Städte stehen heute vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die das tägliche Arbeiten und Planen immer komplexer machen. Der Klimawandel führt zu häufigeren Extremwetterereignissen wie Hitzewellen oder Starkregen, die Städte besonders hart treffen. Gleichzeitig steigt der Druck, Flächen effizient zu nutzen: Wohnraum, Naherholung, Verkehr, Wirtschaft und Naturschutz konkurrieren um denselben Raum. Hinzu kommen soziale Herausforderungen wie wachsende Ungleichheiten, die Sicherstellung von Lebensqualität und sozialer Teilhabe für alle Bürgerinnen und Bürger.
Kommunale Mitarbeitende sind dabei die Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Sie müssen innovative Lösungen finden, die den vielfältigen Ansprüchen gerecht werden – und das oft bei knappen Ressourcen, unter Zeitdruck und mit begrenztem Handlungsspielraum. Die Erwartungen an nachhaltige Stadtentwicklung, Klimaanpassung und soziale Gerechtigkeit steigen stetig. Gleichzeitig erfordern neue gesetzliche Vorgaben und internationale Ziele – wie die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen – ein Umdenken in der Planung und Umsetzung kommunaler Maßnahmen.
In diesem Spannungsfeld suchen viele Kommunen nach Ansätzen, die ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele miteinander verbinden. Nature-Based Solutions (NbS) rücken dabei immer stärker in den Fokus, weil sie das Potenzial bieten, mehrere Probleme gleichzeitig anzugehen.
Was sind Nature-Based Solutions (NbS)?
Nature-Based Solutions – kurz NbS – sind naturbasierte Maßnahmen, die gezielt auf gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimaanpassung, Umweltschutz und soziale Inklusion reagieren. Im Kern geht es darum, die Prinzipien und Prozesse der Natur zu nutzen, um nachhaltige, widerstandsfähige und lebenswerte Städte zu gestalten. Darunter fallen zum Beispiel Dach- und Fassadenbegrünungen oder die Renaturierung von Flüssen.
So profitieren kommunale Entscheider von NbS:
- NbS bieten Mehrfachnutzen: Neben ökologischen Vorteilen fördern sie auch Gesundheit, Wohlbefinden und soziale Interaktion.
- NbS sind flexibel und können an lokale Gegebenheiten angepasst werden.
- NbS setzen auf Zusammenarbeit: Verschiedene Akteure von der kommunalen Verwaltung über die Wirtschaft bis hin zur Zivilgesellschaft werden eingebunden.
- NbS legen Wert auf Effizienz: Die Kosten für NbS dürfen den Nutzen nicht übersteigen und die Lösungen müssen langfristig belastbar sein.
Für Mitarbeitende in der kommunalen Stadtverwaltung bedeutet das: NbS eröffnen neue Möglichkeiten, um mit begrenzten Ressourcen nachhaltige und inklusive Stadtentwicklung voranzutreiben. Gleichzeitig erfordern sie ein Umdenken in Planung, Beteiligung und Umsetzung – und damit auch neue Kompetenzen und Kooperationsformen.
NbS bieten flexible Management- und Governance-Möglichkeiten und ermöglichen eine Beteiligung aller Interessengruppen. Die NbS können an örtliche Gegebenheiten gut angepasst werden. Dabei hilft es je nach Fall vorzugehen und nicht einfach zu kopieren. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die wirtschaftliche Effizienz, bei der die Kosten den Nutzen nicht übersteigen. Ebenso muss die Zahlungsbereitschaft in Abhängigkeit der Belastung und Wirksamkeit der Nature-Based Solutions beurteilt werden.
Herausforderungen und Chancen im urbanen Raum
Das Fraunhofer IAO und das IAT der Universität Stuttgart arbeiten gemeinsam unter anderem an der Training Mission zur Zertifizierung als europäischer Nature-Based Solutions (NbS) Manager. Die Training Mission konzentriert sich auf den städtischen Raum, der im Vergleich zum ländlichen Raum vor anderen Herausforderungen steht. Städte sind sozio-ökologisch-technische Systeme mit hoher struktureller und sozialer Dichte, die vielfältig miteinander vernetzt und voneinander abhängig sind. Die Stadtlandschaft wird als ein System betrachtet, das zu zunehmenden sozialen, ökologischen und technischen Anfälligkeiten führt. Daraus resultieren Landnutzungskonflikte und die Notwendigkeit, stabile Kompromisse zu finden. Nature-Based Solutions bieten Lösungsansätze für diese städtischen sozio-ökologischen Herausforderungen.
In Städten existiert eine Vielzahl von Interessengruppen, die bei der Planung und Umsetzung von NbS berücksichtigt werden müssen. Der menschlich bedingte Einfluss führt zu veränderten Böden, gestörtem Wasserhaushalt und einer speziellen urbanen Flora und Fauna. Daraus entstehen Nutzungskonflikte zwischen Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft. Ein Problem ist, dass bei der Lösung dieser Konflikte lokale Besonderheiten oft missachtet werden, beispielsweise wenn externe Lösungsansätze unreflektiert übernommen werden.
