27 von 30 DAX-Konzernen verwenden bei der Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern ein Verfahren, das ein implizites Diskriminierungsmuster aufweist, sicherlich ohne Absicht und Kenntnis. Damit schaffen sie ein doppeltes Dilemma: Wenn andere Kriterien als die tatsächliche Qualifikation die Auswahl mitbestimmen, arbeitet das Verfahren weder ethisch noch funktional im Interesse der Organisation. Mit der richtigen Konzeption des Verfahrens ließe sich dieses Dilemma vermeiden.
Assessment-Center haben nicht die höchste Vorhersagekraft, aber spezifische Vorteile
Organisationen erhoffen sich durch den Einsatz von Assessment-Centern ein umfassendes Bild der Bewerbenden zu bekommen und eine faire Auswahl treffen zu können. Studien zeigen, dass ein Assessment-Center helfen kann, die richtigen Bewerbenden zu finden. Andere Auswahlmethoden wie beispielsweise strukturierte Einstellungsinterviews oder tätigkeitsbezogene Wissenstests haben jedoch eine größere Vorhersagekraft. Der spezifische Vorteil von Assessment-Centern liegt darin, dass das Verhalten der Bewerbenden in Gruppenkontexten und über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet werden kann.
Männer schneiden in Assessment-Centern häufig schlechter ab
Beispielsweise erreichen Männer im Assessment-Center der Bundespolizei (jährliche Teilnehmendenzahl ca. 10 000 Personen) nur 86 Prozent der Erfolgsquote von Frauen. Aus US-amerikanischen Studien ist bekannt, dass dieser Effekt auch im angelsächsischen Bereich verbreitet ist und dort ebenfalls systematisch Männer schlechter im Assessment-Center abschneiden. Ebenfalls ist bekannt, dass Männer nicht die einzige Gruppe sind, die unterdurchschnittlich abschneidet – weitaus stärker ist der Effekt beispielsweise für Menschen mit dunkler Hautfarbe.
Psychologie der Unfairness: Warum Männer schlechter abschneiden
Eine systematische Diskriminierung bestimmter Gruppen bei der Personalauswahl mit Assessment-Centern kommt also vor – die Gründe dafür können vielfältig sein. Je nach Gruppe können sich diese Gründe sehr stark unterscheiden – daher wird im Folgenden der Fokus auf Männer gelegt:
- Selbsteinschätzung: Frauen neigen dazu, strenger mit sich selbst umzugehen, wenn sie entscheiden müssen, ob ihr Profil auf eine Stellenausschreibung passt. Dadurch könnten die Frauen, die im Assessment-Center ankommen, im Mittel besser auf die ausgeschriebene Stelle passen als Männer.
- Wahrgenommene Ähnlichkeit: Trotz des standardisierten Vorgehens unterliegt die Beurteilung des Verhaltens in Assessment-Centern häufig auch subjektiven Faktoren. Menschen tendieren dazu, Menschen, die ihnen selbst ähnlich sind, positiver zu beurteilen. Die häufig weiblichen Mitarbeiterinnen von Personalabteilungen könnten daher ihnen ähnliche und somit ebenfalls weibliche Kandidatinnen besser bewerten als männliche Kandidaten.
- Typisch »weibliche« Charaktereigenschaften: Frauen wird in Studien ein höheres Maß an Sensitivität und Rücksichtnahme in sozialen Situationen zugeschrieben. Dies könnte sich positiv auf die Bewertung von Frauen in Assessment-Centern auswirken.
- Unterschiedliche Arten, mit Stress umzugehen: Studien legen nahe, dass Frauen im Durchschnitt in Testsituationen eher zu emotions- und problemorientierten Bearbeitungsstrategien greifen, die in Assessment-Center-Situationen eher zum Erfolg führen könnten als andere Bearbeitungsstrategien.
- Politischer Druck: Aufgrund des 2021 eingeführten Zweiten Führungspositionengesetzes soll bis 2025 Geschlechterparität auf allen Führungspositionen in allen Organisationen, die im Geltungsbereich des Bundesgleichstellungsgesetzes liegen, hergestellt sein. Dies könnte Behörden dazu veranlassen, Frauen in Einstellungsverfahren zu bevorzugen.
Um Diskriminierungsmuster zu verstehen, muss der gesamte Personalauswahlprozess betrachtet werden
Ein weiterer Grund für das schlechtere Abschneiden der Männer in Assessment-Centern ergibt sich erst, wenn man den gesamten Personalauswahlprozess betrachtet: Häufig sind Assessment-Center erst der zweite oder dritte Schritt in einem mehrstufigen Personalauswahlverfahren. Im ersten Schritt werden oft standardisierte Eignungstests verwandt, in denen Frauen meist schlechter abschneiden als Männer. Im Assessment-Center könnte dann versucht werden, die Diskriminierung aus der ersten Auswahlstufe durch eine »umgekehrte« Diskriminierung wieder auszugleichen.
Faire Assessment-Center: die wichtigsten Kriterien bei der Konzeption
- 1. Die genutzten Aufgaben sollten möglichst eng an den tatsächlichen späteren Aufgaben orientiert sein. Dadurch kann die Bevorzugung oder Benachteiligung einer Personengruppe aus Gründen, die nichts mit der Tätigkeit zu tun hat, vermieden werden.
- 2. Personalauswahlteams in Assessment-Centern sollten möglichst divers aufgestellt sein.
- 3. Personalauswahlteams sollten darüber reflektieren, ob sie einzelne Charakteristika bestimmten Gruppen zuordnen und wie sich diese Stereotype auf den Auswahlprozess auswirken könnte.
- 4. In Bereichen, in denen aktuell noch nicht ausreichend Frauen (in Führungspositionen) vertreten sind, sollten durch Personalmarketing, Stellenzuschnitte und Arbeitsplatzgestaltung die Bewerberinnenzahlen erhöht werden und nicht durch Diskriminierung im Auswahlprozess.
- 5. Um ein möglichst diskriminierungsarmes Einstellungsverfahren sicherzustellen, sollten alle Personalauswahlschritte und deren Wechselwirkung aufeinander betrachtet werden.
Was sind Ihre Erfahrungen mit Gender Bias in Assessment-Centern und Personalauswahlverfahren im Allgemeinen?
Leselinks:
- Lernen Sie hier mehr über unser Projekt recruitFAIR, in dem wir einen geschlechtssensiblen Einstellungstest entwickeln.
- Metaanalyse zu Geschlechts- und Ethnieneffekten bei Assessment-Centern
- Hier die Studie zu den unterschiedlichen Stressbewältigungsstrategien von Frauen und Männern in Personalauswahlverfahren
- Hier die kanadische Studie zu den unterschiedlichen Stressbewältigungsstrategien von Frauen und Männern in Personalauswahlverfahren