Unsere Arbeitsstrukturen werden immer virtueller. Teammitglieder begegnen sich immer weniger persönlich, die Präsenzanzeige in Lync ersetzt die halbangelehnte Bürotür und das damit gesetzte Statement, wie sehr man gestört werden möchte. Die Rückschlüsse auf die Person, die früher mit dem Blick auf das lokale Bürobiotop möglich waren (ist er ein Gummibaum-Fan oder eher Purist? Ausgedehnter Weltenbummler oder Designfan?) sind nun eher über den Facebook-Auftritt zu ziehen. Ja, vieles ist möglich in der virtuellen Arbeitswelt von morgen, und wir alle genießen die neuen Freiheitsgrade, die wir damit erhalten können. Aber natürlich drängt sich auch die Frage auf, was diese raum-zeitliche Flexibilisierung für die Organisation des täglichen Miteinanders und speziell für Führungskräfte bedeutet? Auch dieser Punkt wurde in unserer Open-Space-Veranstaltung in Reutlingen durchaus kontrovers diskutiert.

Spagat 1: Präsenz trotz körperlicher Absenz
Angesichts der genannten Trends der zunehmenden Flexibilisierung ist ganz sachlich erst einmal eine entsprechende Anpassung in der unmittelbaren personellen Führung notwendig. Wo Führung vermehrt über Distanz stattfindet, müssen sich Führungskraft und Mitarbeiter auf neue Formen der aktiven Verständigung und Rückmeldung über technische Medien einlassen. Das bedeutet im ersten Schritt eine ehrliche und individuelle Bestandsaufnahme dahingehend, wie sehr das eigene Verhalten und eigene Rückschlüsse an präsenzorientierter Wahrnehmung festgemacht wird. Wo macht »man« eigentlich Karriere im jeweiligen Unternehmen? Wie wichtig ist hierfür das informelle Gespräch abends nach dem Meeting zwischen Tür und Parkplatz oder das gemeinsame Bier an der Hotelbar? Welche intuitiven Rückschlüsse mache ich eigentlich bisher aufgrund des rein visuellen Eindrucks einer Arbeitssituation von Kollegen und Mitarbeitern? Was erkenne ich beim Blick ins Büro, über die Schulter, ins Gesicht des Kollegen, was für mich als Führungskraft oder Kollege durchaus relevant sein könnte? Führungskräfte sollten, auch bei konsequenter Ergebnisorientierung, stets eine sehr präzise Vorstellung von der augenblicklichen Arbeitssituation ihrer Mitarbeiter haben und darauf achten, dass Entgrenzung nicht mit gesundheitsgefährdender Überlastung einhergeht.

Spagat 2: Fürsorge vs. Freiräume
Im Ergebnis bedeutet all dies einen stark wachsenden Kommunikationsaufwand und eine neue Wertigkeit dieser Kommunikationsarbeit. Führungsarbeit ist hier vor allem Kommunikationsarbeit – medial unterstützt, proaktiv, explizit. Lippnack/Stamps haben in ihren Arbeiten über virtuelle Teams bereits vor zehn Jahren postuliert: »When in doubt, overcommunicate«. Die Erwartung, gerade mittlere Führungskräfte würden angesichts vernetzterer und flacherer Organisationsstrukturen eher überflüssig, wurde denn auch in der Diskussion mit den Tagungsteilnehmern nicht bestätigt. Gerade diese Führungskräfte sind es, die Mitarbeitern in zunehmend komplexen und turbulenten Arbeitsbeziehungen Orientierung geben können und wissens- wie teamintegrierende Funktion erhalten. Und hierfür ist vor allem situations- und medienspezifische, kluge und aktive Kommunikationsarbeit entscheidend.

Führungsarbeit befindet sich in zunehmendem Spagat – zwischen intensiver Kommunikation und individueller Betreuung auf der einen und der Gewährung von Handlungsspielräumen für gleichzeitig selbstbewusstere und eigenständigere Mitarbeiter auf der anderen Seite.

Die Schlüsselkompetenzen der Zukunft sind daher insbesondere Kommunikations- und Medienkompetenz sowie Faszinationsfähigkeit und erhebliche Veränderungsbereitschaft bei den Führungskräften selbst. Die unmittelbare Verantwortlichkeit für gesunde Arbeitsumgebungen und lebenslange Lernfähigkeit bedeutet zusätzliche Anforderungen. Sowohl in der Vermittlung der hierfür notwendigen Kompetenzen als auch in der Abbildung der damit verfolgten Ziele in das betriebliche Führungssystem wird in Zukunft wesentlich größerer Aufwand investiert werden müssen.

Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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