Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.
Wir sitzen alle im selben Boot. Wenn ich unsere Teilnahme an der Medienkonferenz re:publica re:mote Revue passieren lasse, dann bleibt dieser Satz hängen. Denn über der Konferenz, die dieses Jahr unter einem ganz besonderen Vorzeichen stand, hing ein großes Motto. Welche Auswirkungen hat Corona auf unsere Lebens- und Arbeitswelt und wie gehen wir mit dieser neu gewonnenen Normalität um?
Die verschiedenen Sessions auf den vier Kanälen ASAP1, ASAP2, re:work und Media Convention Berlin, die live über die Webseite re:publica.tv, Youtube und Facebook gestreamt wurden, waren unter anderem ein buntes Sammelsurium aus Homeoffice-Erfahrungen. Was haben wir aus der Zwangsdigitalisierung für unser Zusammenarbeiten gewonnen und was ging verloren? Welche Komponenten müssten im neuen Homeoffice-Gesetz verankert sein? Wie stellen wir sicher, dass Frauen, die derzeit immer noch meist mehr Care-Arbeit verrichten, nicht zu kurz kommen? Und welche Lehren kann die Produktion aus dieser Krise ziehen, um sich besser für die Zukunft wappnen zu können? Mit genau dieser Frage haben wir uns in unserer eigenen Session »re:think work – die Digitalisierung der Produktion« befasst. In diesem Blogbeitrag möchte ich gerne für Sie die wesentlichen Learnings für die Industrie aus der Krise zusammenfassen, die unser Institutsleiter Prof. Oliver Riedel in unserer Session aufgezählt hat. Und was unser Projekt FutureWork360 mit diesen Ansätzen zu tun hat, werden ich im Folgenden noch ausführen.
Wir stecken zwar noch inmitten der Krise, aber wir können daraus schon jetzt wertvolle Erkenntnisse für die Zukunft ableiten und somit auch mit folgenden fünf Punkten eine neue Phase gestalten.
Produktion 5.0 – 5 Learnings für die resiliente Industrie der Zukunft
1. Wissensmanagement als essenzielle Risikovorsorge
Das Teilen von Wissen entscheidet über den Erfolg: Es ist niemandem geholfen, wenn wertvolles Wissen nur in den einzelnen Köpfen bleibt. Gerade in Zeiten von Corona muss mit systematischen Wissensmanagement vorgesorgt werden. Fehlt der wichtige Kopf in der Produktion mit dem wertvollen Wissen beispielsweise aufgrund von Quarantäne, wird es problematisch. Wissen muss digital abgelegt werden mit den entsprechenden Modellen. Das können zum Beispiel Funktions- oder Prozessmodelle sein. Entscheidend ist, dass wir Dokumentationen darüber haben, wie Sachverhalte funktionieren und wie Notprozesse konkret aussehen können, um sich in der nächsten Krise behelfen zu können.
2. Redundanzen – doppelt hält besser
Redundanzen, also potenzielle Alternativen, sind die Notration der Industrie für schlechte Zeiten. Was mache ich, wenn Liefer- und Wertschöpfungsketten abreißen? Gibt es Möglichkeiten, fehlende Teile selbst herzustellen? Für diese Fragen muss sich die Industrie wappnen, indem sie sich Redundanzen zulegt, das heißt, die Dinge parallel verfügbar oder Notkonzepte parat hat, an die man sehr schnell rankommt. Dort, wo es Singularitäten gibt, muss man sich entsprechend vorbereiten, um nicht in einer Sackgasse zu landen.
3. Flexibilität in den Alltag integrieren
Beim Wiederanlauf lässt sich die Zeit nicht mehr zurückdrehen, es wird nicht alles wie vorher werden. Unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln werden wir andere Maßnahmen brauchen, um eine neue Normalität im Arbeitsalltag zu etablieren. Beispiel flexiblere Schichtsysteme: wir werden sicherlich wieder darüber reden, dass jetzt samstags doch gearbeitet wird, da wir Anwesenheitszeiten entzerren müssen.
4. Den Wert eines Netzwerks erkennen
Diese Krise kann kein Land und kein Unternehmen allein bewältigen, es ist eine weltweite Krise. Da lohnt es sich, über neue Netzwerke nachzudenken. Es ist einen Gedanken wert, mit dem Konkurrenten Netzwerke aufzubauen, um sich mit der daraus resultierenden Größe wieder etwas stabilisieren zu können.
5. Das Thema »finanzielle Absicherung« diskutieren
Das Thema »finanzielle Absicherung« werden wir intensiv diskutieren müssen. Deutschland hat aufgrund der zuvor stabilen wirtschaftlichen Lage schnell Soforthilfe-Programme für Unternehmen gestartet. Schaut man jedoch in den europäischen Verbund rein, sind gerade riesige Streitereien augenscheinlich: Wer zahlt was? Wer sichert wen ab? Wer steht für wen ein? Die Dinge muss man neu miteinander verhandeln. Dies muss man als Chance sehen, dieses Problem löst aber kein Land und keine Firma für sich, sondern hier wird ein europäischer Ansatz erforderlich sein.
Wir haben festgestellt, dass unser Projekt FutureWork360 diese Veränderungsprozesse, die mit der Digitalisierung einhergehen, befördert. Zusammen mit dem Fraunhofer IPA stellen wir mithilfe eines digitalen Laborzwillings unsere Forschungslabors virtuell zur Verfügung. Aufgrund der momentanen Kontaktsperre haben wir damit eine Lösung gefunden, Kunden digital an unsere Themen heranzuführen und Forschungszusammenarbeit weiter fortzusetzen. Gerade jetzt zeigt sich durch die digitale Zusammenarbeit eine interessante Ambivalenz. Die Abstimmungen mit Video- und Telefonkonferenzen haben zwar zugenommen, dennoch zeigt sich, dass Meetings virtuell oft effizienter sind. Jeder kennt bestimmt diesen Satz: »This meeting could have been an email«. Im digitalen Zusammenarbeiten ist er plötzlich nicht mehr existent. Ein digitaler Laborzwilling hat aber noch einen anderen Vorteil, der an die fünf oben genannten Punkte anknüpft.
Digitaler Zwilling als Wissenstransferplattform oder als Spielwiese für neue Ideen
Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten permanent an Anwendungsszenarien, Prototypen oder anderen Entwicklungen für die Industrie. Meistens ist dazu schon eine digitale Welt beispielsweise mit 3D-Modellen, Prozessmodulationen oder Berechnungen vorhanden. Diese Welt ist aber nur für geschulte Fachspezialisten zugänglich. Mit unserem digitalen Laborzwilling haben wir eine digitale Welt erschaffen, die niederschwellig und einfach zugänglich ist. Damit kann Wissen für Interessierte aus allen Bereichen und Branchen verfügbar gemacht werden, die sich über den Kontext informieren möchten und einen ersten Anhaltspunkt für unsere Innovationen erhalten möchten. So können nicht nur unsere Angebote, Inhalte und Lösungen von einer breiteren Zielgruppe wahrgenommen werden, unsere digitale Welt kann auch als Spielwiese für neue Ideen fungieren. Denn Neugierde und Spaß am Entdecken kann nicht nur Kreativität stimulieren, sondern neues Wissen durch neue Ideen generieren. So entsteht eine Art von Dialog, der im digitalen Raum stattfindet. Die Digitalisierung im Produktionskontext kann damit die Nutzbarkeit unserer Forschung im öffentlichen Raum sichtbarer machen – ein wichtiger Anspruch der Wissenschaftskommunikation und auch ein Appell, unterschiedliche Disziplinen zusammenzudenken.
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