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Verwaltung neu denken: Was die Digitalberatung von Work4Germany lernen kann

Digitalisierung ist längst ein eigenes Beratungs‑Ökosystem: Wer heute Software, Cloud & Co. verkauft, liefert gleich den »passenden Prozess« mit – vom Change‑Workshop bis zum agilen Coaching. Doch was genau macht eine gute Digitalberaterin oder einen guten Digitalberater eigentlich aus? Die Rezepte klingen vertraut: offene Lernkultur pflegen, agil arbeiten, Silos aufbrechen, Nutzerorientierung leben. Klingt stimmig – aber sind das wirklich digitale Besonderheiten oder schlicht Allzweckrezepte jeder Organisationsentwicklung?

Zwischen Buzzword und belastbarer Evidenz

In vielen Empfehlungen zur digitalen Transformation von Organisationen fällt auf: Die sogenannten »Best Practices« sind oft überraschend austauschbar – und kaum spezifisch für die Digitalisierung selbst. Man könnte dieselben Prinzipien mühelos auf ein komplett anderes Veränderungsthema stülpen – etwa den Plan, den Pro‑Kopf‑Eiscreme‑Konsum in der Kantine zu verdoppeln und dafür eine »Ice‑Cream‑Culture« auszurufen. Kurz: Ohne belastbare Daten bleibt Beratung oft Bauchgefühl in schickem Slide‑Deck.

Work4Germany als Real‑Labor: Wenn Digitalisierung auf Verwaltung trifft

Das Fellowship‑Programm Work4Germany (W4G) schafft Evidenz, wo bisher gemutmaßt wurde: Der DigitalService des Bundes entsendet hierbei für sechs Monate interdisziplinäre Fellows – Produktexpertinnen und Produktexperten, Techies, Change‑Begleiterinnen und Change‑Begleiter, Designerinnen und Designer – in die Bundesverwaltung. Aufgabe: Projekte und Aufgaben zur Verwaltungsdigitalisierung und -transformation in Zusammenarbeit mit den Partnerinnen und Partnern sowie den Teams vor Ort voranbringen. Wir evaluieren das Programm zum zweiten Mal in Folge und haben dafür alle Fellows vor und nach ihrem Einsatz gefragt, welche Kompetenzen sie für am wichtigsten halten bzw. tatsächlich gebraucht haben.

Acht Kompetenzfelder im Check

Um greifbar zu machen, welche Fähigkeiten die Fellows im Arbeitsalltag wirklich benötigen, haben wir ihre Antworten in acht Kompetenzkategorien gebündelt. Sie reichen von soliden handwerklichen Methoden über strategisches Systemdenken bis hin zu politischem Fingerspitzengefühl und persönlicher Resilienz. Die folgende Abbildung zeigt diese Kompetenzfelder:

Abbildung 1: Was sind wichtige Kompetenzen einer Digitalisierungsberaterin oder eines Digitalisierungsberaters? Die von den Fellows des Work4Germany-Programms vor dem Programm erwarteten und nach dem Programm als wichtig erachteten Kompetenzen.

Betrachtet man die Häufigkeiten der Nennungen, sind es vor allem Kompetenzen zu Prozessen und Methoden, Kommunikation und Moderation, Strategie und Analyse sowie Haltung und Werte, die bei den Work4Germany Fellows konstant ganz oben rangieren.

Spannend wird der Vergleich zwischen den zwei von uns untersuchten Jahrgängen:

Das Ergebnis: Die Bedeutung von Resilienz wurde von den Fellows der diesjährigen Kohorte kaum noch hervorgehoben – weder zu Beginn noch am Ende des Programms. Stattdessen blieben methodisches Handwerkszeug und strategisches Denken als zentrale Kompetenzen im Fokus. Ein passgenaues Matching zwischen Projekt und Person scheint also die Wirksamkeit von Digitalisierungsprojekten zu erhöhen und Frustration auf allen Seiten präventiv zu minimieren.

Drei unserer Lektionen für eine wirkungsvolle Digitalberatung

Jenseits der Checkliste: Was kann die Digitalberatung von Work4Germany lernen?

Gute Digitalberaterinnen und Digitalberater müssen weit mehr mitbringen als ein spezifisches Set aus Methoden und Tools. Entscheidend ist die Fähigkeit, sich in komplexe Kontexte einzufühlen, in unklaren Situationen handlungsfähig zu bleiben und zwischen verschiedenen Stakeholderlogiken zu vermitteln. Die Evaluation von Work4Germany vermittelt: Kompetenz für Veränderung entsteht im Spannungsfeld zwischen individuellem Können, förderlichen strukturellen Rahmenbedingungen und realistischer Vorbereitung auf Widerstände.

Ein wichtiger Hinweis: Ein Fellowship ist keine klassische Digitalberatung. Die Work4Germany Fellows arbeiten fünf Tage pro Woche direkt in Behörden, um dort neue Kompetenzen aufzubauen und Veränderungsprozesse zu begleiten. In mancher Hinsicht ähneln ihre Aufgaben jedoch der Digitalberatung – etwa beim Setzen von Impulsen oder dem Etablieren neuer Routinen/Arbeitsweisen. Den Ansatz, extern geprägte Rollen in Verwaltungen zu verankern, verstehen wir als eine Best Practice, weil er Veränderung wahrscheinlicher macht und in der Praxis besser verankert als bei der klassischen Beratung. Entsprechend wird dieser Ansatz auf verschiedenen Verwaltungsebenen in Programmen erprobt – etwa im Geschäftsprozessmanagement der Berliner Verwaltung oder beim Digitallotsen-Programm z.B. des Landes Baden-Württemberg, das Mitarbeitende der Kommunalverwaltung zu digitalen Change-Managerinnen und -Managern qualifiziert.

Also: Eine erfolgreiche Digitalisierung hängt weniger von standardisierten Modellen ab – und mehr vom klugen Umgang mit Friktionen, Erwartungen und organisationaler Trägheit. Zentral ist, den Projektkontext und seine Dynamiken gut zu verstehen und eine möglichst gute Passung zwischen Umfeld und den beteiligten Veränderungsakteuren herzustellen – damit diese glaubwürdig, wirksam und authentisch agieren können. Wer das versteht, berät nicht nur besser, sondern nachhaltiger.

Tipp: Mehr Einblicke, wie sich Nachhaltigkeit vom Kostenfaktor zum Geschäftsmodell entwickeln lässt, liefert die Ausgabe 1/25 des »FORWARD Magazins«. Darin erfahrt ihr u. a.:
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Clemens Striebing

Clemens forscht am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO über Organisationskulturen und Diversity in Forschungs- und Entwicklungsprozessen. Er ist überzeugt, dass es die Reibungen zwischen unterschiedlichen Sichtweisen sind, die zu sozialen Innovationen führen.

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