Wer sich mit der Verbreitung erneuerbarer Energiesysteme wie Wärmepumpen, Solarmodulen oder Biomasseheizungen beschäftigt, stolpert schnell über bekannte Muster: Eigentum, Einkommen, Bildungsniveau – die üblichen Verdächtigen. Aber wenn wir genauer hinschauen, offenbart sich eine tiefere, oft übersehene Logik: Die Art und Weise, wie Geschlechterrollen in Haushalten gelebt werden, entscheidet mit darüber, ob investiert wird oder nicht.
Aber wenn sie es doch tun, dann vor allem, weil sie sich selbst als kompetent einschätzen – und weil sie sich bei Energieentscheidungen im Haushalt als gleichberechtigt beteiligt erleben. Frauen, die ihre Stimme in Energiefragen als gleichberechtigt ansehen, haben fast dreimal so hohe Chancen, grüne Energietechnik zu nutzen.
Männer in Deutschland folgen einer anderen Logik: Bei ihnen sind vor allem kulturelle und kollektive Faktoren für die Affinität zu regenerativen Energiesystemen entscheidend – etwa einem höheren (selbst eingeschätzten) Umweltwissen, dem Gefühl von Gemeinschaft und einem jüngeren Alter. Bei Frauen hingegen korreliert die Nutzung nachhaltiger Strom- und Wärmeversorgung stärker mit Selbstwirksamkeit und gleichberechtigter Teilhabe im Haushalt: fühlen sie sich kompetent und entscheiden im Haushalt bei Energiefragen mit, beteiligen sie sich häufiger an entsprechenden Investitionen.
Polen: Männer mit gleichberechtigten Partnerinnen nutzen häufiger grüne Energie
In Polen ist das Muster noch spannender. Ob Frau oder Mann hat, anders als in Deutschland, keinen wesentlichen Einfluss auf die Häufigkeit der Nutzung erneuerbarer Energiesysteme. Stattdessen ist bei polnischen Männern – wie bei den deutschen Frauen – wichtig, ob in Energieangelegenheiten im Haushalt gleichberechtigt entschieden wird.
Anders als in Deutschland bezieht sich dieser Befund in Polen nur auf Paar-Haushalte (also anders als in Deutschland sind bspw. Wohngemeinschaften oder Alleinerziehende ausgenommen). Wenn Männer angeben, dass sie Energieentscheidungen gleichberechtigt mit ihrer Partnerin treffen, vervierfacht sich ihre Wahrscheinlichkeit, klimafreundliche Energiesysteme zu nutzen. Nicht die Frau muss sich durchsetzen – der Mann muss ihr Raum geben. Diese symbolische Anerkennung scheint ein entscheidender Katalysator zu sein.
Für polnische Frauen ist der Weg zur Einrichtung von Energieanlagen auf Sonnen-, Wind- oder Bio-Basis dagegen eher ein individueller: Wenn sie den Eindruck haben, sich mit Energiethemen auszukennen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit signifikant. Partnerschaftliche Entscheidungsmodi hingegen spielen für sie keine Rolle. Man könnte sagen: Sie agieren in einem kulturellen Setting, in dem formale Gleichberechtigung kein Hebel ist – wohl aber subjektive Kompetenz.
Unterschiedliche Dynamiken – gleiche Relevanz
Die Beziehungsdynamik in einem Privathaushalt spielt demnach eine wichtige Rolle für den Erwerb von Energiewende-Technik. Das scheint in Deutschland aber anders als in Polen zu funktionieren, wie wir in Abbildung 1 dargestellt haben.
Die Grafik zeigt: Bei deutschen Frauen steigt die Nutzung erneuerbarer Energiesysteme (RES), wenn sie sich bei Energieentscheidungen im Haushalt gleichberechtigt beteiligt fühlen – unabhängig vom Beziehungsstatus. Bei polnischen Männern wirkt Gleichberechtigung vor allem dann, wenn sie mit einer Partnerin zusammenleben und gemeinsam entscheiden. Signifikante Zusammenhänge sind mit einem Stern markiert. Erstellt von Arkadiusz Szlaga.
Unser zugespitzter Interpretationsversuch: In Polen wirkt Gleichberechtigung tendenziell dann stark, wenn Männer sie in einer Partnerschaft aktiv zulassen – als Zeichen der Anerkennung und Einladung zur gemeinsamen Entscheidung. In Deutschland dagegen zeigt sich der Effekt vor allem dann, wenn Frauen sich in Energiefragen als gleichberechtigt beteiligt erleben – unabhängig davon, ob sie in einer Partnerschaft leben oder nicht. Während also in Polen die Haltung des Mannes zur Gleichberechtigung der Geschlechter bei der Energiewende förderlich ist, wirkt in Deutschland vor allem das individuelle Erleben von Mitbestimmung durch die Frau. Gleichstellung spielt in beiden Ländern eine Rolle – aber einmal als Ermöglicher gemeinsamer Entscheidungen, einmal als Voraussetzung für individuelles Handeln.
Was heißt das für die Praxis?
Diese Ergebnisse sind mehr als ein soziologisches Detail. Sie zeigen, dass Energiewende keine rein technische Transformation ist – sondern eine kulturelle. Und sie legen nahe, dass wir mit standardisierten Kampagnen an den eigentlichen Hebeln vorbeizielen:
In Deutschland sollten Programme gezielt weibliche Selbstwirksamkeit stärken – etwa durch Schulungen, Rollenvorbilder oder Energieberatung für Frauen. Zugleich braucht es Strategien, die gezielt dort ansetzen, wo Frauen bislang weniger Mitspracherecht oder Zugang zu Eigentum haben. Entscheidend ist nicht allein der formale Status im Haushalt, sondern ob Frauen sich in Energieentscheidungen tatsächlich einbezogen fühlen.
In Polen lohnt sich eine Ansprache, die Männer als aktive Mitgestalter einer gemeinsamen Energiewende einbindet – nicht als alleinige Entscheider, sondern als Unterstützer partnerschaftlicher Entscheidungen. Der Schlüssel liegt oft in der sozialen Anerkennung weiblicher Perspektiven.
Fazit: Empowerment ist nicht geschlechtsneutral
Befähigen, nicht nur informieren: Es reicht nicht, Informationen zu streuen. Wir müssen Strukturen schaffen, in denen Kompetenz anerkannt und geteilt wird. Die Energiewende beginnt im Kopf – und oft in der Küche, am Wohnzimmertisch oder in der Art, wie Paare ihre Entscheidungen treffen. Gendergerechtigkeit ist dabei kein »Add-on«. Sie ist eine Voraussetzung.
Politiken, die sich an ihren Lebensrealitäten orientieren.
Leselinks:
- Die Website des gEneSys-Projekts in dem wir Geschlechter-Aspekte unserer Energiesysteme erforschen
- Unser aktuelles gEneSys Policy Paper »Energiearmut in Europa«
- Alle von uns verfassten Blogbeiträge zum Thema »Geschlechtergerechte Energiewende«
- Einen umfassenden Überblick über den Forschungsstand zur Verbindung von Gender und Energie liefert unsere systematische Literaturübersicht
Kategorien: Nachhaltigkeit
Tags: Energiewende, Geschlechtergerechte Energiewende, Gleichstellung
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