Wir haben Advent; Zeit des Wartens – Kinder warten ungeduldig auf ihre Weihnachtsgeschenke, Verwaltungsmitarbeiter auf die letzten Abrechnungen ihrer Kollegen und die meisten von uns vermutlich einfach auf ein paar ruhige, erholsame Tage zum Jahresende. Wer über die vergangenen Monate die wilde Fahrt des VW-Konzerns verfolgt hat, wartet derzeit aber vielleicht auch auf Neuigkeiten aus Wolfsburg – die Geburt der 13. Konzernmarke wie sie VW-Vorstandsvorsitzender Matthias Müller im Rahmen des Pariser Automobilsalons angekündigt hat:
»Das neue Geschäftsfeld für Mobilitätsdienste wird zur 13. Marke des Volkswagen Konzerns. Bis 2025 soll diese 13. Konzernmarke zu den drei führenden Anbietern urbaner Mobilitätsdienstleistungen gehören und Marktführer in Europa werden. Details dazu erfahren Sie im November.« Quelle: www.volkswagen-media-services.com
Dass der Zeitplan nicht ganz eingehalten wurde, ist weniger überraschend als die Tatsache, dass die Konzernlenker eine eigene Marke für urbane Mobilitätsdienstleistungen ins Leben rufen – eine noch ungetaufte 13. Marke, gleichberechtigt neben so traditionsreichen und mythenbehafteten Heroen der Automobilwelt wie Audi, Porsche oder gar Bugatti, Bentley und Lamborghini, die allesamt die Nachnamen großer Automobilkonstrukteure der frühen Jahre zitieren.
Neue Märkte – neue Marken?
Zugegebener Weise werden die wenigsten von uns die genannten Marken mit Werten gleichsetzen, die für urbane Mobilitätslösungen angebracht erscheinen. Aber könnte sich dieser Aufgabe nicht einfach eine der eher pragmatischen Schwestern Skoda oder Seat oder die Kernmarke Volkswagen annehmen? Schließlich gilt Volkswagen als Erfinder des Käfers irgendwie auch als Erfinder der bezahlbaren, motorisierten Individualmobilität. Scheinbar trauen die Wolfsburger Konzernlenker die Aufgaben einer neu entstehenden Mobilitätsindustrie etablierten Autobauern nicht zu – und mit dieser Meinung sind sie nicht alleine! Ebenfalls auf dem Pariser Automobilsalon präsentierte auch Daimler seine neue Konzernstrategie inklusive der dazugehörigen Subbrand Daimler EQ:
»Die neue Produktmarke repräsentiert ›Emotion und Intelligenz‹, zwei Markenwerte von Mercedes-Benz. Sie umfasst alle wesentlichen Aspekte für kundenorientierte Elektromobilität und geht über das Fahrzeug hinaus. EQ bietet ein umfassendes elektromobiles Ökosystem aus Produkten, Services, Technologien und Innovationen.« Quelle: www.daimler.com
Während es VW für relevant erachtet, dem Innovationsbereich »Mobilitätsdienstleistungen« eine eigene Marke zu widmen, gliedert Daimler die Vermarktung des FuE-Feldes »Vernetzte Elektromobilität« aus. Beide Themenbereiche gelten neben der »Fahrzeugautomatisierung« als wesentliche Innovationsfelder der Automobilindustrie. Als grundsätzliche technologische Treiber aller Trends kann dabei aber vor allem die zunehmende Vernetzung und Digitalisierung der Fahrzeuge angeführt werden. Mit ihren neuen Marken versucht die Automobilbranche sich mehr und mehr der IT-Welt zu nähern: Etwa wurde die Präsentation von EQ in Jeans und nicht im sonst branchenüblichen Anzug vorgetragen und die 13. VW-Marke bewusst in der Digitalszene Berlins und nicht in einer der traditionellen Automotive-Hochburgen angesiedelt.
»Born digital«
IT-Kompetenzen werden zu einem wichtigen Asset im Automobilbau – etablierte Hersteller heuern Heerscharen von Informatikern an, während IT-Giganten wie Apple, Google, aber auch Samsung und Amazon ihre Chance wittern und ihre Fühler – in Form von FuE-Projekten und Akquisitionen – Richtung Automobilindustrie ausstrecken. Viele Experten, aber auch Konsumentenbefragungen sehen einen kommenden Kampf zwischen Automobilbauern und »IT-Eroberern« um die Gunst der Automobilkunden. Die Kundenschnittstelle zum vernetzen »automobilen User« gilt dabei als entscheidendes Schlachtfeld. Versuchen die Automobilhersteller also – im Wissen um ihre eher technologisch fundierten Kompetenzen und ihr fahrzeugorientiertes Image – mit ihren neuen Marken neue, kundenorientierte Akteure ins Leben zu rufen, die es mit den IT-Mächten aufnehmen können? Ist die bestehende Art, Autos zu denken, zu entwickeln, zu bauen und zu vermarkten dem Konkurrenzkampf vielleicht gar nicht gewachsen? Sehr interessant ist in Bezug auf diese Frage die Betrachtung einer weiteren neuen Marke – der Automobilmarke LYNK & Co, eine neue Subbrand des chinesischen Konzerns Geely, die mit freundlicher Unterstützung der europäischen Konzerntochter Volvo ins Leben gerufen wurde – konzipiert nach dem Motto »Born digital«:
„A new name, a new game. No rule books, no conventions, no traditions.
