Website-Icon Fraunhofer IAO – BLOG

Self Tracking: Selbstoptimierung oder Präventionshilfe? – 5 Tipps, wie wir besser mit Gesundheitsdaten umgehen können

Feinfühlige Technik – Blogreihe des Teams »Applied Neurocognitive Systems«
Im Zeitalter von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz nimmt die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine eine Schlüsselrolle ein. Neuroadaptive Technologien versprechen große Potenziale sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis. Im NeuroLab des Fraunhofer IAO arbeiten die Wissenschaftler*innen an der Schnittstelle zwischen kognitiver Neurowissenschaft, positiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Unser Ziel ist es, die zunehmende Intelligenz und den steigenden Grad an Autonomie technischer Systeme konsequent auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen auszurichten.

Ob per Smartwatch, Pulsgürtel, mobilem EEG oder sogar im Ring eingebaut: Immer mehr Technik-Gadgets messen unsere Vitalparameter, zeigen unser vermeintliches Stressniveau an und begleiten unseren Schlaf. Riesige Mengen an Daten werden aufgezeichnet, verarbeitet und in Form von einfachem Feedback analysiert und bewertet. Vor dem digitalen Zeitalter und der Weiterentwicklung in Data Science und KI waren Wearables v. a. im medizinischen Kontext zu sehen. Heutzutage sind sie auch im öffentlichen Leben angekommen und für jeden Menschen verfügbar.

Datenschutzrechtliche Fragestellungen werden hier bereits umfassend diskutiert. Doch wie verändert das Tracking den Umgang mit uns selbst? Welche ethischen Fragestellungen sollte man sich bei der Erfassung solch sensibler Daten stellen? Ein paar Gedanken und Hintergründe aus der neurowissenschaftlichen Perspektive hierzu möchte ich in diesem Blogbeitrag teilen.

1. Verschaffe dir eine solide Wissensbasis zu den erhobenen Daten

Ein Beispiel: Jonas schaut sich seine Tagesbilanz auf der Smartwatch an. Sauerstoffsättigung des Bluts, Herzratenvariabilität, Schlafphasenbestimmung… Was seine Uhr genau misst, weiß er nicht. Hauptsache die Werte sind im grünen Bereich.

Auch wenn die User Interfaces von Wearables so einfach wie möglich gestaltet sind: am Ende werden hier immer sehr sensible Daten des Körpers erhoben. Früher hat man dafür einen Arzt gebraucht, der einem alles erklärt. Heutzutage werden Werte über den Körper, ja sogar ein EKG, ungefiltert an den Nutzenden getragen. Dabei können Fehlinterpretationen oder Missverständnisse entstehen und den Menschen verunsichern.

Mein Lösungsansatz: Menschen, die solche Tracking-Tools nutzen, sollten viel mehr Aufklärung über die erfassten Daten erhalten, z. B. in Form von Infobroschüren oder Schulungsvideos. Nutzende müssen verstehen, was gemessen wird und welche Rückschlüsse sie aus den Werten tatsächlich ziehen können.

2. Vertraue den erhobenen Daten nicht bedingungslos

Ein Beispiel: Sarahs Ring ermittelt einen Alltags-Stresslevel von 80 Prozent. Sie wundert sich, da sie sich aktuell entspannt fühlt und ist traurig darüber, wie sehr sie sich in ihrer eigenen Wahrnehmung getäuscht hat. Was Sarah aber nicht weiß: Ihr Wearable misst Stress nicht so, wie Sarah Stress versteht – nämlich als psychischen oder emotionalen Stress. Es misst Stress nur anhand der physiologischen Reaktionen. Und da Sarah sich in ihrer Arbeit viel bewegt und anstrengt, vermutet das Wearable, die erhöhten Vitalparameter seien auf Stress zurückzuführen.

Mit dem fehlenden Wissen über die Daten selbst (Punkt 1), geht auch der unbedarfte Umgang damit einher. Viele Menschen verlassen sich komplett auf die auf ihrem Device angezeigten Daten und hinterfragen die Ergebnisse erst gar nicht. Zwar ist Vertrauen in Technik grundsätzlich nicht schlecht oder falsch, aber ohne das Wissen, wie es zu den angezeigten Werten kommt und einzuordnen sind, sollten Entscheidungen nicht komplett darauf beruhen.

Mein Lösungsansatz: Wir müssen unseren gesunden Menschenverstand einsetzen und immer wieder die Sinnhaftigkeit der Ergebnisse hinterfragen. Technik ist sehr schlau, aber nicht allwissend. Vor allem nicht im Hinblick auf die Erfassung von psychischen Belastungen und Stress.

3. Lass‘ dich vom Tracking nicht stressen

Ein Beispiel: Kim leidet seit einer Weile an Schlafstörungen und hat sich einen Schlaftracker gekauft. Jeden Morgen hofft er auf bessere Ergebnisse, doch die Daten zeigen ihm wenig erholsamen Schlaf. Obwohl er sich so bemüht besser zu schlafen, wird es nicht besser. Das stresst ihn so sehr, dass er dadurch noch schlechter schläft.