Relevante Bereiche und Herausforderungen im städtischen Kontext
Im städtischen Kontext sind fünf Bereiche relevant: ein ganzheitliches Verständnis, der Nutzen für Menschen und Biodiversität, inklusive Lösungen für die Zukunft, die Berücksichtigung des Kontexts sowie die Kommunikation und das Lernen. Für das systemische Verständnis ist es wichtig zu wissen, dass die Stadtlandschaft ein sozial-ökologisches System ist. Nature-Based Solutions können von biophysikalischen Prozessen und sozialen sowie politischen Praktiken beeinflusst werden. Sie können aber auch mit grauen städtischen Infrastrukturen vernetzt werden. Zu grauen Infrastrukturen gehören alle baulichen Strukturen in den Städten, insbesondere Straßen, Gebäude und Brücken. Die inklusiven Lösungen für die Zukunft von Städten müssen alle Dimensionen der sozio-ökologischen Gerechtigkeit miteinander verbinden. Dazu gehören die Verteilungs-, Verfahrens-, Interaktions- oder Anerkennungsgerechtigkeit. Durch eine gerechte Verteilung der Vorteile über den gesamten Lebenszyklus der NbS können die langfristige Wirksamkeit, die potenziellen Ergebnisse und die Kompromisse berücksichtigt werden. Zum Beispiel zählen die Kosten der Instandhaltung oder Aufwertung von Stadtvierteln. Transdisziplinäre Ansätze und eine breite Beteiligung sind sehr wichtig. Mit diesem Ansatz können Risiken identifiziert und Strategien zur Bewältigung gefunden werden. Für den lokalen soziokulturellen, ökologischen und wirtschaftlichen Kontext müssen die lokal gewachsenen Gemeinschaften und die Biodiversität berücksichtigt werden. Die lokalen Eingriffe verändern oder stören die lokalen Orte, Gemeinschaften und die städtische Natur und können dabei historische Entscheidungen und gegenwärtigen Ergebnissen beeinflussen. Für den Bereich Kommunikation und Lernen können NbS die Verbindungen zwischen Menschen und Natur wiederherstellen. Dies kann zu umweltfreundlichem Verhalten und einem gesteigerten Umweltbewusstsein beitragen. Ebenso kann eine naturbasierte Denkweise entwickelt werden. So können naturbasiertes Lernen und Bewusstseinsstrategien gefördert werden. Wenn die Bedenken und Präferenzen der Bürger und Bürgerinnen berücksichtigt werden, kann eine positive Beziehung zur städtischen Natur aufgebaut und Konflikte vermieden werden.
Kritik und Perspektiven
Es gibt allerdings auch Kritik an Nature-Based Solutions. Durch die Aufwertung des Stadtviertels kommt es zu einer grünen Gentrifizierung. Dadurch kann sich die Situation für sozial benachteiligte Gruppen verschlechtern. Zudem mangelt es an einer wirksamen Überwachung der Effekte und oftmals auch an finanziellen Mitteln. Es gibt eine Anerkennung des Wertes der Natur über die Lösungen und Dienstleistungen hinaus. Dieser Ansatz verbindet die Natur und die Menschheit untrennbar miteinander. Dadurch entsteht eine relationale und reziproke Perspektive auf die Beziehungen zwischen Menschen und Natur. Die Natur sollte mit den Menschen sein und nicht für die Menschen.
Hierbei müssen drei Dimensionen betrachtet werden. Die Gemeinschaftsdimension bezieht alle Interessengruppen ein. Die wirtschaftspolitische Dimension will die abgegrenzten Bereiche aufbrechen und die ökologische Dimension gibt der Natur mehr Raum und wendet indigene Naturkonzepte an.
NbS für Ihre Stadt und Ihre Planung
Nature Based Solutions verbinden Inspiration durch die Natur, konkrete Lösungen für kommunale Herausforderungen, Effizienz und Inklusion zu einer einheitlichen systemischen Perspektive. Das URBREATH-Projekt des Fraunhofer IAO und IAT unterstützt kommunale Planer und Planerinnen sowie Entscheidungstragende dabei, Nature-Based Solutions anzuwenden. Das Projekt richtet sich an Entscheidungstragende, die die Gemeinschaften innerhalb einer Stadt in den Mittelpunkt des Entscheidungsprozesses stellen möchten. Fortschrittliche Techniken, insbesondere lokale digitale Zwillinge und künstliche Intelligenz sowie soziale Innovationen können die Verwirklichung der Vision erleichtern.
Hierbei wurden gemeinsam mit Projektpartnern und -partnerinnen vier Module entwickelt, um einen allumfassenden Blick auf Stadtentwicklung zu erreichen:
- 1. Visionierung
- 2. Raumplanung und Regierungsführung
- 3. innovative Beschaffung und Finanzierung
- 4. digitale Technologien
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Leselinks:
- URBREATH-Projekt