Die Daimler AG hat in einer großangelegten, gemeinsam von Unternehmensleitung, Gesamtbetriebsrat und IG Metall getragenen Neugestaltung eine Regelung zu mobilen Arbeitsformen angestoßen. Hierfür wurden bundesweit mehr als 80 000 Mitarbeitende befragt und konkrete Ausgestaltungswünsche in 37 Workshops mit mehr als 1000 Beteiligten ausgearbeitet. Ich habe mit meinem Team den intensiven Beteiligungsprozess wissenschaftlich begleitet und die zentralen Köpfe der sozialpartnerschaftlich getragenen Beteiligungsinitiative zum Projekt interviewt.
Oskar Heer leitet den zentralen Bereich der Arbeitspolitik bei der Daimler AG. Jörg Spies ist Betriebsratsvorsitzender der Daimler Zentrale und Vorsitzender der Personalkommission des Gesamtbetriebsrats.
Was war der Auslöser, eine neue Gesamtbetriebsvereinbarung zu Mobilem Arbeiten zu verhandeln? Und wie kam es zu dieser besonderen Vorgehensweise?
Jörg Spies: Der Wunsch, Berufs- und Privatleben gut zu vereinbaren und mehr über die eigene Arbeitszeit selbst bestimmen zu können, war eine ganz deutliche Rückmeldung der Beschäftigten im Rahmen der Beschäftigtenbefragung der IG Metall im Jahr 2013. Daran haben sich auch 34.000 Daimler Beschäftigte beteiligt. Das haben wir im Gesamt-betriebsrat als Auftrag verstanden, auf die Unternehmensleitung zuzugehen, um für Daimler eine neue Grundlage für mobiles Arbeiten zu verhandeln. Wir waren von Anfang an überzeugt, dass wir dabei einen „Daimler-Weg“ finden müssen und nicht einfach Vereinbarungen von anderen kopieren können. Deshalb – und weil wir davon überzeugt sind, dass Beteiligung der beste Weg in der Betriebspolitik ist – haben wir einen breit angelegten Beteiligungsprozess initiiert.
Oskar Heer: Auch für uns von der Unternehmensseite ist es ein wichtiges Anliegen, inno-vative und zukunftsgerichtete Arbeitsbedingungen zu gestalten und dabei auch die Interessen der Beschäftigten sowie der Führungskräfte zu berücksichtigen. Daher haben wir der Initiative des Betriebsrats zugestimmt, anders an die Erarbeitung einer neuen Gesamtbetriebsvereinbarung zum Mobilen Arbeiten heranzugehen. So entschieden wir uns gemeinsam zum einen für eine Befragung von über 80.000 Beschäftigten und Führungskräften. Zum anderen haben wir in fast 40 Workshops an allen Standorten der Daimler AG in Deutschland weitere Rückmeldungen aus der Belegschaft aufnehmen können. Auf dieser repräsentativen Grundlage konnten wir sehr viel fundierter die Verhandlungen für die neue Gesamtbetriebsvereinbarung führen.
Warum wurde in diesen Gesamtprozess zusätzlich die IG Metall eingebunden?
Spies: Zunächst weil uns klar war, dass die Regelungen in der neuen Gesamtbetriebs-vereinbarung, die tariflichen Regelungen zur Arbeitszeit berühren, von den Tarifparteien ebenfalls unterzeichnet werden müssen. Außerdem wollten wir mit dieser Regelung neue Maßstäbe setzen, die auch anderen Unternehmen im Geltungsbereich der IG Metall als Orientierung dienen können. Deshalb haben wir uns darauf verständigt, die IG Metall in den gesamten Beteiligungs- und Verhandlungsprozess mit einzubeziehen.
Welche Unterstützung hat das Fraunhofer IAO hier speziell leisten können?
Heer: Das IAO ist für uns seit Jahren in vielen Themen ein geschätzter wissenschaftlicher Partner, dessen Input und Know-how bei unseren Praxisthemen von besonderer Bedeutung ist. Die Erfahrungen des Instituts von Frau Dr. Hofmann zu flexiblen Arbeitszeitformen kamen uns beim Mobilen Arbeiten sehr zu Gute. Einen besonderen Part übernahm das IAO bei der Entwicklung, Umsetzung und Auswertung des Online-Frage-bogens. Außerdem wurden viele Workshops in unseren Werken vom IAO begleitet und alle Ergebnisse inhaltlich zusammenfassend ausgewertet.
Was waren die wichtigsten positiven Effekte des Vorgehens, was die größte Überraschung / Herausforderung?
