Dienstleistungssouveränität – der Begriff klingt sperrig, ist aber wichtig: Es geht darum, in einer digitalen Welt mit Künstlicher Intelligenz (KI), Daten und Plattformen selbstbestimmt zu entscheiden – über Technologien, Daten, Prozesse und Partnerschaften. Nur so können Dienstleistende für sich selbst und ihre Kunden langfristig Werte schaffen. Aufgrund der zunehmenden Relevanz des Themas stellte das Deutsche Forum Dienstleistungsforschung (DF)² diesen dennoch neuzeitigen Begriff in den Vordergrund ihrer diesjährigen Jahrestagung in Heilbronn. Dort wurde das Thema mit Expertinnen und Experten aus Forschung und Praxis erörtert und so ein wichtiger Akzent sowohl für Forschung als auch Praxis gesetzt.

Dienstleistungen im digitalen Zeitalter

Wer sich auf wenige Technologieanbieter und deren Lösungen stützt, riskiert eingeschränkte Kontrolle über seine Daten und verliert Gestaltungsspielräume. Dienstleistungssouveränität heißt deshalb, KI‑ und datengestützte Services so zu gestalten, gemeinsam zu erbringen und über Organisationsgrenzen hinweg zu nutzen, dass sowohl Unternehmen als auch Kunden handlungsfähig bleiben – unabhängig, aber kooperationsfähig.

In einer Welt globaler Verflechtungen, technologischer Umbrüche und geopolitischer Unsicherheiten wird Dienstleistungssouveränität deshalb zum strategischen Thema. Gerade die Zusammenarbeit in datengetriebenen Ökosystemen verlangt klare Regeln für Zugriffsrechte auf Ressourcen, Plattformnutzung und Governance. Ohne Souveränität sind selbstbestimmte Entscheidungen schlicht nicht möglich: Wer seine Schnittstellen und Partnerbeziehungen nicht im Griff hat, kann Innovation weder sicher noch nachhaltig skalieren. Deshalb muss Souveränität in moderner Wertschöpfung von Anfang an mitgedacht werden – als Leitprinzip für Architektur, Betrieb und Zusammenarbeit.

Technologie und Daten sind nur Bestandteile

Heutzutage wird der Begriff Souveränität oft mit neuen Technologien wie KI, großen Tech-Firmen und Datenschutz in Verbindung gebracht. Für die moderne, service-getriebene Wertschöpfung ist das allerdings zu kurz gedacht. Die Dienstleistungssouveränität erweitert den Umfang des Begriffs auf fünf Perspektiven: Anbieter-, Kunden- und deren Interaktionsperspektive sowie Ökosystemperspektive und damit verbundene Rahmenbedingungen (siehe Abbildung 1). Die Ökosystemperspektive umfasst externe Akteure und Ressourcen wie Partner, Wettbewerber und Plattformanbieter. Die Anbieterperspektive beschreibt Fähigkeiten, Ressourcen und Strategien der Anbieter. Die Kundenperspektive fokussiert Bedürfnisse, Erwartungen und Kompetenzen der Kunden. Umrahmt wird das Ganze aus Perspektive der Rahmenbedingungen wie Regulierung, Gesetzgebung und politischen Faktoren.

Anhand dieser fünf Perspektiven lassen sich zahlreiche Fragestellungen zu Dienstleistungs-Souveränität systematisch analysieren und Lösungen gestalten. Das eröffnet ein breites Feld für Forschung und Praxis – von Datenhoheit und Plattform-Governance über kooperative Betriebsmodelle bis zu Compliance und Resilienz. Interessant sind unter anderem die Fragen, wann Menschen unabhängig sein möchten und wann Abhängigkeiten in Ordnung sind, wie Unternehmen eine Balance zwischen Wettbewerbsfähigkeit und der Umsetzung eigener technischer Lösungen finden können und welche Rolle die europäische Innovationspolitik dabei spielt.

