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Stimmungsbild auf der re:publica – wie wollen wir 2030+ arbeiten?

Wissenschafts­jahr 2018: »Arbeitswelten der Zukunft« ist das Thema des Wissenschaftsjahres 2018. Dabei geht es um Fragen, wie sich Arbeit in Zukunft verändert und welche Rolle Forschung und Wissenschaft bei der Bewältigung dieser Veränderungen spielen.

»Wenn wir uns schon nicht in einer 5er-Gruppe einigen können, wie wir gerne in Zukunft arbeiten möchten, wie soll sich dann die Gesellschaft einigen?« (Workshop-Teilnehmer)

Die re:publica ist als größte Konferenz zur digitalen Gesellschaft in Europa, Impulsgeber, Schrittmacher und Kreativschmiede unserer technologiebasierten Zukunft. Die über 10 000 Besuchenden verbindet Vielfalt des Denkens und der Herkunft, Offenheit für Neues und Anderes sowie Gestaltungswille für unsere Zukunft. In unserer Workshop-Session »Work fiction: Neue Arbeitszeitgestaltung in 2030+« haben wir diese besonderen Zutaten der re:publica genutzt, um mit rund 80 Teilnehmenden Zukunftsszenarien für unsere Arbeitswelt zu entwerfen – das Ergebnis zeigt, dass die Vorstellungen zur Zukunft der Arbeit und die Auswirkungen von aktuellen Trends auch auf der Leitmesse des digitalen Lifestyle sehr unterschiedlich bewertet und gedacht werden.

Die Teilnehmenden diskutierten wahrscheinliche und spekulative Auswirkungen der drei Trends zunehmende Vernetzung, demographischer Wandel und technologischer Fortschritt, bevor sie anschließend Implikationen für die Gesellschaft ableiteten.

Wahrscheinliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt: viele Veränderungen in naher Zukunft

  1. 1. Alle sind sich einig: die Arbeitszeiten verändern sich. Doch während die einen eine Arbeitszeitverlängerung vermuten, erwarten andere eine Arbeitszeitreduzierung, da die Automatisierung bestimmte Aufgaben übernimmt und mehr Zeit für Wissens- und Sorgearbeit bleibt. So verändern sich nicht nur Arbeitszeit, sondern auch Jobprofile und das klassische Karriereverständnis: lebenslanges Lernen und Qualifizieren wird immer wichtiger.
  2. 2. Zunehmende technologie-gestützte Arbeit führt zur individuellen Entlastung. Ruhezeiten, Projektaus-/ und -belastungen sowie individuelle Bedürfnisse am Arbeitsplatz können von Technologien automatisch erkannt und entsprechende Anschlusshandlungen umgesetzt werden.
  3. 3. Erwerbstätige arbeiten in Zukunft (noch) selbstbestimmter, unabhängiger und eigenverantwortlicher als bisher. Agil vernetzte Arbeit nimmt zu und führt zur Auflösung konventioneller Strukturen. Das selbstorganisierte Kollektiv arbeitet in prozessoffenen Projekten zur Lösung spezifischer Probleme. Gemeinsame Ziele bzw. Probleme stehen im Vordergrund der Zusammenarbeit. Die Folge: Grenzen verschwimmen immer mehr, es entstehen mehr Missverständnisse durch virtuelle Kommunikation, informelle und (schein-)selbstständige Arbeitsverhältnisse nehmen zu, der Mensch verschwindet in der Masse und erfährt keine individuelle Anerkennung mehr.

Spekulative Auswirkungen auf die Arbeitswelt: Arbeit wird komplett neu gestaltet

  1. 1. Virtuelle Technologien und agilere Organisationsformen ermöglichen es ortsunabhängig zu arbeiten. Durch die steigende Virtualität und global vernetzte Zusammenarbeit bildet sich Kommunikation als DIE Zukunftskompetenz heraus. Weitere Folgen drücken sich auch in räumlichen Veränderungen aus – beispielsweise wird es weniger Verkehr und Büroflächen geben.
  2. 2. Neue Formen der Zusammenarbeit entstehen: Biodaten werden genutzt, Aufgaben werden täglich abhängig von der bisher geleisteten Arbeit, dem körperlichen Zustand und der aktuellen Leistungsfähigkeit automatisiert zugeteilt, remote leadership verbreitet sich, Unternehmen sind abhängiger von Kooperationen, Einzelpersonen verbünden sich, ein virtuelles Kollektiv entsteht und es existiert KI gestützte Kreativität und Kunst.
  3. 3. Parallel zu diesen Entwicklungen werden Rechtsformen sowie Arbeitsverträge neu gedacht und Sozialleistungen reformiert.
Workshop-Session »Work fiction:
Neue Arbeitszeitgestaltung in 2030+« auf der re:publica 2018 mit Antonia Muschner, Roda Müller-Wieland, Johann Jakob Häußermann und Ronja Ullrich © Fraunhofer IAO
Future Wheel:
Visualisierung von Auswirkungen der digitalen Transformation. In Gesellschafts-Foresights identifizieren wir Wünsche und Ansprüche gesellschaftlicher Stakeholder an neue Arbeits- und Lebenswelten um erfolgreiche, akzeptierte und nachhaltige Zukunftslösungen entwickeln. © Fraunhofer IAO

