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Flug-Scham? Cloud-Scham? Warum wir polarisierungsfrei über Digitalisierung und Klimaschutz reden müssen

Klimacheck – Blogreihe zum betrieblichen Klimaschutz
Klimaschutz ist ein spannendes sowie komplexes Thema zugleich und stellt Unternehmen und insbesondere KMU vor Herausforderungen, Fragezeichen und nicht zuletzt zukunftsweisende Chancen. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe »Klima-Impact« des Fraunhofer IAO hat die Blogreihe »Klimacheck« gestartet, um Orientierung zum Thema betrieblicher Klimaschutz zu geben und Unternehmen anhand von Handlungsempfehlungen und Praxisbeispielen zu ermutigen, ihren Beitrag für eine klimabewusste Zukunft zu leisten.

Die Corona-Krise hat die Digitalisierung aller Lebensbereiche noch einmal verstärkt. Das Arbeitsmeeting findet über Teams statt, der Kinoabend über Netflix, der Glühwein mit Freunden über Zoom.

Die Virtualisierung unseres Alltags erscheint auf den ersten Blick immateriell – sie hinterlässt jedoch erhebliche Spuren in unserer materiellen Realität.

Der Klimaimpact vom Streamen & Co.

Digitale Geräte (Smartphones, Laptops & Co.) erfordern für ihre Herstellung den Einsatz von Rohstoffen und Energie. In der Nutzungsphase verbrauchen sie Strom, am Ende ihres Lebenszyklus müssen sie entsorgt werden – oft unter Einsatz von umweltschädlichen und sozial ungerechten Entsorgungspraktiken.

Laut einer aktuellen Studie von Ericsson verbraucht die IKT-Industrie weltweit ca. 3 Prozent des Stroms und verursacht damit 1,4 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Mit diesem Prozentsatz nähert sich der CO2-Ausstoß der IT-Branche an den des Flugverkehrs an. Der Vergleich zwischen den Emissionen aus der IT- und der Flugbranche ist zwar verführerisch, die Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Dabei spielt es eine Rolle, ob zusätzliche klimaschädliche Folgen (z.B. Kondensstreifen und Veränderungen der Bewölkung) und der durch die Herstellung der Flugzeuge und den Bau von Flughafen verursachte Ausstoß in der Berechnung der CO2-Emissionen berücksichtigt wird bzw. aus welchen Quellen der Strom stammt, der für den Betrieb von digitalen Geräten und Rechenzentren eingesetzt wird.

Tatsache bleibt: Streamen, Sharen und Liken haben eine Auswirkung auf unseren Klimafußabdruck. Einige sprechen schon von »Cloud-Scham«, in Analogie mit dem bereits seit einiger Zeit bekannten Begriff »Flugscham«, d.h. die Empfindung von Scham hinsichtlich der Benutzung von Verkehrsflugzeugen. Übertragen auf »Cloud-Scham«: der Verzicht auf Internetsurfen im Namen vom Klimaschutz oder zumindest das Entstehen eines Schamgefühls, wenn man sich doch die nächste Netflix-Serie anschaut.

Aber wie steht es wirklich mit der Klimaauswirkung der IT? Sollen wir uns tatsächlich für die Extra-Streaming-Stunde schämen? Meine Kolleginnen Josephine Hofmann, Doris Ansu-Holz und ich gehen in einem Artikel in der HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik (siehe Leselinks) u.a. auch auf diese und ähnliche Fragestellungen ein. Hier habe ich für Sie ein paar Gedankenanstöße zusammengefasst.

Digitalisierung – Klimakiller oder Klimaretter?

Die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte. Das Verhältnis zwischen Klimaschutz und Digitalisierung ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Einerseits kann die Digitalisierung eingesetzt werden, um unsere Wirtschaft, unsere Städte, unsere Mobilität, unsere Arbeit und unsere Produktionsprozesse nachhaltiger und klimafreundlicher zu gestalten. Beispiele, wie das gehen kann, gibt es schon zahlreiche. In der Logistik wird IT zur Optimierung von Lieferrouten und somit zur Einsparung von Treibstoff und THG-Emissionen eingesetzt. In unseren Städten dienen MaaS-Plattformen (mobility as a service-Plattformen) und -Apps zur Reduzierung des Individualverkehrs und der damit verbundenen THG-Emissionen. In der Arbeitswelt führt die Hinwendung zur digitalen Arbeit zu einer Reduktion von THG-Emissionen durch weniger Pendelverkehr und Geschäftsreisen.

Andererseits ist Digitalisierung selbst Teil des Problems: die hohen Stromverbräuche, die steigende Nachfrage von Rohstoffen, die umweltschädlichen Entsorgungspraktiken von Elektroschrott sind nur einige der kritischen Aspekte, die in der Gestaltung einer klimafreundlichen Digitalisierung zu berücksichtigen sind.

Was können Unternehmen tun, um einen Beitrag zu leisten?

Während einige dieser Aspekte, wie z.B. der Umgang mit Elektroschrott, größere politische Handlungen erfordern, können Unternehmen an anderen Stellen mit relativ einfachen Mitteln ansetzen. Zu den ersten Schritten in Richtung klimafreundliche Ausgestaltung der eigenen IT zählen zum Beispiel die Ausstattung der eigenen Mitarbeitenden mit stromsparenden Laptops, die standardmäßige Abschaltung von Bildschirmen und Druckern nachts und an Wochenenden, die Kompensation von den Emissionen aus der firmeneigenen Webseite durch die Investition in Klimaschutzprojekte. Auch ein klimafreundlicher Betrieb der Serverinfrastruktur kann zu Klima- und Kostenvorteilen führen, z.B. durch die Wärmewiederverwendung mithilfe einer Wärmepumpe.

Darüber hinaus können Unternehmen durch die Systematisierung von flexiblem, mobilem Arbeiten und die Förderung von digitaler Arbeit einen erheblichen Beitrag zur Reduzierung von THG-Emissionen aus dem Pendelverkehr und aus Geschäftsreisen leisten.
Eine im August im Auftrag von Greenpeace erschienene Studie des IZT zeigt: Würden 40 Prozent der Arbeitnehmenden in Deutschland dauerhaft an zwei Tagen pro Woche von zu Hause arbeiten, würde der THG-Ausstoß im Verkehr um 5,4 Millionen Tonnen pro Jahr sinken. In einer ebenso im Sommer 2020 erschienene Studie vom Wuppertal Institut und EY wird es für realistisch gehalten, dass in der Post-Corona-Zeit 30 Prozent aller Geschäftsreisen durch virtuelle Meetings ersetzt werden. Vor allem in Sachen digitaler Arbeit haben wir alle so viel in der Corona-Zeit gelernt: Lasst uns diesen Erfahrungsschatz auch für die Zeit nach Corona nutzen und dadurch einen Beitrag zur klimafreundlichen Entwicklung – auch in und durch die IT – leisten.

Leselinks:

Claudia Ricci

Claudia Ricci ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IAO im Team »Zusammenarbeit und Führung«. Sie begleitet Forschungs- und Industrieprojekte zu Fragestellungen rund um neue, zukunftsfähige Formen der Arbeit und interessiert sich für die Themen der Nachhaltigkeit und deren Verankerung in Arbeitsweisen und Arbeitsabläufen.

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