Normalerweise ist die Osterzeit eine beliebte Jahreszeit, um sich wieder ins Grüne zu begeben. Beim Gedanken an überfüllte Parks oder das erste Kaltgetränk im Biergarten kommen Frühlingsgefühle auf und der Wunsch, die Lieben über die Feiertage wiedersehen zu können. Und schon fragt eine Stimme im Hinterkopf: Frühlingsgefühle, Social Distancing und der Drang nach lauen Nächten – passt das aktuell zusammen? Wie können wir den anstehenden Frühlingsanfang in diesem Jahr genießen? Im Sommer konnte man immerhin noch auf Parks, neu entstandene Außenbereiche und Terrassen zurückgreifen. Doch nun stellt sich die Frage, wie wir den Infektionsschutz vor dem Hintergrund des menschlichen Bedürfnisses nach sozialer Interaktion bewerten wollen. Die Einschnitte, die wir in den letzten Monaten in unserem Privatleben hinnehmen mussten, haben gezeigt, dass der Bedarf nach Raum während der Pandemie eklatant gestiegen ist und insbesondere der öffentliche Raum für das menschliche Wohlbefinden eine große Rolle spielt.
Historisch betrachtet waren Krisen immer schon Zeiten des Umbruchs und der Veränderung. Die Corona-Krise hat in kürzester Zeit offengelegt, was in unserer Gesellschaft nicht richtig funktioniert und uns dazu gezwungen, uns mit echten Lösungsansätzen auseinander zu setzen und unsere Gewohnheiten zu ändern. Sie zeigt aber auch, dass wir durchaus fähig sind, schnelle Lösungen zu finden. Im Folgenden stelle ich ein paar Maßnahmen vor, die Städte schon jetzt umsetzen können – die aber auch für die Zeit nach dem Lockdown wertvoll sein können:
1. Alternativnutzung von ungenutzten Flächen durch Vernetzung
Unter Einbeziehung und Vernetzung unterschiedlicher städtischer AkteurInnen wie Kreativschaffenden, GrundstückseigentümerInnen sowie Wirtschaft und Verwaltung können aktuell ungenutzte Flächen wie leerstehende Clubs oder Gemeindehallen sichtbar gemacht und Potenziale für Alternativnutzungen aufgezeigt werden. Die Impfzentren, die vielerorts in Sporthallen aufgebaut wurden, sind nur eins von vielen Beispielen, die zeigen, welche Möglichkeiten sich aus Zweitnutzungskonzepten ergeben können. Durch Transparenz können Städte und Regionen resilienter aufgestellt sowie Kultur und Wirtschaft gestärkt werden, indem Kreativität und Partizipation gefördert werden. Insbesondere in der Corona-Pandemie wird das Potenzial von Netzwerken deutlich, die es ermöglichen, Erfahrungen über Stadtgrenzen hinaus auszutauschen und sich gegenseitig zu inspirieren. Einen Beitrag hierzu leistet das Fraunhofer Morgenstadt Netzwerk, welches den regelmäßigen kommunalen Austausch fördert (siehe Leselinks).
2. Recovery Plan für Kultur und Nachtwirtschaft
Das Nachtleben trägt maßgeblich zum Image einer Stadt bei und kann einen wesentlichen Teil des Wirtschaftstourismus ausmachen. Für junge Arbeitskräfte ist das Nachtleben auch entscheidend für den Zuzug in eine neue Stadt. Bisher bestanden die Herausforderungen für die Nachtökonomie in der Konfliktbewältigung zwischen BewohnerInnen und Nachtschaffenden, Mobilität und Sicherheit. Nun kommt außerdem der Stillstand des freizeit- und konsumorientierten Nachtlebens hinzu. Mögliche Lösungswege erfordern eine datenbasierte und auf Tageszeiten angepasste Stadtplanung sowie regulative und politische Rahmenbedingungen. Dabei ist es wichtig, die verschiedenen Interessen zu bündeln und in konkrete Lösungen zu überführen – eine Aufgabe, denen sich bereits in vielen Großstädten NachtbürgermeisterInnen widmen. Ebenso zeigt der »Global Nighttime Recovery Plan (Covid-19)«, an dem auch das Fraunhofer IAO beteiligt ist, wie solche Lösungen aussehen können: In insgesamt sieben Kapiteln umfasst dieser Plan innovative und kreative Best Practices u.a. zur Umnutzung von Frei- und Tanzflächen, innovativen Beleuchtungen oder nächtlicher Mobilität (siehe Leselinks). Die neue App Luca, welche die Kontaktdatenübermittlung für Veranstaltungen, Gastronomie und private Treffen verschlüsselt dokumentiert, unter anderem entstanden mit prominenter Unterstützung aus der Kulturszene, wird bereits testweise bspw. in Freiburg angewendet. Auch die offizielle Corona-Warn-App möchte diese Funktion bald schon integrieren.
