Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.
…so steht es im Untertitel eines aktuellen Beitrags zum Thema Corona-Virus in der Neuen Zürcher Zeitung. Dort wird unter anderem beschrieben, wie stark sich die japanische Arbeitswelt angesichts der Corona-Epidemie wandelt. Berichtet wird von Meetings, die auf einmal nur noch von Einzelarbeitsplätzen aus mit Gesichtsmasken per Telekonferenz abgehalten werden. Und davon, dass es angesichts der Infektionsraten selbst in Japan seit neuestem möglich ist, von daheim aus zu arbeiten, um dem Gedränge und den Ansteckungsgefahren in der total überfüllten U-Bahn zu begegnen. Damit würde, ganz nebenbei, auch etwas, was bei uns unter »Work-Life-Balance« verbucht wird, auch in Japan ein Thema. Man muss nicht nur nach Japan sehen. Vor ca. zwei Wochen hatte der Geschäftsführer von Webasto in der Süddeutschen Zeitung berichtet, dass der »Notfallbetrieb« des Unternehmens als erster bekannter Hotspot von Corona-Erkrankungen in Deutschland nur durch die konsequente Nutzung von Telearbeit ermöglicht wurde. »Man habe es (so) geschafft, den Betrieb dennoch am Laufen zu halten«, so die Süddeutsche Zeitung. Und in vielen der derzeit gefühlt rund um die Uhr stattfindenden Gesprächskreisen und Talkrunden in den Massenmedien wird das Thema »Arbeiten von daheim« immer mehr zum selbstverständlichen Stichwort.
Epidemien, Katastrophen als »Killer-Applikation« für Conferencing Tools?
Sind jetzt Epidemien wie der Corona-Virus zu etwas in der Lage, was vor Jahren selbst der unaussprechliche isländische Vulkan »Eyjafjallajökull« nicht geschafft hat? Nämlich die Erkenntnis zu schaffen, dass es angesichts der Alternative »Totalausfall« in vielen Bereichen die Möglichkeit gibt, zumindest viele Tätigkeiten des normalen »Büroarbeiters« auch von anderen Orten als dem gewohnten Büro zu erledigen, bzw. Geschäftsreisen ganz konsequent daraufhin zu hinterfragen, ob nicht auch eine Abwicklung per Video-/Telekonferenz möglich sein kann. Ganz nebenbei erweisen wir damit auch dem Klima einen guten Dienst, insbesondere mit Blick auf Flugreisen.
Von der Work-Life-Balance über CO2-Einsparung hin zum Plan B im Notfallszenario
Standen in den Diskussionen dazu bisher also Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die bereits benannte Work-Life-Balance, in Teilen auch Verkehrsvermeidung im Vordergrund, wird »Arbeit über Distanz« quasi über Nacht zu einer ernstzunehmenden Handlungsoption auch in Situationen wie der derzeitigen Corona-Epidemie.
Mehr als »Home Office im großen Stil«
Unsere Erfahrung mit der Realisierung dieser Arbeitsform zeigt: die Ausstattung mit IT alleine wird nicht ausreichen. Abgesehen davon, dass auch dies nicht in jedem Fall nur eine Frage des Geldes ist, sondern auch an Netzperformancekapazitäten, nicht remotefähigen Softwareapplikationen und einem hohen Anteil an Papierbearbeitung scheitern kann, sind ganz andere Vorbereitungen und organisatorische Abstimmungen erforderlich. Denn ein solcher Nutzungskontext, also die kurzfristige, großflächige Verlagerung von Arbeit nach Hause und die komplette Abwicklung von Dienstreisen per Telemedium haben der puren technologischen Machbarkeit einige Rahmenbedingungen: Sie setzen eine selbstverständliche Medienkompetenz voraus, eine Arbeitsorganisation, die das Umswitchen von geplanten Besprechungen, Kundenbesuchen sehr kurzfristig und dennoch verlässlich organisiert, die Bearbeitungsketten zwischen Kollegen nicht abreißen lässt, und nicht zuletzt ein häusliches Umfeld, dass das Arbeiten von daheim aus möglich macht. Ganz zu schweigen von prozessualen und führungsseitigen Themen: Können wir digital unterschreiben? Wie managen wir teambezogene Dynamiken, wie kann Führungsarbeit in solchen Szenarien aussehen?
Eine systematische Entwicklung und Einübung ist entscheidend
Festzuhalten bleibt: Bevor das ein ernstzunehmender »Plan B« wird, müssten organisatorisch, technologisch, kompetenz- wie kulturseitig verlässliche Rahmensetzungen erfolgen und ganz robuste Routinen etabliert werden, ganz ähnlich wie andere Notfallpläne. Diese gibt es bisher nicht, und deshalb sollten wir uns damit beschäftigen. Und wir würden, ganz sicher, Dinge in Angriff nehmen, die letztlich insgesamt auf eine verbesserte Arbeitswelt und Produktivität einzahlen: ein hoher Digitalisierungsgrad erlaubt schnellere Bearbeitung und spart Archivierungs- und Suchkosten; eine konsequente Einsparung von Geschäftsreisen leistet einen wesentlichen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Verkehrsentzerrung, viele weitere mittelbare Effekte liegen auf der Hand.
Auch wenn der aktuelle Anlass derzeit keinesfalls erfreulich ist: Nutzen wir die Chance, uns deutlich konsequenter und systematischer mit diesen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und sie als ernsthafte, breit angelegte Arbeitsform in skalierbaren und rasch entscheidbaren Ausmaß zu begreifen.
Ich schreibe diesen Blogbeitrag übrigens im Home Office. Meine Familie ist von einer starken Erkältung mit Fieber und Husten geplagt, und ich gestalte meinen Arbeitstag heute in einer Mischung aus konzentrierter Arbeit, Wäsche waschen, Taschentücher verteilen und nebenher noch ein wenig auf die Nachrichten gucken. So froh ich bin, diese Möglichkeit zu haben, so sehr freue ich mich auch, meine Kollegen am Montag wieder im Büro persönlich zu sehen.
Leselinks: