Der Verkehrssektor in Deutschland gilt als Sorgenkind, wenn es um die Erreichung von Klimazielen geht. 2022 war er für 20 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Eine mögliche Lösung kommt nun in Form des Deutschlandtickets, das darauf abzielt, den Umstieg vom privaten Pkw auf den öffentlichen Personennahverkehr zu erleichtern. Das Ticket ist daher auch bekannt als 49 Euro-Ticket oder Klimaticket. Ob das Ticket seinem Namen gerecht wird, hängt allerdings davon ab, ob die Bevölkerung das Deutschlandticket nutzt und damit emissionsbelastende Mobilitätsformen substituiert. Kann das Deutschlandticket Weichen für eine nachhaltigere Mobilität stellen und die deutsche Bevölkerung zum Umsteigen bewegen?

Als Mitglieder der Fraunhofer Allianz-Verkehr haben die Fraunhofer-Institute IAO und IML in einer gemeinsamen Studie die Nutzung und den Besitz des Deutschlandtickets, Unterschiede zwischen Nutzenden und Nicht-Nutzenden als auch Auswirkungen und Nachhaltigkeitseffekte untersucht. Hierfür wurde eine bevölkerungsrepräsentative Online-Umfrage mit mehr als 3.700 Bürgerinnen und Bürgern durchgeführt.

Zu hoher Preis für zu wenig ÖPNV?

Für Personen, die das Deutschlandticket bisher nicht nutzen, sprechen insbesondere zwei Aspekte gegen den Kauf: der Preis und die Leistung. Die größten Leistungsdefizite existieren in fehlenden passenden Verbindungen (36 %), Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit (28 %) sowie in der Anbindung und Erreichbarkeit der Haltestellen (23 %). Knapp ein Drittel der Befragten gab an, dass sie das Deutschlandticket bei einem günstigeren Preis kaufen würden (30 %) und das Ticket als zu teuer empfunden wird (24 %). Der Name ist Programm: In der Einführungsphase wird das Deutschlandticket für 49 Euro pro Monat angeboten, weshalb es im allgemeinen Sprachgebrauch häufig synonymisch »49-Euro-Ticket« genannt wird. Sind 49 Euro (günstig) genug, um die Mobilitätswende aktiv voranzutreiben? Die Studienteilnehmenden gaben an, dass ein Preis von durchschnittlich 33 Euro als günstig empfunden wird, 53 Euro gelten als teuer und 75 Euro wurden als zu teuer eingeschätzt. Es wird also deutlich, dass sich der aktuelle Preis des Deutschlandtickets circa in der Mitte der Werte bewegt, die von den Befragten als günstig und teuer angegeben werden. Personen, die das Deutschlandticket bereits nutzen sind bereit mehr für das Ticket zu bezahlen als Personen, die es bisher nicht nutzen.

Doch wer nutzt das Deutschlandticket, wer nicht?

Die Analysen zeigen, dass sich Nutzende und Nicht-Nutzende hinsichtlich soziodemografischer Eigenschaften, ihrer Lebenssituation und Persönlichkeitsmerkmale sowie ihrem Mobilitätsverhalten signifikant voneinander unterscheiden:

  • Die Deutschlandticket-Nutzung ist nicht vom Geschlecht abhängig, das Alter spielt jedoch eine Rolle: Nutzende sind eher jung, während Nicht-Nutzende mehrheitlich über 54 Jahre alt sind.
  • Während Nutzende durchschnittlich einen höheren Bildungsstand aufweisen und in Vollzeit arbeiten, sind Nicht-Nutzende häufig im Ruhestand, leben in Zwei-Personen-Haushalten und haben ein geringeres Einkommen.
  • Hohes Umweltbewusstsein und Identifikation als ÖPNV-Fahrerende unter den Deutschlandticket-Nutzenden.
  • Deutschlandticket-Nutzende fahren mindestens einmal wöchentlich mit dem ÖPNV. Nicht-Nutzende sind Pkw-abhängiger und zum Teil ÖPNV-Verweigernde.
(Quelle Illustrationen: Microsoft Bing Image Creator)

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Welche Nachhaltigkeitspotenziale bringt das Deutschlandticket mit sich?

Wir fanden heraus, dass das Deutschlandticket nur eingeschränkt mobilitätsinduzierend ist und vergleichsweise wenig Mehrverkehr erzeugt, obwohl es durch die deutschlandweite Gültigkeit stark an »Betriebsgebiet« bzw. »Leistung« gewinnt. Vielmehr trägt es dazu bei, dass Menschen den ÖPNV häufiger nutzen als noch vor Einführung des Deutschlandtickets. Zudem führt es zu einer Verlagerung vom MIV (motorisierter Individualverkehr) auf ÖPNV: Meist sind diese Zusatzstrecken substituierte Pkw-Fahrten. Das Ticket wirkt also. Doch auch Soft Modes, d. h. Strecken zu Fuß und Fahrrad, machen Abstriche und werden durch das Deutschlandticket teils substituiert. Das Alleinstellungsmerkmal des Tickets, die deutschlandweite Gültigkeit, wird nur geringfügig ausgenutzt. Vielmehr wirkt das Ticket als lokale Erweiterung und überwindet Barrieren unterschiedlicher Tarifstrukturen und Verkehrsverbünde. Dennoch – das Deutschlandticket wirkt und zeigt eine beachtliche Substitutionswirkung und ein hohes Modal-Shift-Potenzial.

Wie geht es weiter?

Hält das Deutschlandticket also was es verspricht? Ist es »die Ticketrevolution« oder »das Instrument« für die Verkehrswende in Deutschland? Diesen und weiteren spannenden Fragen wird in der Studie begegnet und das Deutschlandticket kritisch beleuchtet. Nutzen Sie bereits das Deutschlandticket? Oder was spricht dagegen? Sind Sie neugierig geworden und haben Interesse noch tiefer in das Thema einzutauschen, dann lesen Sie sich gerne das zugehörige Paper in ganzer Länge durch.

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Carolin Hamel

Carolin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Mobility Ecosystems am Fraunhofer IAO und IAT der Universität Stuttgart. Sie erforscht, wie nachhaltige Mobilität in urbanen und ländlichen Regionen aktuell und auch in Zukunft aussehen kann und legt dabei besonderen Fokus auf die Perspektive der Nutzenden und der Gesellschaft.

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Kategorien: Digitalisierung, Future Mobility, Nachhaltigkeit
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