Wenn man an die Otto Group denkt, haben viele – oder zumindest ich – noch den Versandkatalog der Großmutter im Kopf: das Rauschen der Seiten, das Bleistiftkreuz neben der Bestellnummer. Heute sortieren Roboter die Pakete, KI schreibt Produkttexte, und Mitarbeitende lernen mit ogGPT – einem internen KI-Assistenten – wie sie Künstliche Intelligenz sicher einsetzen können.
Der Wandel der Otto Group von der Print- zur Plattformwelt in einem Markt mit so starken Konkurrenten wie Amazon oder Zalando ist beeindruckend. Wie bei allen Unternehmen ist auch in der Otto Group Voraussetzung und Schmiermittel für die Transformation zu immer stärker digitalen Geschäftsmodellen die Unternehmenskultur – also die Art und Weise wie miteinander gearbeitet wird.
Im Gespräch für unseren Culture Analytics Podcast beschreibt Melissa Kühn, Tech-Strategin bei OTTO, die sogenannte Digitalkultur als ein System aus Haltung, Kompetenz und Struktur. Digitalisierung ist für sie vor allem eines NICHT: ein Softwareproblem.
Digitalkultur heißt: Veränderungen willkommen heißen, Wissen breit zugänglich machen und Strukturen schaffen, die digitales Arbeiten ermöglichen.

Culture Analytics: Diesmal mit Melissa Kühn, Tech-Strategin bei der OTTO Group (passend zum Thema mit Bild von der KI).
Aus unserer Sicht bieten diese Prinzipien wertvolle Einsichten, wie Unternehmen und Behörden günstige Rahmenbedingungen für erfolgreiche Digitalisierung schaffen können. Ein Patentrezept sind sie nicht – doch als Orientierung taugen sie allemal. Werfen wir einen genaueren Blick darauf:
1. Kultur und Mindset: Veränderung aushalten können
Digitalkultur beginnt mit der Bereitschaft, sich auf das Unbequeme einzulassen. »Es ist anstrengend, Neues zu lernen – aber wir tun es trotzdem«, sagt Melissa Kühn in unserem Podcast. Diese Haltung, Veränderung nicht als Störung, sondern als Trainingsreiz zu verstehen, sieht sie als zentral für den Erfolg des Wandels.
In der Otto Group wurde diese Lernhaltung früh eingeübt: mit einem Kulturwandelprogramm, das auf Freiwilligkeit, Offenheit und Experimentierfreude setzt. Fehler gelten nicht als Rückschlag, sondern als notwendiger Teil des Lernprozesses.
Statt Perfektion zu fordern, verfolgt die Otto Group einen risikobasierten Ansatz: Große Risiken werden verhindert, kleine werden in Kauf genommen, um Erfahrungen zu ermöglichen. Das erinnert – wissenschaftlich gesprochen – an die »lernende Organisation« im Sinne Peter Senges: fähig, sich selbst durch Iteration weiterzuentwickeln.
2. Skills und Wissen: Digitale Alphabetisierung als Organisationsaufgabe
Wissen ist die zweite Säule. Die Otto Group hat erkannt, dass digitale Kompetenz kein Spezialwissen der IT ist, sondern eine Grundbedingung für alle.
Das Unternehmen baut diese Kompetenz systematisch und vielfältig auf:
über Videolernpfade, Live-Sessions, Hackathons und Programme wie die GenAI Ambassadoren, die Fachwissen in ihre Abteilungen tragen.
Der interne KI-Assistent ogGPT bietet eine sichere Spielwiese, auf der Mitarbeitende lernen können, wie sie Generative KI in ihren Alltag integrieren – ohne Angst, etwas »kaputt zu machen«.
Für viele Organisationen ist das ein wichtiger Hinweis: Digitale Kompetenz entsteht nicht durch Einzeltrainings, sondern durch den Aufbau einer Lerninfrastruktur (und wieder klopft Peter Senge an).
3. Strukturen und Prozesse: Ermöglichen statt verhindern
Kultur und Kompetenz allein reichen nicht. Ohne passende Strukturen bleibt Digitalkultur im luftleeren Raum. Bei OTTO bedeutet das: sichere Tools, klare Regeln, schlanke Entscheidungswege.
Es gibt interne Räume, in denen Neues ausprobiert werden darf – und andere, in denen Sicherheit oberste Priorität hat.
Führungskräfte sind dafür verantwortlich, Bedingungen zu schaffen, unter denen Neues möglich wird. Der Vorstand sendet regelmäßig klare Botschaften (»Wir müssen KI nutzen, um sichtbar zu bleiben«), während AI-Ambassador-Programme auf Teamebene Wissen und Begeisterung streuen.
Das Unternehmen bemüht sich, die Digitalisierung sowohl aus der Belegschaft heraus als auch von der Spitze her zu treiben, also Top-Down und Bottom-Up: Transformation funktioniert nicht durch Ansage, sondern durch Resonanz.
Wenn Wandel zur Routine wird
Natürlich ist der Weg nicht frei von Stolpersteinen. Melissa beschreibt, wie die Otto Group gelernt hat, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Veränderung umzugehen: Erst kommen die Neugierigen, dann folgt die große Mitte. Wer nicht mitziehen will, darf das bisher – solange er oder sie den Fortschritt nicht blockiert.
Langfristig, sagt sie, werden Organisationen aber Phasen brauchen, in denen sie sich »neu starten«, um mit dem technologischen Fortschritt aufzuholen:
»
Die Technologie entwickelt sich schneller, als Menschen folgen können. Deshalb brauchen wir ab und zu einen organisational reset.«
Melissa Kühn, Tech-Strategin bei der OTTO Group
Das ist kein Rückschritt, sondern eine realistische Beschreibung des Lernzyklus in einer digitalen Welt.
Fazit: Digitalkultur ist kein Projekt – sie ist eine Praxis
Das Beispiel der Otto Group zeigt: Digitalisierung ist weniger ein technischer Wandel als eine kulturell-menschliche Transformation. Sie verändert, wie Menschen lernen, entscheiden und zusammenarbeiten. Digitalkultur – so die Idee – entsteht überall dort, wo Organisationen das Zusammenspiel von Haltung, Wissen und Struktur bewusst gestalten.
Oder, in Melissas Worten:
»
Wir wollen nicht warten, bis Technologie perfekt ist. Wir wollen so weit sein, wenn sie es wird.«
Melissa Kühn, Tech-Strategin bei der OTTO Group
Ein Gespräch über Wandel als Kulturleistung, über Lernen als Führungsaufgabe und darüber, warum der Mut zum Unbequemen die vielleicht wichtigste digitale Kompetenz ist.
🎧 Jetzt reinhören: Unsere Culture Analytics-Podcast mit der Folge »Digitalkultur bei OTTO – Wie schaffen wir die Digitalisierung?«
Leselinks:
- Unternehmenskultur isst gestaltbar: Wie unser Team rund um das Thema Digitalkultur forscht und berät
Kategorien: Arbeitswelten (New Work, Connected Work), Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz
Tags: Organisationskultur

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