3. Digitale Daten als Entscheidungsgrundlage und Hilfsmittel
Vielversprechende Ansätze für den wirtschaftlich gebeutelten Einzelhandel finden sich auch in digitalen Lösungen wie neuste Erkenntnisse des IoT-Reallabors »Lemgo Digital« zeigen. Hierzu zählt u.a. Sensorik zur Situationserkennung, mit deren Hilfe sich beispielsweise die Passantenfrequenz messen lässt. Um unter den gegenwärtigen Bedingungen Veranstaltungen durchzuführen, bietet Datentracking wie der »Social Distance Index« eine gute Entscheidungsgrundlage. Hierbei handelt es sich um einen auf Basis historischer Daten angelernten Indikator, der den maximalen Füllstand einer Stadt angibt, bei dem der Corona-bedingte Abstand noch eingehalten werden kann. Zusätzlich können Technologien dieser Art wie z.B. ein »Distance Keeper« in Form von Abstandsampeln als Hilfsmittel für die Einhaltung der Abstandsregeln eingesetzt werden.
4. Ökologische Beispiele für Einzelhandel und Gaststättengewerbe
Bisher noch auf Außer-Haus-Verkäufe angewiesene Gaststätten und der Anstieg von Online-Einkäufen haben währen der letzten Monate zu einer rasanten Zunahme des Verpackungsmülls, insbesondere im Einwegbereich, geführt. Schnell konnten sich dabei auch ökologisch sinnvollere Alternativen etablieren: So wurde beispielsweise das aus der Getränkeindustrie bekannte Pfandsystem vom Münchner Unternehmen RECUP bereits vor Jahren deutschlandweit für den Coffee-to-go Becher etabliert. Mit der REBOWL oder dem aus Stuttgart stammenden Anbieter reCIRCLE gibt es nun auch keine Ausrede mehr, Take-away-Gerichte in nicht recyclingfähigem Polystyrol zu verpacken – auch nach der Pandemie.
Ein weiteres Beispiel dafür, wo ein Umdenken dringend notwendig ist, ist der Online-Versand: Warum nicht gerade in Zeiten extremer Nachfrage auf ökologisch sinnvolle Mehrwegverpackungen setzen? Das aus Finnland stammende Verpackungskonzept RePack ist bereits bei namhaften deutschen Onlinehändlern im Einsatz.
Eine Abwägung von Maßnahmen ist notwendig
Sowohl die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums als auch Mobilitätskonzepte müssen über die Dauer der Pandemie hinaus neu gedacht werden. Dabei ist es notwendig, die Nachhaltigkeit von Maßnahmen auf lange Sicht hin abzuwägen. Nicht alle, die aktuell sinnvoll erscheinen und zu kurzfristigen Lösungen beitragen, sind es auch noch nach der Pandemie. Ebenso benötigt es Raum, um kurzfristig implementierte Innovationen langfristig durchzusetzen.
Wir können Parkplätze zur Nutzung von FußgängerInnen oder der Gastronomie freigeben, Click&Collect-Konzepte übernehmen und als städtische Alternative zu großen Onlinehändlern etablieren. Wir können soziale Interaktion im urbanen Raum befähigen, Platz schaffen für sichere Zusammenkünfte aller Generationen mit vermehrten Grünflächen und wir können schnell verwaltungstechnischen Aufwand reduzieren und kurzfristig Raum für Experimente schaffen. Wir haben gelernt, dass wir lernen können.
Nun gilt es, weiterzudenken, den sich öffnenden Raum für Innovationen zu nutzen und umzudenken, sodass das langfristige Überleben des Einzelhandels und unserer Innenstädte, des Gaststättengewerbes und unserer vielseitigen Kulturveranstaltungen gesichert werden kann, während wir gleichzeitig unsere viel größere nächste Herausforderung nicht aus den Augen verlieren dürfen: die Klimakrise.
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