Im letzten Jahr haben wir im Auftrag der Europäischen Kommission gemeinsam mit europäischen Partnern eine breite Befragung der Energiewirtschaft weltweit durchgeführt. Dabei wurden wir um eine Prognose gebeten, ob es gelingen kann, in den Unternehmen der Europäischen Energiewirtschaft bis 2050 die Repräsentanz von Frauen massiv auf paritätisches Niveau zu erhöhen. Hier erklären wir, warum es sich dabei um ein Luftschloss handelt.
Langsames Wachstum des Frauenanteils im Energiesektor
Eurostat-Daten zeigen, dass der Frauenanteil im europäischen Energiesektor zwischen 2013 und 2022 von 21 auf 24 Prozent gestiegen ist. Bei dieser Wachstumsrate würde der Frauenanteil bis 2050 auf 38 Prozent ansteigen. Dieser Wert läge knapp unter der 40-Prozent-Marke, die vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) als Geschlechtergleichgewicht definiert ist. Er steht für ein konservatives Szenario.
Für vollständige Geschlechterparität (50/50) wäre eine deutlich höhere Wachstumsrate notwendig. Wir haben im Rahmen unserer Forschung 2700 Personen aus dem HR-Management von Betrieben der weltweiten Energiewirtschaft telefonisch befragt. Das Ergebnis fällt ernüchternd aus: Sowohl das optimistische als auch das konservative Szenario halten wir zumindest mit den aktuellen Rahmenbedingungen für unrealistisch. Stattdessen gehen wir von einer Verlangsamung des Wachstums aus. Aber warum?
Grüne Energien – Keine automatische Lösung für mehr Geschlechtergerechtigkeit
Der Ausbau grüner Energien führt nicht automatisch zu einer stärkeren Einbindung von Frauen in die Energiewirtschaft. Funktionale Aspekte, wie etwa Branche und Art der Arbeit, spielen eine entscheidende Rolle. Besonders gering ist der Frauenanteil in forschungsintensiven Bereichen wie der Wasserstoffenergie oder in Sektoren mit starkem Fokus auf handwerklicher Arbeit, wie bei Wärmepumpen (siehe Abbildung 1). Wärmepumpen sind ein wichtiger Baustein bei der Energiewende für viele europäische Länder, doch der Frauenanteil in diesem Bereich liegt laut unseren Befragungsdaten bei nur 20 Prozent.
Im Vergleich dazu arbeiten in der Windenergie etwa 30 Prozent Frauen, während der Anteil in der Geothermie sogar nur bei 18 Prozent liegt. Diese Unterschiede verdeutlichen, dass die strukturellen Anforderungen der einzelnen Energiesektoren an ihre Belegschaften stark variieren und das Geschlechterverhältnis beeinflussen.
Das Gleichstellungs-Paradoxon in der MINT-Bildung
Aktuelle Studien vermitteln ein Gleichstellungs-Paradoxon: in wohlhabenderen Ländern mit höherer Gleichstellung von Frauen sind traditionelle Geschlechterstereotype in Bezug auf die Eignung für MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) tendenziell ausgeprägter. Ein stärkeres Interesse von Frauen an MINT-Berufen ist also kein Selbstläufer, der aus einem allgemeinen progressiven Wertewandel in einer Gesellschaft folgt. Stattdessen könnte das Gegenteil eintreten – mehr Wohlstand könnte zu einer geringeren Repräsentanz von Frauen in der Energiewirtschaft führen.
Die weibliche Bildungsexpansion kommt an ihre Grenzen
Der in der Vergangenheit langsam aber stetig gestiegene Anteil von Frauen in MINT-Berufen ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass immer mehr Frauen in den letzten Jahrzehnten akademische Abschlüsse erlangt haben. Der Anteil der Frauen unter den Absolventinnen und Absolventen mit Hochschulabschluss in der EU-27 hat mittlerweile ein Plateau von 57 Prozent erreicht. Dieser Wert lag 2013 bei 58 Prozent, was darauf hindeutet, dass der Aufholeffekt im Hinblick auf die Arbeitsmarktteilnahme von Frauen durch eine höhere Bildung stagniert. Auch innerhalb der Gruppe von Frauen mit Hochschulabschluss gibt es keine deutliche Verschiebung hin zu mehr MINT-Abschlüssen.
Unternehmen und die Grenzen der Frauenförderung
Ein weiteres zentrales Ergebnis unserer Forschung ist, dass Unternehmen nur begrenzt Kontrolle über den Frauenanteil in ihrer Belegschaft haben oder ausüben. Anhand unserer Befragungsdaten haben wir die Faktoren analysiert, die den Frauenanteil in der Energiebranche am besten vorhersagen. Wie oben dargestellt sind dabei vor allem sektorspezifische Anforderungen und auch nationale Rahmenbedingungen wichtig. Auch Maßnahmen zur Frauenförderung können potenziell Einfluss haben. Ihre Wirkungen hängen aber sehr stark von der Art und Weise sowie den Rahmenbedingungen ihrer Umsetzung ab. In unserer Forschung hat nur eine Maßnahme einen robusten positiven Effekt auf den Frauenanteil in Management- und FuE-Positionen gehabt: Job-Sharing.
Unternehmen und die Grenzen der Frauenförderung
Ein weiteres zentrales Ergebnis unserer Forschung ist, dass Unternehmen nur begrenzt Kontrolle über den Frauenanteil in ihrer Belegschaft haben oder ausüben. Anhand unserer Befragungsdaten haben wir die Faktoren analysiert, die den Frauenanteil in der Energiebranche am besten vorhersagen. Wie oben dargestellt sind dabei vor allem sektorspezifische Anforderungen und auch nationale Rahmenbedingungen wichtig. Auch Maßnahmen zur Frauenförderung können potenziell Einfluss haben. Ihre Wirkungen hängen aber sehr stark von der Art und Weise sowie den Rahmenbedingungen ihrer Umsetzung ab. In unserer Forschung hat nur eine Maßnahme einen robusten positiven Effekt auf den Frauenanteil in Management- und FuE-Positionen gehabt: Job-Sharing.
Statt mehr Jobs für Frauen, bessere Jobs für Frauen?
Als optimistischer Mensch ertappe ich mich manchmal selbst dabei, dass ich implizite annehme, wichtige gesellschaftliche Probleme, wie die Gleichstellung der Geschlechter, werden in der Zukunft schon irgendwie gelöst. Dem widerspricht leider das Ergebnis unserer Forschung. Wenn wir das Paritätsziel in der Energiewirtschaft trotzdem erreichen wollen, wird dies nur mit um so intensiveren Anstrengungen möglich sein. Dabei ist kritisch zu hinterfragen, wie intensiv unsere gesellschaftlichen Bemühungen sein sollen, um mehr Frauen in Berufe zu bringen, die sie tendenziell nicht wollen. Zugespitzt ergibt sich die Frage, ob unser Aufwand nicht eher in die Qualität weiblicher Arbeitsverhältnisse investiert werden sollte – den Abbau der Gender Pay Gap, die Verbesserung von Vereinbarkeits-Bedingungen oder die Prävention von Sexismus. Dann löst sich das Repräsentanz-Problem vielleicht von selbst.
Mehr Informationen und Literaturreferenzen zu den hier dargestellten Punkten können Sie in unserem für die Europäische Kommission erstellten Policy Paper nachlesen. Mehr Daten und umfangreichere Einblicke erhalten Sie im unten verlinkten Projektbericht. Wir freuen uns, mit Ihnen zu diskutieren, wie sich Gleichstellung in Industrie und vor allem in Forschung und Entwicklung fördern lassen!
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