Auswirkungen auf die Gesellschaft: Wünschenswerte Zukünfte müssen jetzt gestaltet werden

  1. 1. Vergrößert sich die gesellschaftliche Schere oder werden wir solidarischer? Darüber besteht zwischen den Teilnehmenden Uneinigkeit. Manche vermuten ein elitäres System mit einem wachsenden Prekariat an gering qualifizierten Klick-Workern und Crowdsourcing-Routinejobbern. Diese Zukunftsvorstellung skizziert ansteigende Kriminalität, Armut und Unzufriedenheit. Andere glauben an eine solidarische Gesellschaft gekennzeichnet durch Grundeinkommen oder alternative Einkommensmodelle, 20-Stundenwochen bei höherem Mindestlohn und mehr Zeit für Ehrenamt, Pflege und Familie. Damit im Einklang gewinnen Pflegeberufe und andere Formen von Arbeit am Menschen an Anerkennung, da dank Automatisierung sich die Hauptaufgaben der Menschen vor allem auf die Mensch-zu-Mensch Beziehung fokussieren können. Neue Technologien und Kollaborationsformen fördern zudem die Inklusion, was wiederum die Auflösung von Metropolregionen ermöglicht.
  2. 2. Prinzipiell wird erwerbsfähigen Personen künftig mehr zeitliche, örtliche und inhaltliche Flexibilität abverlangt. Auf der einen Seiten können Menschen Jobs machen wo sie wollen und nur solche, die sie auch machen möchten. Auf der anderen Seite erhöht die Masse an stets zugänglichen und allzeitbereiten Arbeitenden den Konkurrenzdruck und den Druck auf den einzelnen Menschen im Allgemeinen. Mutig sind diejenigen, die sich von persönlicher Produktivität (zumindest zeitweise) abkehren und bewusst phasenweise offline sind.
  3. 3. Deutlich wird, dass eine neue Definition von Arbeit notwendig ist und Institutionen aber auch Einzelpersonen ethische, soziale und rechtliche Verantwortung übernehmen müssen. Was ist eigentlich ein erfülltes Arbeitsleben? Wie viel muss in Zukunft wirklich gearbeitet werden? Sprechen wir bald nicht mehr von work-life-balance, sondern ausschließlich von Lebenszeitgestaltung?

Laut den Teilnehmenden bringt der Trend zur Individualisierung Vor- und Nachteile mit sich: Zwar können sich Individuen zukünftig freier für verschiedene Lebens- und Arbeitswege entscheiden, gleichzeitig steigt jedoch der Druck sich ständig weiterzubilden und zu qualifizieren und sich aus der Masse an virtuell verfügbaren Arbeitskräften abzuheben. Für die Workshop-Teilnehmenden eröffnen sich viele offene Fragen: Besteht die Gefahr, dass Arbeit bald elitär wird? Wie können wir eine möglicherweise bevorstehende gesellschaftliche Schere verhindern? Welche Werte sind uns heute und in Zukunft wichtig und wie können diese bei der Reformierung von Arbeitsbedingungen und -rechten berücksichtigt werden?

Um gemeinsame Antworten auf die Fragen zu finden und mögliche Zukünfte frühzeitig mitzugestalten sollten sich unserer Meinung nach Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft diese Fragen stellen. Damit alle Akteure früh Verantwortung in der Zukunftsgestaltung von Arbeit und Leben übernehmen und bereits jetzt Rahmenbedingungen für eine wünschenswerte Zukunft der Arbeit gestalten können, muss die aufgedeckte Vielfalt an Bedarfen und Perspektiven in der Gesellschaft auf einen gemeinsamen Nenner zusammengebracht werden.

Am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer IAO übernehmen wir bereits Verantwortung, indem wir in unseren Gesellschafts-Foresights Wünsche und Ansprüche gesellschaftlicher Stakeholder an neue Arbeits- und Lebenswelten identifizieren und erfolgreiche, akzeptierte und nachhaltige Zukunftslösungen entwickeln. Wir statten Unternehmen und Organisationen mit dem Wissen und den richtigen Methoden aus, Transformation aktiv und entsprechend neuer gesellschaftlicher Bedarfe zu gestalten sowie ihre Mitarbeitenden und Führungskräfte auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 vorzubereiten.

Leselinks:

Roda Müller-Wieland

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer Center for Responsible Research and Innovation. Roda forscht in Berlin zur Arbeit und Führung der Zukunft. Besondere Interessen: Transformations- und Innovationsprozesse.

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