Chatten, flirten, verhandeln – und das alles mit einem KI-Agenten? In einer Welt voller Deepfakes und synthetischer Profile verschwimmt die Grenze zwischen Mensch und Maschine. Was früher Science Fiction war, wird heute alltäglich. Die Frage an unsere Gegenüber lautet nicht mehr: Wer bist du?, sondern: Bist du überhaupt ein Mensch?
Die neue Realität: KI-generierte Identitäten als Alltagsbedrohung
Die technischen Möglichkeiten Generativer KI-Agenten haben sich rasant weiterentwickelt. Heute lassen sich vollautomatisierte Identitäten erschaffen, die mit Chatverlauf, Videoanrufen, Social-Media-Profilen und sogar akademischen Referenzen überzeugen. Love-Scams, Fake-Bewerbungen und manipulierte Peer-Review-Verfahren sind keine Einzelfälle mehr, sondern skalierbare Angriffsformen. Studien zeigen, dass nur 0,1 Prozent der Menschen Deepfakes zuverlässig erkennen. Die Konsequenz: Es wird immer schwieriger, im digitalen Raum zwischen echten Menschen und KI-Avataren zu unterscheiden.
Mensch oder Maschine? Warum die Unterscheidung immer schwerer fällt
Früher reichte ein Profilbild oder ein Telefonat, um eine Person als echt wahrzunehmen. Heute braucht es mehr. Selbst Videocalls mit scheinbar lebensechten Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern können komplett KI-generiert sein. Der Turing-Test ist längst Alltag. Das zentrale Problem ist nicht mehr nur: Wer bist du?, sondern: Bist du überhaupt real?
Mensch oder … AI-agent? Eine alte Aufgabe wird zu einer neuen Herausforderung des Identitätsmanagement
Wirklich menschlich? Warum CAPTCHAs nicht mehr ausreichen
Viele Plattformen setzen auf Methoden wie CAPTCHAs oder Liveness Detection, um zwischen Mensch und Bot zu unterscheiden. Doch diese Abwehrmechanismen weisen zunehmend Schwächen auf. Studien zeigen, dass viele CAPTCHAs von KI-Systemen zuverlässig gelöst werden – und dabei gleichzeitig für Menschen zur Hürde werden. Der Aufwand steigt, der Nutzen sinkt. Auch Video-Ident-Verfahren stoßen an ihre Grenzen, wenn Deepfakes in Echtzeit manipuliert werden können. Das Problem ist grundsätzlicher Natur: Wir brauchen nicht nur eine Prüfung auf »aktiv«, sondern auf »authentisch menschlich«.
Digitale Identitäten: Die unterschätzte Infrastruktur
Staatlich ausgegebene elektronische Identitäten (eIDs) könnten als Vertrauensanker dienen. Sie sind kryptografisch gesichert, nur nach Vor-Ort-Verifikation erhältlich und damit ziemlich fälschungssicher. Doch ihre Nutzung ist in vielen Ländern – etwa Deutschland – verschwindend gering. Grund dafür sind Usability-Probleme, die komplexe Integration und fehlende Anwendungsfälle. Das alles führt die zum klassischen Henne-Ei-Dilemma. Anbieter unterstützen keine eID, weil Nutzerinnen und Nutzer sie nicht verwenden – und umgekehrt.
Altman, Iris-Scans und das globale Rennen um digitale Identität
Sam Altman, CEO von OpenAI, hat mit dem Projekt »Worldcoin« einen alternativen Weg eingeschlagen: globale Proof-of-Personhood via Iris-Scan. Ein biometrischer Identitätsnachweis soll unabhängig von Nationalstaaten funktionieren und Massenadoption ermöglichen. Dieses Projekt zeigt, dass es einen globalen Bedarf für digitale Identität gibt – aber auch, wie schnell wirtschaftliche Player diese Lücke besetzen können, wenn der Staat zu lange zögert.
Von der staatlichen eID zur alltagstauglichen Identität
Europäische eID-Systeme müssen nutzerfreundlicher, offener und attraktiver werden. Vorschläge dazu gibt es bereits:
- Integration in digitale Wallets statt isolierte Kartenlösungen
- Authentifizierung ohne PIN-Zwang durch Biometrie oder passwordless authentication
- Plug-and-play APIs für Diensteanbieter, damit eIDs einfacher eingebunden werden können
- Bonus- oder Komfortfunktionen für Endnutzerinnen und -nutzer
Alternativen und Ergänzungen denken
Neben klassischen eIDs sollten auch dezentrale Identitätsmodelle (DID), selective disclosure via Wallets oder hybride Modelle ernsthaft geprüft werden. Entscheidend ist nicht, wer die Identität ausstellt, sondern dass sie interoperabel, sicher und für Menschen nachvollziehbar ist.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere technische Ansätze, um »Menschsein« digital nachzuweisen – von klassischen CAPTCHAs über Verhaltensanalysen (z. B. Tippverhalten, Mausbewegung) bis hin zu biometrischen Liveness-Checks. Doch alle diese Verfahren stehen in einem permanenten Wettlauf mit Generativer KI. Ihre Aussagekraft ist begrenzt, ihre Umgehung zunehmend einfach.
Was fehlt, ist ein vertrauenswürdiger, skalierbarer und klar regulierter Identitätsanker – der nicht nur Authentizität, sondern auch Verantwortlichkeit sicherstellt.
Ohne verlässliche Identität keine vertrauenswürdige Interaktion
In einer Welt KI-basierter Agenten und synthetischer Akteure brauchen wir eine neue Herangehensweise an digitale Authentizität. Digitale Identitäten müssen skalierbar, nutzerfreundlich und souverän sein. Sonst wird Vertrauen zur Ware – und die Kontrolle über Identität verlieren wir an globale Plattformanbieter.
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