubauen. Trotz aller Unkenrufe: der deutsche Begriff »Energiewende« wurde zu einem Lehnwort in anderen Sprachen. Nicht ohne Grund. Mittlerweile wird über ein Drittel des ins deutsche Netz eingespeisten Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt – und bevor die Physiker aufschreien: gewandelt.
Bilanz: Strom ist nicht genug
Das EEG wurde somit zumindest aus Sicht der Marktdurchdringung der Technologien ein Erfolg. Die Kosten werden über die EEG-Umlage auf den Letztverbrauch umgelegt, mit derzeitigen Differenzkosten von etwa 24 Mrd. €, pro Jahr wohlbemerkt. Wind und Sonne schicken keine Rechnung, die kommt vom Netzbetreiber, der die Umlagen eintreibt, aber sie kommen und gehen auch, wann es ihnen beliebt. Die Folgen dieser Entwicklung: Steigende Anteile erneuerbarer Erzeugung bedingen exakte Prognosen wie auch Netzausbau, Marktanteile konventioneller Kraftwerke sinken kontinuierlich aufgrund der geringen Grenzkosten der erneuerbaren Konkurrenz und das Preisniveau am Großhandelsmarkt befindet sich seit Jahren auf Talfahrt, nicht ausschließlich, aber auch aufgrund der Einspeisung erneuerbarer Energien.
Wofür man sich aber vielleicht etwas zu selbstgefällig als Energiewende auf die Schulter klopft, sollte als das beschrieben werden, was es tatsächlich ist: bislang »nur« eine Stromwende. Die erneuerbaren Anteile in den weiteren Sektoren Wärme und Verkehr liegen bei knapp 10 bzw. um die 5 Prozent. Wenn man das Thema Treibhauseffekt ernst nimmt und auch die volkswirtschaftliche Rechnung mit spitzem Bleistift macht, führt neben dem Stromsektor kein Weg an der Dekarbonisierung des Wärme- wie auch Verkehrssektors vorbei. Und zwar nicht nur in Deutschland.
Neue Energie für die Wende: die Chance der Digitalisierung
Diese Notwendigkeit stellt sich im Lichte steigender Überschüsse aus erneuerbaren Erzeugungsanlagen und der Notwendigkeit, Netze gänzlich zu digitalisieren, als große Chance dar, die es zu ergreifen gilt – im Zuge der – Sie ahnen es bereits – Sektorkopplung. Es gibt aber auch einen weiteren massiven Treiber, die energetischen Sektoren Strom, Wärme und insbesondere Mobilität integriert zu betrachten: Es sind die derzeitigen Entwicklungen in der Automobilindustrie. Kommt die Elektromobilität tatsächlich in der Massivität, in der es sich derzeit darstellt, stehen wir aus Netzsicht vor enormen Herausforderungen, denen nicht einmal mit dem massiven Einsatz von Kupfer – sprich der althergedienten Art des Netzausbaus – beizukommen wäre. Das Ziel einer Auslegung der Verteilernetze auf die letzte kWh ist aus Kosten- wie auch insbesondere Realisierungsgründen ohnehin nicht zielführend. Auch hier ist die Digitalisierung der Schlüssel zur Lösung.
In unseren Projekten c/sells, SmartEnergyHub und eMobilityScout denken wir diese Dimensionen der neuen integrierten Energiewelt und setzen sie in Zusammenarbeit mit namhaften Partnern um. Unser Fokus liegt dabei auf präzisen Prognosealgorithmen für Erzeugung und Verbrauch, integriertem Energiemanagement mittels innovativer Optimierungsverfahren und Lade-, Last- sowie Dispositionsmanagement für Elektrofahrzeuge. Dabei leben wir das smarte Energie-Internet der Dinge und arbeiten am intelligenten Energiesystem der Zukunft.
Man muss die Herausforderungen angehen, und hier ist allen voran insbesondere der Regulator, sprich Politik und Bundesnetzagentur, dazu angehalten, endlich für sichere und verlässliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Stichworte sind, um nur wenige zu nennen: Entgeltsystematik, Anreizregulierung, Versorgungssicherheit, Systemsicherheit, you name it, damit Sie auch morgen noch kraftvoll – fahren können!
Leselinks:
- C/sells – Schaufenster-Großprojekt für intelligente Energieversorgung (www.smartgrids-bw.net)
- SmartEnergyHub – die Datendrehscheibe für intelligente Energienutzung (smart-energy-hub.de)
- eMobilityScout – Einstieg in die Elektromobilität erleichtern (www.emobilityscout.de)
- 2. Symposium »Innovative Ladetechnologien in der Praxis« (www.iao.fraunhofer.de)
- Competence Team »Smart Energy Systems« (www.iao.fraunhofer.de)
- Alle Blog-Beiträge zum Thema »Disruption«