Großflächiger Stromausfall über einen längeren Zeitraum? Ein Blackout ist das Schreckensszenario, das – Achtung Wortspiel – aufleuchtet, wenn es um die Netzstabilität in Deutschland geht. Ein stabiles Stromnetz zu garantieren, ist eine der zentralen Herausforderungen der Energiewende. Hier lautet das Zauberwort: Flexibilität. Ein kaum genutztes Potenzial dafür steht in Deutschlands Garagen: Wenn die Batterien vorhandener E-Autos vernetzt würden, könnten sie je nach Bedarf Energie anbieten oder nachfragen – wie ein virtuelles Kraftwerk. Davon profitieren alle, die ein E-Auto besitzen, das Stadtwerk und der Netzbetreiber. Ein Überblick über die Möglichkeiten von Vehicle-to-Grid.

Herausforderungen im Stromnetz

Stellen Sie sich vor, Sie sind Netzbetreiber. Die Energiewende ist stressig. Verdammt stressig… Sie sind dafür verantwortlich, dass es keine Katastrophe wie einen Blackout gibt. Sie sorgen für das Gleichgewicht von Energieerzeugung und -nachfrage. In Ihrer Verantwortung liegt die Versorgung Ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Strom. Immer mehr Erneuerbare führen zu einer wachsenden Stromproduktion auf Verteilnetzebene, wofür die klassische Netzarchitektur nicht ausgelegt ist. Als Verteilnetzbetreiber müssen Sie deshalb zunehmend Aufgaben des Übertragungsnetzbetreibers übernehmen: Sie steuern die Stromeinspeisung und müssen zukünftig auch für Netzstabilität sorgen.

Die Prognose der Stromerzeugung ist dabei immer schwieriger und weniger verlässlich. Es gibt weniger konventionelle Kraftwerke mit konstanter Stromproduktion. Auf die stärkeren Schwankungen in der Stromerzeugung durch Erneuerbare müssen Sie reagieren. Die steigende Anzahl an Elektrofahrzeugen führt zudem dazu, dass vergleichsweise große Energiemengen in kurzer Zeit nachgefragt werden. Das erfordert den Ausbau von Netzkapazitäten auf Verteilnetzebene. Die Stromerzeugung wird lokaler, aber nicht immer autarker. Denn nur durch das Übertragungsnetz kann Strom auch in sonnenlosen, windstillen Tagen verteilt werden. Auch das Übertragungsnetz muss deshalb ausgebaut werden.

Ganz schön viel zu tun! Und jetzt kommt noch eine neue Technologie dazu und die Elektrofahrzeuge sollen in Zukunft bidirektional laden? Doch das ist kein Problem, sondern eine Lösung: Bidirektionales Laden kann Sie als Netzbetreiber auf vielfältige Weise entlasten! Es bietet Möglichkeiten zur spontanen Energieproduktion und -nachfrage. Es könnte sogar den notwendigen Netzausbau reduzieren und sorgt durch cleveres Netzmanagement für Stabilität.

Elektrofahrzeugflotten als virtuelles Kraftwerk

Im Bereich der Frequenzregulierung kann eine Flotte an Elektrofahrzeugen als virtuelles Kraftwerk Flexibilität anbieten, weil ihre Batterien spontan Energie liefern oder nachfragen können.

Das Aggregator-Konzept dahinter ist eigentlich ziemlich simpel: Fahrzeugbesitzende stellen die Batterien ihrer Fahrzeugflotte für den Lastenausgleich zur Verfügung. Die genauen Bedingungen dafür definieren sie selbst: Sie beanspruchen beispielsweise einen Mindestladestand, können Vehicle-to-Grid zu bestimmten Zeiten verbieten und einen schonenden Umgang mit der Batterie fordern (z. B. Batterie-Entladen nur bei bestimmten Batterieladeständen), was die Batteriealterung sogar verlangsamen kann.

Der Aggregator managt nun eine gesamte Flotte und steuert das Ladeverhalten aller Fahrzeuge. Durch den bidirektionalen Ladeanschluss hat der Aggregator viele Möglichkeiten und kann spontan mehr oder weniger Energie nachfragen bzw. sogar Energie ausspeisen. Diese Flexibilität bietet er am Strommarkt beispielsweise als Regelleistung an. Regelleitung bedeutet, dass die Energie verfügbar ist, aber nur bei Bedarf tatsächlich eingesetzt wird. Nur das Angebot bei Bedarf einzuspringen, wird schon bezahlt.