Die konstante Erfassung verschiedener Körperwerte ermöglicht ein kontinuierliches Feedback der eigenen Verfassung. Aber was bei dem einen Sinn ergeben und helfen kann, erzeugt bei dem anderen Stress und wird damit zur Belastung.

Mein Lösungsansatz: Wir brauchen einen bewussten Umgang mit den Technologien, die wir nutzen. Wenn etwas Stress oder Unwohlsein auslöst, sollte es behutsam verwendet werden. Wearables sollen im Alltag unterstützen und nicht zusätzlich belasten.

4. Informiere dich darüber, was mit deinen Daten geschieht

Ein Beispiel: Oma Frieda bekommt zu Weihnachten einen Schrittzähler geschenkt, mit dem sie Schritte und zurückgelegte Kilometer trackt. Sie weiß aber nicht, dass anhand der Daten ihr kompletter Bewegungsverlauf nachgebildet werden kann. Als sie das erfährt, findet sie das gruselig. Sie möchte das Gerät nicht mehr nutzen.

Auch wenn Tracking einen großen Vorteil mit sich bringt: Gängige Wearables nutzen eigene Algorithmen zur Analyse der Daten. Menschen muss bewusst sein, dass sensible Daten erhoben und in einer Blackbox ausgewertet werden. Was mit den Daten genau geschieht, wissen nur die Unternehmen selbst. Gerade Menschen mit wenig Technologieaffinität sollten hier vorsichtig sein.

Mein Lösungsansatz: Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass große Datenmengen erhoben und über eine Cloud an die Technologiebetreiber gesendet und verarbeitet werden. Wer damit ein Problem hat, sollte die Nutzung von Wearables für sich selbst hinterfragen.

5. Verfalle nicht in den Daten-Optimierungswahn

Ein Beispiel: Marvin möchte seine Leistungen im Sport verbessern und befasst sich deshalb intensiv mit aerobem und anaerobem Training. Jedes Mal, wenn er seinen Sport beendet hat, schaut er auf seinen Pulsgürtel und hofft auf bessere Ergebnisse. Er kommt dabei immer wieder an seine Leistungsgrenzen, weil er die Werte vom letzten Training überbieten will.

Höher, schneller, weiter…aber auch besser? Konstantes Tracking verleitet dazu, sich ständig weiter optimieren zu wollen. Bis zu einem gewissen Grad mag das auch gut sein, allerdings sollte hier das Maß berücksichtigt werden. Ab einem gewissen Punkt führt das »Sich-Verbessern-Wollen« zum gegenteiligen Effekt.

Mein Lösungsansatz: Mehr auf den eigenen Körper hören und weniger auf die Ergebnisse der Analysen setzen. Denn, wenn man nicht unbedingt Profisport betreibt, ist eine solche Form der Selbstoptimierung nicht nur psychisch belastend, sondern gegebenenfalls sogar gesundheitsschädigend.

Ich habe in meinem Blogbeitrag ganz bewusst auch kritische Aspekte von Wearables genannt und Lösungsansätze aufgezeigt. Denn als Wissenschaftlerin im Team »Applied Neurocognitive Systems« erlebe ich jeden Tag, wie sensibel die Messung von körperlichen Werten selbst mit High-End-Technologie ist und welche Interpretationsspielräume die gemessenen Daten eröffnen. Wir sehen hier sehr viel Potenzial, den Menschen mit Technik sinnvoll zu unterstützen, daher sind wir auch skeptisch, wie viele Hersteller von frei verkäuflichen Wearables ethische und datenschutzrechtliche Fragestellungen vernachlässigen oder einfach nicht auf dem Radar haben, wie Ihre Kundinnen und Kunden diese nutzen.

Daher konzentrieren wir uns im Neurolab auf einen nutzerfreundlichen und datensouveränen Umgang und setzen den Menschen in den Mittelpunkt. Dabei ist eine Transparenz hinsichtlich der Datenverarbeitung und die Vermittlung von Informationen für unsere Forschung selbstverständlich. Wir sehen das große Potenzial von Wearables und passen sie den Bedürfnissen der Menschen noch besser an, z. B. durch Nutzendenbefragungen, Ethik-Checklisten und einer stärkeren Personalisierung. Denn am Ende zählt nur eins: Dass sich der Nutzende in der Interaktion mit der Technik wohl fühlt!

PS: Wen das Thema Gesundheit und Gesundheitsförderung interessiert, kann sich gerne für unser Veranstaltung »Sustainable Work and Life – Neue Wege für einen gesunden Alltag und eine nachhaltige Arbeit« anmelden und einen noch tieferen Einblick u.a. in den Umgang mit Wearables und Gesundheitsdaten bekommen.

Leselinks:

Nektaria Tagalidou

Psychologin im Team »Applied Neurocognitive Systems«. In ihrer Arbeit befasst sie sich mit neuroadaptiven Technologien zur Förderung von Gesundheit, Wohlbefinden und positiver UX. Für sie ist die Neurowissenschaft eine Chance unsere Arbeit und unseren Alltag angenehmer zu gestalten – ganz nach dem Motto: less stress!

Autorenprofil - Website - LinkedIn

Die mobile Version verlassen