Es war ein seltenes Spektakel, das sich mitten im Sommerloch auf der politischen Bühne beobachten ließ. Aus der Debatte um #Flugscham und einem Verbot von Inlandsflügen erwuchs der Vorstoß von Markus Söder nach einer steuerlichen Entlastung für Bahnreisende durch einen dauerhaften Verzicht auf die Mehrwertsteuer. Statt auf Gegenwind traf dieser in den darauffolgenden Tagen in den verschiedenen politischen Lägern auf breite Zustimmung. Nicht zuletzt, weil Söder damit ohnehin eine alte Forderung der Grünen aufgriff. Dennoch: ein Vorkommnis mit Seltenheitswert. Aber für den deutschen Schienenverkehr, immerhin das ausgerufene Rückgrat der Verkehrswende, ziehen dann auch Mal Grüne, SPD und auch die CSU gleichermaßen an einem Strang. Nun kann es sogar gar nicht schnell genug gehen und es stellt sich die Frage, warum ein solches Vorhaben nicht schon viel früher angestoßen wurde. Schließlich gibt es steuerlich vergünstigte Ticketpreise in anderen Ländern bereits seit einiger Zeit.

Doch reicht das, damit Bahn fahren attraktiv wird? Oder breiter gefragt: Was müsste die Bahn in Deutschland denn leisten, damit sie als zukunftsorientiert und attraktiv gilt?

In einer breit angelegten Nutzerbefragung in unserem Projekt „2049: Zeitreise Mobilität“ haben wir die Teilnehmenden gefragt, welche Attribute bei unserer Fortbewegung in 30 Jahren eine zentrale Rolle spielen sollten. In der folgenden Abbildung zeigt sich die Verteilung der Antwortmöglichkeiten.

»2049: Zeitreise Mobilität«

 

Überträgt man dieses Zwischenergebnis auf die Deutsche Bahn, lässt sich feststellen, dass die Bahn bei den wichtigsten Punkten schon einiges mitbringt, was schon heute mit der Mobilität der Zukunft verbunden wird:

Emissionsfreie Mobilität

Die Bahn ist zwar noch nicht emissionsfrei, aber schon heute eines der umweltschonendsten Verkehrsmittel. Nicht umsonst wird der Ausbau von innerdeutschen Hochgeschwindigkeitstrassen und eine dadurch einhergehende Reduktion des Luftverkehrs in Deutschland angestrebt. Gerade bei einer hohen Zugauslastung ist die Schiene als Verkehrsträger klar im Vorteil, insbesondere da die Deutsche Bahn vermehrt auf Ökostrom setzt. Bis 2050 wird dann sogar tatsächliche Klimaneutralität angestrebt.

Sichere Mobilität

Die Bahn konkurriert je nach Streckenlänge in Deutschland mit PKW-Fahrten, Fernbussen und bei längeren Distanzen auch mit Fluggesellschaften. Die jährlichen Unfallstudien des Statistischen Bundesamts belegen, dass die Bahn das sicherste Verkehrsmittel für die Mobilität im Alltag darstellt. Demnach ist das Risiko bei einem Verkehrsunfall mit dem Auto ums Leben zu kommen 63 Mal höher als mit der Bahn. Das Verletzungsrisiko bei einer Autofahrt ist im Vergleich sogar 113 Mal so hoch und bei der Reise mit dem Fernbus 34 Mal höher als bei der Nutzung der Bahn.

