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KI-generierte Nutzende und Personas für die Marktforschung und für Innovationsprozesse

Als langjährig im UX-Bereich tätige Wissenschaftlerin ist für mich bei der Produktentwicklung die Einbindung von echten Menschen mit all ihren Eigenschaften, Präferenzen, Werten und Bedürfnissen der Goldstandard – da geht einfach nichts drüber. Auf der anderen Seite ist das sehr aufwändig und häufig kostenintensiv – und wird deswegen oft vernachlässigt. Was wäre wenn eine KI – als wäre sie eine bestimmte Person – eine Produktentwicklung bewerten könnte? Kann ich eine vergleichbare Qualität wie bei Gesprächen mit echten Menschen – aber vielleicht mit wesentlich weniger Aufwand – erwarten?

Synthetische KI-Personas – wie bewertet meine Zielgruppe mein Produkt?

Synthetische Personas sind KI-generierte Nutzerprofile, die helfen sollen, Zielgruppenverhalten realitätsnah zu simulieren. Sie übernehmen Denkweisen, Wertesysteme, Lebens- und Anwendungsziele ihrer realen menschlichen Vorbilder, beispielsweise einer bestimmten Zielgruppe. Wie reale Testpersonen ermöglichen sie es den Unternehmen, frühzeitig Rückmeldung zu ihren Produktentwicklungsideen zu erhalten und Prototypen entsprechend zu verbessern. Bereits vor einiger Zeit haben wir nachgewiesen, dass synthetische generierte Personas auch von UX-Expertinnen und -Experten nicht von manuell erzeugten unterschieden werden können (vgl. Schuller et. al. 2024). Jedoch suggerieren diese Personas oft eine Nähe zur Realität, die sie gar nicht leisten können – sie basieren auf Modellen, nicht auf echten Menschen. Die Annahmen über das Verhalten der Zielgruppe sind hypothetisch und KI-generiert – und nicht verifizierbar. Wer sich zu sehr auf solche Simulationen verlässt, riskiert, am tatsächlichen Nutzer oder der Nutzerin vorbei zu entwickeln. Plastisch gesagt: Nur weil ich zu ChatGPT sage, »sage mir, was ein 45-jähriger Automechaniker mit drei Kindern zu dieser Idee sagen würde«, weiß ich noch lange nicht, ob die Antwort auch der Realität entspricht.

Mindset Twins – 1:1 ein Abbild eines echten Nutzers?

Personas stellen immer eine Verallgemeinerung einer Zielgruppe dar. Dementsprechend schwierig ist es zu bewerten, wie sich die Personen dieser Zielgruppe typischerweise verhalten würde. Aber was wäre, wenn wir uns zunächst einmal den einzelnen Personen widmen und diese untersuchen? Inwieweit können wir das Verhalten und die Entscheidungen einzelner Personen mit KI vorhersagen? An der Stanford University hat sich Ende letzten Jahres eine Forschungsgruppe genau diese Frage gestellt. In einer Studie mit über 1000 Personen wurde untersucht, wie Meinungen und Einstellungen durch eine geschulte KI vorhergesagt werden können. Die Datenbasis lieferten zweistündige Interviews. Das überraschende Ergebnis: Die Antworten zum Beispiel auf eine standardisierte Umfrage, der amerikanischen »General Social Survey«, sind anschließend mit einer Präzision von 85 Prozent durchaus vergleichbar damit, wie konsistent Menschen generell im Zeitverlauf auf derartige Fragestellungen antworten. Aus den generellen Meinungen und Einstellungen lassen sich aber noch nicht unbedingt Produktpräferenzen nachempfinden. Daher haben wir im Rahmen des vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium geförderten Projekts »SozioMimic« untersucht, inwieweit wir durch mehr qualitative und quantitative Daten bessere Vorhersagen in den für Innovationsprozessen relevanten Fragestellungen erhalten können.

SozioMimic – Mindset Twins für Produktentwicklung und Innovationsprozesse

Wir haben auf Basis einer Tagebuchstudie, zwei Interviews und drei Online-Befragungen so genannte Mindset Twins erstellt: Digitale Nachbildungen der Persönlichkeiten unserer Probandinnen und Probanden. Diese Twins sollen eine Vielzahl von Frageformaten beantworten können – von der Bewertung von Werbeslogans bis hin zu Feedback zu Produktbeschreibungen reicht die Bandbreite. Dabei haben wir Fragestellungen aus unterschiedlichen Branchen berücksichtigt: Banking, Freizeit- und Urlaubsverhalten und auch allgemeine Shopping- und Konsumpräferenzen. Da Marktforschungsfragen häufig »gefühlsmäßig« beantwortet werden, also Einstellungen, Assoziationen und implizites Wissen eine große Rolle spielen, ist es wichtig, dass auch die Begründungen für eine bestimmte Antwort mit in die Konfiguration des Mindset Twin einfließen – nur so kann die KI auch einen »Transfer« in einer gewissen Weise leisten und neuartige Fragestellungen im Sinne des Urhebers beantworten.

Ausblick

Die erzeugten Mindset Twins werden im Rahmen des Forschungsprojekts SozioMimic grundlegend validiert. Die ersten Ergebnisse sind sehr vielversprechend – die Twins scheinen auf Fragestellungen sehr ähnlich wie die Urheber der Twins zu antworten. Noch stehen jedoch weitergehende Evaluierungen aus – aber die Vertrauensprobleme, die synthetischen Personas haben (antwortet die Persona wirklich im Sinne der Zielgruppe?) sind durch die umfangreiche Datenbasis wesentlich geringer.

Der Weg zu besseren Produkten führt über Vielfalt: Menschliche Perspektiven und KI-gestützte Analysen ergänzen sich, statt einander zu ersetzen. Indem Unternehmen beide Ansätze bewusst kombinieren, schaffen sie die Basis für innovative, zukunftsfähige Lösungen. Und indem die Datenbasis vergrößert wird – beispielsweise, indem Unternehmen ihre Daten teilen und dadurch von besseren Twins profitieren – können schlussendlich über die reinen Twins hinaus, zukünftig auch KI-generierte Personas erstellt werden, die auf Aussagen echter Menschen basieren und diese wiederspiegeln. Unternehmen, die sich für eine Zusammenarbeit mit uns interessieren und gerne eigene Twins entwickeln wollen, sind herzlich eingeladen, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

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Doris Janssen

Wirtschaftsinformatikerin mit Faible für Human Factors, leitet das Team »User Experience«. Forscht zu menschengerechtem Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

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