Was sehen Sie auf diesem Bild? Als Teil einer Jazz-verrückten Big Band-Familie bin ich so sozialisiert, dass für mich die Sache eindeutig ist: das Bild zeigt einen Saxophonspieler mit dicker Nase. Nun hat man mich allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass das Bild auch auf eine andere Weise interpretiert werden kann, so dass das Gesicht einer Frau zu erkennen ist. Manch einer sieht – für mich völlig unverständlich – nur die Frau, nicht den Saxophonspieler.
Ein ähnliches Szenario spielt sich auch in der Wissenschaft ab: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen in ihrer Forschung häufig hauptsächlich die Erkenntnis. Ihr Ziel ist es, Thematiken vollständig zu durchdringen und so Neues zu erfinden. Dass ihre Forschung und Inventionen in weiteren Feldern Anwendung finden und Wirkung entfalten kann, dafür braucht es unter anderem neue Perspektiven und Initiativen, die sie darauf aufmerksam machen und so für Transfer ihrer Forschung sensibilisieren.
Hürdenlauf von der Forschung in die Gründerpraxis
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind häufig mit offensichtlichen oder informellen Hürden konfrontiert, die eine Gründung oder Innovation aus dem Wissenschaftsalltag heraus erschweren:
- Mangelnde Wertschätzung und Anerkennung: Nach wie vor gilt im Humboldt’schen Wissenschaftssystem: Es zählen Forschung und Lehre. Transferleistungen – abgesehen von Publikationen – und insbesondere unternehmerische Tätigkeiten werden noch zu selten weder finanziell, prestige- und karriereträchtig belohnt. Es mangelt an Rollenvorbildern und Promotoren.
- Mangelnde Kenntnis vorhandener Unterstützungsleistungen: Zu häufig kennen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre zuständigen Transferstellen und deren teilweise umfangreiches Unterstützungsangebot nicht. Unterstützungsleistungen treffen häufig nicht die Bedarfe ihrer Zielgruppen.
- Wahrgenommene Systemunterschiede und mangelnde Fähigkeiten: Unternehmertum und Wissenschaft gelten häufig als zwei völlig unterschiedliche Welten. Für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erscheint der Sprung aus der einen in die andere unrealistisch.
Innovation Scouting: Sprungbrett für Forscher mit Unternehmergeist
Diese Herausforderungen müssen schrittweise abgebaut werden. Dafür bedarf es systematischer, proaktiver Sensibilisierungsmaßnahmen für Transferaktivitäten. Innovation Scouting ist hierfür elementar: Dabei geht es darum, einerseits aktiv nach vielversprechenden Technologien und Erfindungen zu suchen, und andererseits, sichtbare Anlaufstellen für Wissenschaftler/-innen mit ihren Erfindungen zu etablieren, wie beispielsweise Transferbüros. Innovation Scouting kann unterschiedliche Formen haben:
- Interdisziplinäre Workshops, um einen regelmäßigen Austausch zwischen transfererfahrenen und -unerfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachbereiche zu etablieren. So kann die Sichtbarkeit von Rollenvorbildern gestärkt und fächerübergreifender Austausch zu möglichen Transferprodukten initialisiert werden. Durch die Präsenz von Abteilungs- und Projektleitern kann die Wertigkeit solcher Workshops und somit die Wertschätzung für Transferengagement gesteigert werden.
- In Match-Making-Formaten wie bspw. transdisziplinäre Workshops können Vertreter aus Wirtschaft, Industrie und Unternehmertum mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mögliche Anwendungsszenarien ihrer Forschung diskutieren und neu entwickeln. So kann der Anwendungs- und Transfergedanke bereits von Beginn in Forschungsprojekte integriert werden und Wissenschaftler/-innen frühzeitig für mögliche Transferprodukte sensibilisiert werden. Auch hilft die direkte Konfrontation in solchen Match-Making-Formaten, wahrgenommene Systemunterschiede zwischen Unternehmertum und Wissenschaft abzubauen – bzw. mindestens Brücken zu schlagen.
- Individuelle Scouts auf Forschungscampi sollten den informellen Austausch mit Wissenschaftler/-innen unterschiedlicher Senioritätslevel und Fachbereiche suchen, um so die Forschung aus ihrer Perspektive zu beurteilen und auf ihre Expertisen zu übertragen. Solche Scouts haben im besten Fall sowohl einen unternehmerischen Hintergrund als auch Expertise auf dem jeweiligen Fachbereich, in dem sich das Forschungsinstitut bewegt (die Grundzüge sollten verständlich sein).
Durch Innovation Scouting Transferaktivitäten nachhaltig fördern
Um das unternehmerische Denken und Handeln und somit die Verwertung von Forschung an ihren Organisationen zu fördern, müssen Forschungsorganisationen eine aktive Rolle einnehmen und starke Sensibilisierungsmaßnahmen einführen. Systematisches Innovation Scouting ist hier zentral. Nur so kann ein Wandel in der Organisationskultur hin zu einer Gründerkultur initiiert werden und die Motivation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für unternehmerische Tätigkeiten nachhaltig gefördert werden.
In diesem Sinne: Innovation Scouting kann helfen, dass Wissenschaftler/-innen nicht nur den Saxophonspieler, sondern auch die Frau entdecken.
Publikation: Die dargestellten Ansätze bilden ein Teilergebnis der Dissertationsschrift Strategies for Fostering Academic Entrepreneurship (Sinell, in Publikationsverfahren) ab.
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Kategorien: Innovation
Tags: Center for Responsible Research and Innovation CeRRI, Innovation Scouting