Spies: Für mich war es sehr beeindruckend zu sehen, wie hoch das Interesse und damit auch die Beteiligung unserer Belegschaft war. Die extrem hohe Beteiligungsquote an der Online-Befragung von über 40% und auch die über 2000 Anmeldungen für die Workshops an den Standorten zeigen, wie groß der Wille ist, die eigenen Arbeitsbedingungen mitzugestalten. Mit einer solchen Begeisterung hatte keiner gerechnet. Das hat uns als Betriebsräte darin bestärkt, Beteiligungskampagnen in der Belegschaft auch zu anderen Themen anzustoßen.
Was waren die schwierigsten Verhandlungsgegenstände?
Heer: Für uns war der wohl schwierigste Verhandlungspunkt die Frage des Anspruchs auf mobiles Arbeiten. Wir haben uns in den Verhandlungen darauf verständigt, dass es ein Recht auf mobiles Arbeiten gibt, sofern es die Arbeitsaufgabe zulässt. So wird es nicht möglich sein, eine S-Klasse zu Hause in der Garage zu montieren, aber viele andere Tätigkeiten sind sehr wohl geeignet, auch außerhalb des Betriebs erledigt zu werden.
Spies: Aus Betriebsratssicht war dieser Punkt natürlich auch zentral. Die Beschäftigten hatten uns im Beteiligungsprozess klar signalisiert, dass es künftig keinen „Nasenfaktor“ und auch keinen „Begründungszwang“ bei mobiler Arbeit mehr geben soll. Damit sind wir angetreten und sind froh, dass wir uns durchsetzen konnten. Für uns war es in diesem Zusammenhang auch ein ganz wesentlicher Punkt, dass es ein faires Klärungsverfahren gibt, wenn sich Beschäftigte und Führungskraft einmal über die Umsetzung dieses Anspruchs nicht einig sind, Letztlich konnten wir auch hier eine gute, innerbetriebliche Lösung finden.
Worauf kam es Ihnen in diesem Projekt besonders an?
Heer: Wir haben von Anfang an Wert darauf gelegt, eine hohe Transparenz sicherzu-stellen. So haben wir beispielsweise von Anfang an sehr offen in unseren internen Kommunikationskanälen Mitarbeiter und Führungskräfte regelmäßig auch über den Prozessfortschritt informiert. Und selbstverständlich wollen wir auch in Zukunft den Umsetzungsprozess begleiten und best practice-Beispiele in den Vordergrund stellen. Insgesamt wollen wir nun Erfahrungen sammeln und eine Evaluation vornehmen, daher ist diese Gesamtbetriebsvereinbarung auf zwei Jahre befristet. Dann sehen wir weiter.
Spies: Auch die Betriebsräte haben intensiv kommuniziert auf Betriebsversammlungen und in ihren Betriebsratszeitungen. Eine Besonderheit war für mich hier auch, dass wir beide als Verhandlungsführer schon während der laufenden Verhandlungen zur Gesamt-betriebsvereinbarung immer wieder gemeinsame Beiträge in unserem Intranet veröffent-licht haben. Die Kolleginnen und Kollegen haben dies durch viele und vielfältige Kommen-tare gewürdigt. Ihre Beiträge waren mal einfach positiv, mal eher nachdenklich – aber immer konstruktiv. Eine tolle Erfahrung!
Wie ist die bisherige Resonanz von Mitarbeitern und Führungskräften auf den Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung zum mobilem Arbeiten?
Spies: Auch hier freut es mich sehr, dass wir ein sehr positives Feedback aus der Belegschaft erhalten. Nach dem Abschluss der Vereinbarung haben an fast allen Standorten sogenannte Dialog-Veranstaltungen stattgefunden, auf denen Personal-verantwortliche und Betriebsräte interessierten Beschäftigten die Regelung erläuterten. Auch diese Veranstaltungen stießen auf enormes Interesse und waren in kürzester Zeit ausgebucht. Die Debatten dort waren durchweg positiv. Natürlich gab es auch viele Fragen zur praktischen Umsetzung, solche Fragen erreichen mich bis heute. Das ist völlig normal, wenn etwas Neues eingeführt wird, v.a. wenn es auf Vertrauen und einer neuen Führungskultur basiert. Ich sage da immer: „Gebt dem Kind Zeit zum Wachsen“.
Heer: Uns kommt es weiter darauf an, im Dialog zu bleiben, so wie wir es bereits in den von Herrn Spies erwähnten Dialog-Veranstaltungen praktiziert haben. Nun kommt es darauf an, die Zielsetzungen einer größeren Arbeitszeitflexibilität und einer neuen Führungskultur auch tatsächlich zu leben. Wir wissen, dass diese Möglichkeiten der Arbeits- und Zeitsouveränität vielfach gefordert werden, um als Arbeitgeber weiterhin attraktiv zu bleiben.
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Kategorien: New Work / Connected Work
Tags: Agiles Unternehmen, Betriebsvereinbarung, Flexibles Arbeiten, Mobiles Arbeiten, orts- und zeitflexibles Arbeiten, Partizipation