Wo die Bahn Nachholbedarf hat:

Gleichzeitig lassen sich auch einige Punkte ableiten, in denen die Bahn ihre Hausaufgaben noch machen muss, damit sie als das Mobilitätsmittel der Zukunft wahrgenommen wird:

Flexible und schnelle Mobilität

Die Bahn muss sich an wandelnde Mobilitätsbedürfnisse anpassen. Fahrgäste müssen das Vertrauen haben, auch dann ans Ziel zu kommen, wenn sich Reisepläne kurzfristig ändern oder durch äußere Umstände beeinträchtigt werden. Schnelligkeit und Flexibilität werden durch leistungsfähige Schienenfahrzeuge, eine moderne Infrastruktur und durch funktionierende Prozesse erreicht. All das ist nicht nur kosten- und personalintensiv, sondern setzt auch langfristige Investitionen voraus. Beides erfordert einen langen Atem bei den zuständigen Entscheidern und gleichermaßen Verständnis bei den Fahrgästen. Denn Investitionen bedeuten Baumaßnahmen und Baumaßnahmen führen zu Einschränkungen für Reisende.

Kostenlose Mobilität

Kostenlose Mobilität zeigt das Bedürfnis nach einer einfachen Zugänglichkeit und Nutzung, die einen Wandel von heutigen Betreiber- und Geschäftsmodellen zu Gunsten des Fahrgasts voraussetzt. Auch ohne kostenlose Fahrten lässt sich dem Bedürfnis nach Einfachheit und einem niederschwelligen Zugang auch schon heute nachkommen, etwa durch ein übersichtliches Tarif- und Ticketsystem sowie einem vereinfachten Buchungsvorgang.

Vor diesem Hintergrund behandelt man mit reduzierten Ticketpreisen lediglich die Symptome, statt sich tatsächlich mit den Ursachen auseinanderzusetzen. Der kränkelnde Patient wird am Leben erhalten und nicht geheilt. Denn zu hohe Fahrkartenpreise sind bei weitem nicht die einzige Hürde bei der Buchung. So lange Zugausfälle und Verspätungen aufgrund von technischen Defekten und infrastrukturellen Mängeln ein wesentlicher Bestandteil des Bahn-Alltags bleiben, führen mehr Bahn-Fahrende in erster Linie zu mehr unzufriedenen Bahn-Kunden.

Der jüngste Vorschlag des LINKEN-Politikers Bernd Riexingers über die Abschaffung der ersten Klasse im Regionalverkehr passt hier symptomatisch mit ins schräge Bild der Debatte. Es reicht nicht, die Effizienz unserer bestehenden Kapazitäten auf der Schiene auf Kosten der Service-Optionen zu verbessern. Stattdessen benötigen wir neue Kapazitäten durch mehr Züge und einer ausgebauten Infrastruktur, ergänzt durch einen verbesserten Service mit mehr Personal. Leider wird nach wie vor zu sehr aus der falschen Perspektive heraus betrachtet.

Nicht falsch verstehen: Auch ich halte es für richtig, dass Bahn-Fahren auch im Fernverkehr von der Mehrwertsteuer befreit wird. Doch das allein wird insbesondere mittelfristig keinen Beitrag zu einer Verkehrswende leisten, da es keinen langfristig anhaltenden Anreiz zum Umstieg bietet. Der politische Wille muss über den Steuerverzicht hinausgehen mit einem klaren Bekenntnis zu einer #starkenSchiene durch sichtbare und wirksame Maßnahmen.

Im Projekt »2049: Zeitreise Mobilität« entwerfen wir im Rahmen des Deutschlandjahrs USA und in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk Zukunftsbilder für die Mobilität in beiden Ländern. Hierzu sammeln wir sowohl Expertenstimmen als auch Nutzermeinungen. Ergebnisse aus der resultierende Studien werden in einer Dokumentation von arte aufgegriffen.

Wenn auch Sie Interesse daran haben, Ihre Vision einer zukünftigen Mobilität mit uns zu teilen, können Sie dies über den folgenden Link tun: https://www.befragung.iao.fraunhofer.de/3/limesurvey/index.php/943642?lang=de

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Patrick Ruess

Leitet das Team »District Innovation Ecosystems« und die Fraunhofer IAO-Außenstelle in München. Forscht daran, wie sich Neues in Städten etabliert und Innovationen übertragen werden können.

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Kategorien: Future Mobility, Stadtentwicklung
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