Immer häufiger setzen Unternehmen auf kreative neue Methoden wie Design Thinking oder Hackathons, um Produkte zu entwickeln, Bestehendes neu zu denken oder um sich Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen. Doch wer wirklich kundenzentrisch innovieren will, sollte nicht nur für Kunden und Nutzer entwickeln, sondern idealer Weise mit ihnen. Das so genannte Crowd Engineering bietet Unternehmen die Möglichkeit, die Produktentwicklung zu öffnen und Interessierte oder Anwender direkt in Innovationsprozesse einzubinden.
Der Mehrwert liegt klar auf der Hand: Mehr kreative und relevante Köpfe können sich mit einem Problem beschäftigen und aus ihrer authentischen Erfahrung heraus passgenaue und praxisnahe Lösungen entwickeln. Diese »Prosumenten« (Wortmischung aus Profession und Konsument) sehen das Produkt mit Augen des Entwicklers und des Kunden und nehmen die Anwendung bereits in der Entwicklung vorweg. Diese Art der Entwicklung ist offen für alle und sorgt für mehr Diversität und Interdisziplinarität. Für die Unternehmen vergrößert sich so das Spektrum der Perspektiven und damit der Möglichkeiten, wirklich Neues zu entwickeln.
Aber warum interessieren sich bisher nur einzelne Unternehmen dafür? Im Projekt »RoboPORT« haben wir viele Erkenntnisse gewonnen, wie verteilte Entwicklung, insbesondere durch die Unterstützung mit digitalen Werkzeugen, erfolgreich angewendet werden kann.
Von closed zu open innovation: größerer Lösungsraum und schnellere Entwicklung
Die notgedrungen virtuelle Zusammenarbeit in Zeiten von Corona bringt nicht nur Unannehmlichkeiten mit sich, sondern auch viele Vorteile und funktioniert in den meisten Fällen reibungslos. Viele Unternehmen ermöglichen ihren Mitarbeitenden während des Lockdowns das Arbeiten auch von zuhause und die meisten einfachen Bürotätigkeiten lassen sich hervorragend auch im Homeoffice erledigen. Die Herausforderung wird jedoch größer, wenn die Prozesse komplexer werden und mit größeren Abhängigkeiten verbunden sind. Dabei wird jedoch einzig auf die Fähigkeiten der eigenen Mitarbeitenden gesetzt – wir nennen das »closed innovation«. Doch auch viele interaktive Tätigkeiten lassen sich gerade mit den Möglichkeiten der virtuellen Vernetzung effektiv und zeitsparend digital umsetzen. Crowd Engineering befähigt Unternehmen dazu, viele Akteure außerhalb des eigenen Unternehmens einzubinden und so innovative Produkte schneller und kostengünstiger zu realisieren. Dennoch passiert dies recht selten. Als Gründe werden der vergleichsweise höhere Management-Aufwand und fehlende Werkzeuge zur Unterstützung der Prozesse aufgeführt.
Gerade jetzt in Zeiten von Online-Meetings und Videokonferenzen ist es so einfach wie noch nie zuvor, verschiedene Fachleute zusammenzubringen und im Sinne von Open Innovation mit ins Boot zu holen. Im Projekt »RoboPORT« haben wir deshalb ein IT-basiertes Werkzeug – die »Crowd Engineering Plattform« – entwickelt, um diese Hindernisse aufzulösen (Abbildung 1).
Diese ermöglicht die Einbindung verschiedener Stakeholder im Entwicklungsprozess, eine gleichberechtigte Beteiligung aller interessierten Teilnehmer, die Wiederverwendung von Erkenntnissen und Ergebnissen aus erfolgreichen Projekten, die Unterstützung von innovativen Ansätzen in der Entwicklung, eine geeignete Toolintegration zur effektiven Innovationsrealisierung sowie den Aufbau einer Entwickler-Community.
Abbildung 1: Kerngedanke der Plattform zur Unterstützung von Crowd Engineering als innovativer Ansatz in der Produktentwicklung. (Quelle: Fraunhofer IAO)
Mit passenden Rahmenbedingungen erfolgreich Externe einbinden
Uns ist klar, die Hürden und Vorbehalte bei der Einbindung von Unternehmensexternen sind groß. Aber mit dem Projekt »RoboPORT« haben wir gezeigt, was nötig ist, um innovative Ansätze erfolgreich zu nutzen. Wir haben die Erkenntnisse in unserer kostenfreien Studie zusammengestellt (siehe Leselinks). Aus meiner Sicht sind folgende Aspekte dabei erfolgsrelevant:
- Einsatz digitaler Produktentstehungsprozesse: Mit dem Einsatz von digitalen Werkzeugen in der Konstruktion, Simulation und dem Datenmanagement ist die Grundlage bereits gelegt. Es gilt nur noch, die Externen einzubinden, ob durch spezielle Plattformlösungen oder in bereits implementierte Werkzeuge.
- Gestaltung der Entwicklungsprozesse: Klare Prozesse und Abläufe, um mit Kollegen, Lieferanten und Kunden zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren, funktionieren im Kern auch virtuell, mit leichten Anpassungen werden sie sogar richtig effektiv. Ich schlage dabei Prozessabläufe wie Stage-Gate mit Anteilen von agiler Produktentwicklung vor. Dies kann aber bedarfsorientiert gestaltet werden.
- Konkrete Definition von angestrebten Ergebnissen aus dem Crowd Engineering: Um nutzbare Ergebnisse aus Community-basierten Prozessen zu gewinnen, müssen klare Abgrenzungen geschaffen werden. Je klarer die Aufgabe sowie relevante Schnittstellen beschrieben sind, desto besser wird das Ergebnis. Dabei ist es wichtig, der Community möglichst viel an Informationen und Wissen zugänglich zu machen, um eine optimale Ausgangsbasis zu schaffen. Dazu gehört auch das Management des Prozesses.
- Einbindung einer Community: Der effektive Einsatz von Crowd Engineering benötigt fähige, motivierte Köpfe, die ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen. Dazu ist der Zugriff auf eine große Gruppe von Menschen mit unterschiedlichster Expertise nötig. Am besten werden bestehende, aktive Communities eingebunden, da hiermit der Aufwand für Aufbau, Pflege und Management nicht entsteht. Zugriff auf ausgewählte aktive Communities ist zum Beispiel über webbasierte Hosting-Dienste für Software-Entwicklungsprojekte wie z. B. Github oder durch Kooperationen mit unseren Projektpartnern möglich.
Meiner Ansicht nach, sind die befürchteten Hürden viel größer als die eigentlich benötigte Veränderung. Auch das Potenzial unternehmensinterner Ideen wird durch externe Beratungsimpulse angereichert und praxisnäher gestaltet. Mit Co-Creation schaffen wir es, die Vorteile verschiedener Weiterentwicklungspotenziale zu nutzen und davon zu profitieren (Abbildung 2).
Abbildung 2: Vergleich des Crowd Engineering Ansatzes im Vergleich zu konventionellen Ansätzen zur Schaffung von Veränderungen und Innovation. (Quelle: angelehnt an Milos Radovic und Creaffective.de)
Die Pandemie hat uns allen gezeigt, dass nichts unmöglich ist. Also warum nicht jetzt etwas Neues wagen, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen?
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