Aber auch andere Strommarktmechanismen, wie der klassische Stromverkauf am Intraday- oder Day-Ahead-Markt sind denkbar. Die Gewinne werden an die Fahrzeugbesitzenden weitergeben. Natürlich bekommt der Aggregator auch noch eine ordentliche Provision.

Neben dem Aggregator-Konzept, bei dem Flexibilität am Strommarkt verkauft wird, sind auch andere Konzepte denkbar. Fahrzeugbesitzende können beispielsweise durch dynamische Strompreise selbst über die Ladezeitpunkte entscheiden.

Aggregatoren für eine verlässliche Prognose

Eine wichtige Frage für das Aggregator-Konzept ist, wie gemessen wird, ob nun mehr oder weniger Strom nachgefragt wurde. Wird ein Standardlastprofil der Gesamtfahrzeugflotte als Vergleich genommen oder die Abweichung vom prognostizierten Stromverbrauch der Fahrzeugflotte berücksichtigt? Der Aggregator könnte den Stromverbrauch seines virtuellen Kraftwerks vorher kommunizieren. Schwankungen kann er durch die Ladesteuerung selbst ausgleichen und gleichzeitig Flexibilität anbieten. Schon durch das Einhalten von prognostizierten Verbräuchen ist dem Netzbetreiber geholfen. Die Nachfrage wird konstanter und vorhersehbar. Das hilft dem Bilanzkreisverantwortlichen, also demjenigen, der für den Ausgleich zwischen Stromerzeugung und -nachfrage verantwortlich ist. Der Netzbetreiber muss sich nicht um die clevere Ladesteuerung der Fahrzeuge kümmern, aber hat gleichzeitig verlässlichere Verbrauchsprognosen.

Vehicle-to-Grid-Anwendungsfälle

Über das Management einer großen Fahrzeugflotte stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Peak Shaving: Spitzenlasten werden reduziert und damit auch die benötigten Kapazitäten von Leitungen. Das entlastet beim nötigen Ausbau der Netzinfrastruktur. Analog hilft auch die Lastnivellierung.
  • Erneuerbare-Energien-Speicher: Der CO2-Ausstoß wird reduziert. Zum Beispiel wird überschüssige PV-Energie mittags, wenn das Fahrzeug im Unternehmen angesteckt ist, gespeichert und abends, wenn es zu Hause ist, wieder in das Netz zurückgegeben.
  • Notfallreserve: Die Fahrzeugspeicher springen z. B. bei einem Kraftwerkausfall ein.
  • Redispatching: Beim Engpassmanagement wird darauf geachtet, dass die Übertragungskapazitäten der Stromleitungen nicht überschritten werden. Wäre dies der Fall, kann die Energie nicht transferiert werden und stattdessen muss die Energie lokal zur Verfügung stehen. Auch hier macht sich die Flexibilität von Elektrofahrzeugflotten bezahlt: Sie können durch ihren Anschluss in unterschiedlicheren Orten und Regionen die Nachfrage auf sehr lokaler Ebene steuern.
  • Blindleistung: Im Bereich der Spannungsregulierung kann die Blindleistung gesteuert werden.
  • Rotorwinkelstabilität: Über Phasenregelschleifen kann die Trägheit von großen Generatoren imitiert werden.

Fazit

Bidirektionale Elektrofahrzeugflotten können die drei Ebenen Spannungs-, Frequenz- und Rotorwinkelstabilität bedienen. Smarte Ladealgorithmen helfen beim Netzmanagement und insbesondere die Fahrzeugflotten bieten ein hohes Maß an Flexibilität. Zudem kann das Engpassmanagement unterstützt und dadurch begrenzte Netzkapazitäten berücksichtigt werden. Natürlich löst bidirektionales Laden nicht alle unsere Probleme. Doch es braucht clevere Lösungen, um den Herausforderungen der Energiewende zu begegnen. Wir können uns dabei bei der Energiewende selbst bedienen. Wir können die Möglichkeiten der Elektromobilität nutzen und mithilfe bidirektionalen Ladens intelligente und flexible Strategien entwickeln. PKW parken zu 97 Prozent der Zeit. Gleichzeitig brauchen wir mehr Speicher. Es liegt eigentlich auf der Hand. Und ist es nicht im Sinne der Nachhaltigkeit die Ressourcen zu nutzen, die wir schon haben?



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