Der Begriff »Disruption« wird momentan geradezu inflationär verwendet: ob in Vorträgen, Presseartikeln, von Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik: Kein Vortrag über die Zukunft, kein Artikel, in dem nicht von Disruption die Rede ist. Aber was bedeutet Disruption im eigentlichen Wortsinn? Nach Duden meint es einfach »zerrüttend«, »zerreißend«, »durchschlagend«. Mit anderen Worten: grundsätzliches Anderssein des Nachherigen. Eingeführt hat den Begriff vor 20 Jahren der Harvard-Professor Clayton Christensen: in seinem Buch »The Innovator’s Dilemma« schrieb er über »disruptive Technologien«. Etablierte, erfolgreiche Unternehmen scheitern, so seine These, wenn sie von umstürzenden Innovationen attackiert werden. »Schöpferische Zerstörung« nannte das schon ein halbes Jahrhundert zuvor der österreichische Harvard-Ökonom Joseph Schumpeter.
Wie Phönix aus der Asche? Wie viel Zerstörung braucht ein Neuanfang?
Disruptionen in Geschäftsmodellen oder Technologien beschreiben demnach erhebliche – gar dramatische – Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Ob es eine aktive schöpferische Zerstörung braucht um wirklich Neuem den Weg zu ebnen, oder ob es auch ausreichend ist, sehr schnell ablaufende und erhebliche Veränderungen der bisherigen Wertschöpfung zu organisieren, um nachhaltig erfolgreich zu sein, darüber kann man sicherlich streiten. Aber eines scheint klar zu sein: in vielen Wirtschaftsbereichen kann und wird es kein »weiter so oder so ähnlich« geben, sondern es werden signifikant andere Formen des Wirtschaftens entstehen (müssen). Wenn wir an große Transformationen denken, wie die des Energiesystems (unsere Energiewende) oder die des Mobilitätssystems (hin zur emissionsfreien Mobilität) wird schnell klar: hier sind sehr große Dinge im Gange.
Disruptionspotenzial der Digitalisierung gilt für alle Branchen
Manche fragen, warum müssen wir denn so radikal sein, geht es nicht auch etwas gemütlicher oder geordneter? Müssen wir wirklich »disruptiv« denken und handeln oder reicht nicht auch eine zügige Evolution? Nun jedenfalls gilt der alte Spruch »Das Bessere ist des Guten größter Feind.« Wenn die Disruptionspotenziale der Digitalisierung beispielsweise durch die Nutzung globaler Plattformen gegeben sind, wie wir es bei Google, Amazon oder Facebook kennengelernt haben, dann müssen wir uns schon fragen, ob wir nicht auch in anderen, traditionell vielleicht etwas behäbigeren Wirtschaftszweigen, auch auf solche grundsätzlich anderen Wertschöpfungsprinzipien setzen müssten: Plattformökonomie, Sharingökonomie, Mass Personalization.
Technologien mit Disruptionspotenzial – von Ambidextrie bis Smart City Financing
Es gibt also gute Gründe dafür, sich den Potenzialen, den Chancen und den Gefahren von Technologien und Wandlungsphänomenen anzunehmen, die disruptives Potenzial haben.
In einer Blogreihe widmen wir uns daher folgenden Technologien und Anwendungsfeldern mit Disruptionspotenzial:
- Internet of Things: Smart Services, Industrie 4.0, Mensch-Maschine-Interaktion
- Künstliche Intelligenz: Neuroarbeitswissenschaft
- Blockchain: Smart Contracts, sichere Transaktionen, Vertrauen als Währung im Netz
- 3D-Druck: Prototypen, Kleinserien, Gewichtersparnis
- Cyber-Security: Vertrauenswürdigkeit, virtuelle Identität, effiziente elektronische Transaktionen, eProcurement, eJustice, eHealth
- Datenschutz: EU-Datenschutzgrundverordnung
- System Stadt: Mobilitätssystem, Logistikinnovationen, Energiesystem, Finanzdienstleistungen
- Digitale Arbeitswelten: Ambidextrie im Unternehmen, agile Organisationsformen, Innovationsprozesse, Zukunftsfähige Führung
- Geschäftsmodelle: Wirtschaftsprinzipien, digitale Plattformen
Ich lade Sie herzlich dazu ein, auch Ihre Sichtweise und Anregungen zum Thema »Digitale Disruption« hier im IAO-Blog einzubringen und mit unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Rahmen der »Industriewoche Baden-Württemberg 2017« am 22. Juni direkt zu diskutieren.
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