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Disruptive Innovationen Teil 2: Vom lösungsunabhängigen Kundennutzen zur disruptiven Innovation

Nachdem ich in meinem ersten Beitrag die Definition des streitbaren Begriffs der »Disruption« aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet habe, möchte ich heute darauf eingehen, wie Unternehmen disruptive Entwicklungen frühzeitig identifizieren können und welche Rolle die Kunden dabei spielen.

Kundenwünsche weit voraussehen

Laut Prof. Christenssen ist die ideale Kundenerfahrung der Job, der durch eine Lösung erfüllt werden sollte. Ausgangspunkt für die erfolgreiche Lösungsentwicklung ist also die ideale Kundenerfahrung. Was erwartet der Kunde in der Zukunft? Wie schon Steve Jobs oder Henry Ford erkannten, reicht ein einfaches Nachzufragen oft nicht aus um das herauszufinden. Es ist wichtig zu verstehen, wie aktuelle Lösungen verwendet werden und welche offensichtlichen oder latenten Bedürfnisse für die Kunden im Vordergrund stehen. Ausgehend von der idealen Kundenerfahrung kann dann beispielsweise durch »Backcasting« analysiert werden, mit welchen strategischen Maßnahmen dieser Zukunftszustand erreichbar ist – und insbesondere wann Technologiesprünge zu erwarten sind.

Relevante Technologieentwicklungen frühzeitig erkennen und integrieren

Ein Großteil an Disruptionen wurde in der Vergangenheit durch technologische Entwicklungen ausgelöst oder ermöglicht. Wie Unternehmen potenziell disruptive Technologie-Entwicklungen frühzeitig identifizieren und was hierzu als Good- und Best Practices angesehen wird haben wir in einer Studie analysiert. Wie mit disruptiven Entwicklungen in der industriellen Forschung und Entwicklung umgegangen werden kann wird auf der R&D Management Conference 2016 in Cambridge in einer eigenen Session diskutiert. Soviel ist offensichtlich: oft scheitert der Umgang mit Neuerungen in Großunternehmen weniger an dem fehlenden Wissen über eine technologische Entwicklung, als vielmehr an einer entsprechenden organisatorischen Integration. Hierfür ist Kodak als Erfinder und Opfer der digitalen Fotografie sicherlich eines der prominentesten Beispiele.

Über den Tellerrand schauen

Trotz des aufkommenden Buzzword-Charakters sollte das Thema der »Disruption« also ernst genommen werden. Insbesondere im Rahmen von Entwicklungen wie dem Internet der Dinge, einer zunehmenden Digitalisierung oder Schlagwörtern wie Industrie 4.0 müssen sich Unternehmen mit Themenbereichen auseinandersetzen, die meist außerhalb des Kerngeschäfts (bzw. Tellerrandes) und oft auch außerhalb der Kompetenz der eigenen F&E-Abteilung liegen. Über die vom Kunden explizit gewünschten Verbesserungen wird in vielen Fällen kaum analysiert, welche lösungsunabhängigen Anfordern für die direkten oder indirekten Kunden tatsächlich im Vordergrund stehen. Eine ganzheitliche Ausrichtung der eigenen F&E-Abteilung inklusive einer kontinuierlichen Umfeld- und Kundenanalyse, kombiniert mit entsprechenden Umsetzungsoptionen, um auch Themenbereiche außerhalb des Kerngeschäfts angehen zu können ist zur Absicherung gegen Disruptionen daher ein wichtiger erster Schritt.

Ein Gedanke zum Abschluss: Es gibt derzeit kaum ein besseres Beispiel als die Automobilindustrie für den Grundgedanken der disruptiven Innovation: neben Modellen etablierter Hersteller, die zum Großteil auf zusätzliche Funktionalität setzen, sprießen derzeit kleine Unternehmen aus dem Boden, die einfache und günstige Elektromobile anbieten (wollen) – entsprechend dem potenziellen Anfang einer klassischen Low-End-Disruption. Dazu kommen Nachrichten, dass das Tesla Model S im Jahr 2015 das meistverkaufte Elektrofahrzeug war – und die Deutsche Post mit einem eigenen E-Transporter in Serie geht. Insbesondere als Bewohner des Großraumes Stuttgart hoffen wir natürlich, dass diese potenzielle Disruption durch zukunftsweisende Entscheidungen der deutschen Automobilbauer möglichst bald ihren Status als solche verlieren wird…

Leselinks:

Sven Schimpf

Interdisziplinärer Forscher und Vordenker im Fraunhofer-Verbund Innovationsforschung. Bloggt rund um das Thema strategisches Innovations-, Technologie- und F&E Management. Warum? Weil spannende Ideen und technologische Möglichkeiten, die Mehrwert generieren, diskutiert und verbreitet werden müssen!

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