Behind the new name lies unrivalled experience.
Together, we’re changing how we think about cars. How we access them,
how we use them and how they fit into our lives. Everything.“ Quelle: www.lynkco.com
Erfolg von heute ist die Schwäche von morgen
Erfordert der digitalisierte Automobilmarkt der Zukunft also ein völlig neues Denken? Ein völlig neues Verständnis dessen, was ein Auto ist? Sind die bisher erfolgreichen Firmen nicht eigentlich am besten geeignet, den neuen Markt objektiv einschätzen und gestalten zu können? Das »Innovator’s Dilemma« beschreibt genau das Gegenteil: Etablierte, erfolgreiche Firmen sind aufgrund ihrer internen Prozesse, Strukturen und aufgebauten Kompetenzen sowie Belegschaften oftmals nicht in der Lage, neue Ideen und Innovationen in marktfähige Produkte zu verwandeln. Dies liegt insbesondere an ihrem Erfolg, der darauf bergründet liegt, dass sie optimal auf den geltenden Wettbewerb ausgerichtet sind – ändert sich der Wettbewerb, fällt es ihnen entsprechend schwer, ihren bisher erfolgreichen Weg zu verlassen: Sie folgen Prozessen, die auf einer möglichst genauen Marktkenntnis beruhen, werden aber mit einem weitgehend unbekannten Markt konfrontiert, sie beschäftigen die besten Experten und Entwickler zur evolutionären Technologieentwicklung, stehen aber vollkommen neuen, revolutionären Technologien gegenüber und sie haben sich ein klar konturiertes Markenbild aufgebaut, das der Nachfrage des alten Marktes entspricht, wogegen die Kunden aber gerade neue Werte für sich entdecken. Neue, junge Firmen können sich dahingegen optimal auf den neuen Wettbewerb ausrichten und diesen somit mittelfristig bestimmen. So konnte beispielsweise Tesla eindrucksvoll nachweisen, dass man auch begehrenswerte Elektroautos bauen und neuerdings auch noch Geld damit verdienen kann – eine Aufgabe an der sich die etablierten Autobauer über Jahrzehnte die Zähne ausgebissen hatten.
Wie löst man das Dilemma?
Das Wissen um diese disruptive Bedrohung ist jedoch auch den etablierten Firmen bekannt, die inzwischen Strategien entwickelt haben, um dem Schicksal der gefallenen Titanen wie Kodak oder Nokia zu entgehen. Eine der gängigsten Strategien ist es dabei, ebenfalls neue, junge Firmen zu gründen, die sich einem frischen, noch weitestgehend unbekannten Markt stellen – gelöst von Prozessen, Kompetenzen und Markenwerten ihrer Mütter. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die Subbrand BMW i. BMW hatte erkannt, dass Elektrofahrzeuge nur schwer innerhalb der Strukturen eines etablierten Automobilbauers zu entwickeln sind und daher frühzeitig eine neue Marke entwickelt, um das neue Geschäftsfeld in Ruhe zu entwickeln und dann kontinuierlich in die alte Marke einzugliedern. Und heute? Heute gibt es Gerüchte, dass BMW das Gelernte weitergeben möchte und darüber nachdenkt, über eine hauseigene Beratungsfirma etablierte Firmen bei der Gründung neuer Marken zu beraten – das Imperium schlägt zurück! Quelle: www.autocar.co.uk
In brands we trust?! Wer bestimmt das Fahrzeug der Zukunft?
Wer die Automobilindustrie der Zukunft bestimmt, kann derzeit niemand genau sagen – aber es lässt sich trefflich darüber diskutieren! Daher haben wir unser diesjähriges Forum FutureCar unter den Titel »In brands we trust?! Wer bestimmt das Auto der Zukunft?« gestellt. Am 8. Dezember wollen wir uns am Fraunhofer IAO in Stuttgart gemeinsam mit Experten aus Wirtschaft und Industrie der Frage stellen, inwiefern unsere Automobilhersteller für die digitale Transformation ihrer Industrie gewappnet sind. Kommen Sie dazu und teilen Sie uns ihre Meinung mit!
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