Künstliche Intelligenz (KI) gilt derzeit als die Schlüsseltechnologie der Zukunft. Gleichzeitig wird befürchtet, dass amerikanische und chinesische Unternehmen den Rest der Welt in diesem Bereich abhängen. Bei einem Besuch in Moskau haben ForscherkollegInnen aus Deutschland und ich mit russischen KollegInnen über Potenziale und Herausforderungen im Kontext Künstlicher Intelligenz diskutiert und Kontakte für zukünftige Kooperationen geknüpft. Organisiert wurde dieser Austausch von der Deutschen Botschaft in Moskau, dem Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus in Moskau und dem Moscow Institute of Physics and Technology.
Reiches Deutschland — arm an guten Daten
Die großen IT-Unternehmen mit reichhaltigen Datenschätzen – insbesondere über Konsumenten – finden sich eher außerhalb Deutschlands und Europas. Amerikanische Unternehmen wie Google (bzw. der Mutterkonzern Alphabet), Amazon, Apple, Facebook und Microsoft können hier auf gut gefüllte Datenbanken zurückgreifen. Darüber hinaus sind außerdem die Technologieunternehmen wie Alibaba, Baidu und Tencent zu nennen, die sich auf einem Markt mit knapp 1,4 Milliarden Menschen und einem aus europäischer Sicht weit laxeren Umgang mit personenbezogenen Daten stützen können.
Für deutsche oder europäische Unternehmen sieht es demnach so aus, als müssten sie sich einer ähnlichen Herausforderung wie früher bei fossilen Ressourcen stellen – ein für uns eher knappes Gut. Deutsche Unternehmen sind wirtschaftlich stark in ihren relativ begrenzten Domänen, zum Beispiel in der Automobil- oder Maschinenbauindustrie. Der starke Mittelstand mit »hidden Champions« ist hoch spezialisiert, doch fällt es diesen wegen mangelnden Ressourcen meist schwer, die notwendigen qualifizierten Datenmengen zu sammeln, um maschinelle Lernalgorithmen zu perfektionieren. Dieses Problem haben auch innovative Start-ups mit interessanten Ansätzen, aber ohne Zugang zu einer relevanten Datenbasis. Es besteht hier die Gefahr, dass diese dann schlichtweg von den großen Fischen gefressen werden, was aus gesamtwirtschaftlicher Innovationsperspektive eher problematisch ist. Hierfür sind also kreative interdisziplinäre Lösungsansätze gefragt.
Rohstoff Daten – der Reichtum Russlands
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen habe ich Ende Juni mit ForscherInnen des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) und des DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) an einer Reise nach Moskau teilgenommen. Anstatt nun also aus dem Ausland Öl und Gas zu importieren, könnte die internationale Kooperation im Bereich der Forschung zur Künstlichen Intelligenz und der Austausch von Daten ja möglicherweise einen Teil der Lösung darstellen. Über drei Tage hinweg trafen wir Vertreter von einigen der führenden Universitäten und Innovationsinkubatoren in Russland (Skoltech, Skolkovo Innovation Center, Higher School of Economics und Moscow Institute of Physics and Technology), um mit ihnen über Künstliche Intelligenz und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zu diskutieren. Die Veranstaltung war Teil des »Deutsch-Russischen Jahres der Hochschulkooperation und Wissenschaft 2018-2020« und organisiert von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, dem Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) in Moskau und dem Moscow Institute of Physics and Technology (MIPT).
Deutsch-russische Kooperation zur Erforschung gemeinsamer Datenmärkte
Als große Chance oder gar Notwendigkeit zur Bildung eines Gegengewichts im internationalen Wettbewerb, wurde die Zusammenarbeit zwischen Forschern und Unternehmen aus Russland und Deutschland genannt. Ganz praktisch könnten hier etwa Blockchain (oder ähnliche Technologien aus dem Bereich Distributed Ledger Technologien DLT) genutzt werden. Diese Technologien könnten dabei unterstützen, die gemeinsame Datennutzung zu verwalten und entsprechende Anreize über Datenmärkte zu schaffen. Somit können Unternehmen oder auch Forschungseinrichtungen gegenseitig Daten austauschen, Datensilos zusammenführen und eine Vergütung erhalten, aber, wo notwendig, auch die Nutzung einschränken. Endkunden erhalten Transparenz und Wahlfreiheit über die Verwendung ihrer Daten und sind nicht gezwungen, eine große Plattform zu füttern, wenn sie bestimmte Dienste nutzen möchten. Ziel ist der Aufbau eines Ökosystems, das auch Chancen für innovative Newcomer bietet, anstatt der Befüllung großer Datenseen, die unter der Kontrolle einzelner Großkonzerne stehen. Bis es so weit ist, sind aber noch zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten notwendig.
Von dieser Reise haben wir für unser Team am Fraunhofer IAO sehr profitiert, vor allem durch die intensiven Diskussionen, geknüpften Kontakte und neuen Einblicke in aktuelle und kommende Forschungsthemen. Bei Skoltech beeindruckte uns die enge Verknüpfung von Spitzenforschung mit Start-ups zu verschiedenen KI-Themen. An der Higher School of Economics wird beispielsweise an Ansätzen zur Erklärbarkeit von durch KI getroffenen Entscheidungen gearbeitet – für uns sehr interessant, denn für das Vertrauen in KI-Systeme spielt diese Erklärbarkeit eine wichtige Rolle. Forschende am Moscow Institute of Physics and Technology haben uns innovative KI-basierte Verfahren zur Nutzeridentifikation präsentiert, die zukünftig Passwörter ersetzen könnten. Es war damit eine sehr erfolgreiche und inspirierende Woche in Moskau, die hoffentlich die Grundlage für zukünftige KI-Forschungskooperationen mit russischen Partnern gelegt hat. Damit möchten wir baldmöglichst starten, deshalb sucht unser Team nun konkret nach Finanzierungsmöglichkeiten für ein deutsch-russisches Forschungsprojekt zum Thema Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit von KI – die geeigneten Partner haben wir nun ja bereits gefunden.
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