Abbildung 1: Verschiedene Perspektiven auf Wertschöpfung in Dienstleistungsökosystemen. (Quelle: Fraunhofer IAO)

Abbildung 1: Verschiedene Perspektiven auf Wertschöpfung in Dienstleistungsökosystemen. (Quelle: Fraunhofer IAO)

Die Jahrestagung fand dieses Jahr erstmals in Heilbronn statt und verband das regionale KI-Innovationsökosystem mit Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Im Fokus: Dienstleistungssouveränität in KI-Ökosystemen – mit Debatten, Praxisblick und Gestaltungsansätzen. Der Netzwerkabend im IPAI bot Einblicke und erste Vernetzungsmöglichkeiten. Eröffnet von Prof. Dr. Katharina Hölzle und Dr. Jens Neuhüttler, wurde die Tagung durch praxis- und forschungsnahe Keynotes ergänzt; anschließend erarbeiteten Teilnehmende in vier parallelen Workshops zukünftige Fragestellungen aus Anwender-, Kunden-, Ökosystem- und Rahmenbedingungsperspektiven.

Das neue Themengebiet wird erschlossen

Die Diskussionen der Teilnehmenden beleuchteten viele interessante Aspekte der Dienstleistungssouveränität und deren Rolle für Forschung, Unternehmen und Politik. Unter anderem zeigte sich:

  • Souveränität entsteht in Beziehungen: Nutzer und Anbieter sind voneinander abhängig. Opportunistisches Verhalten entsteht aus einem ungleichen Machtverhältnis.
  • Souveränität muss zukunftsgerichtet gedacht und gestaltet werden.
  • Innovation muss aus Perspektive der Dienstleistung gedacht werden; nur so entsteht nachhaltige und souveräne Wertschöpfung.
  • Europäische Unternehmen sollten wieder mehr zusammenarbeiten und dabei auf eigene Kompetenzen und Ressourcen bauen, um in Zukunft souverän zu bleiben.
  • Dabei sind ihre Werte, was sie vereint und im globalen Kontext stark macht.
  • Die Bevölkerung muss für das Thema sensibilisiert werden, damit Menschen weiterhin selbstbestimmte, informierte Entscheidungen treffen können.

Mit der Jahrestagung setzt (DF)² einen wichtigen Akzent in der deutschen Dienstleistungsforschung und rückt Dienstleistungssouveränität ins Bewusstsein von Forschung und Praxis– als Thema, das Innovation mit KI ermöglicht und zugleich Unabhängigkeit, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit stärkt.

Sprechen Sie uns an!

Am Forschungs- und Innovationszentrum Kognitive Dienstleistungssysteme beschäftigen wir uns bereits seit Jahren mit dem Thema Daten- und KI-basierte Services entlang der Wertschöpfungskette. Im Angesicht der zunehmenden Digitalisierung in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich Unternehmen und Organisationen intensiv mit der Entwicklung und dem Management datenbasierter Dienstleistungssysteme auseinandersetzen, um wettbewerbsfähig und erfolgreich zu sein. Wir identifizieren konkrete Mehrwerte, entwickeln datenbasierte Geschäftsmodelle und optimieren Dienstleistungsprozesse. So wird auch Dienstleistungssouveränität vom Schlagwort zur gelebten Fähigkeit.

(DF)² Jahreskonferenz 2025
(DF)² ist eine interdisziplinäre Plattform für den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zur Dienstleistungsforschung. Sie macht Erkenntnisse sichtbar, vernetzt Akteure und setzt Impulse für zukunftsfähige, resiliente Wertschöpfung – national wie international, mit Expertinnen und Experten aus Informatik, Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Das Fraunhofer IAO ist ebenfalls Teil der Forschungs-Community.



Leselinks:

Jakob Guhl

Jakob Guhl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungs- und Innovationszentrum Kognitive Dienstleistungssysteme im Team »Service Ecosystem Innovation«. Seine Forschung befasst sich mit der Entwicklung intelligenter Dienstleistungen, organisatorischer Resilienz und verantwortungsvoller KI. Seine jüngste Forschung beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Weise verschiedene digitale Technologien, wie z.B. generative KI, den Service-Entwicklungsprozess unterstützen können.

Autorenprofil - Website - LinkedIn



Kategorien: Arbeitswelten (New Work, Connected Work), Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und Resilienz, Produktion und Wertschöpfung
Tags: ,