Selbst der Bundeskanzler meldet sich zu Wort, und seine Aussagen zu Work-Life-Balance und der 4-Tage-Woche im Frühjahr dieses Jahres waren Trigger für eine Vielzahl von Debatten. Vor wenigen Tagen durfte ich dazu zu Gast sein im Arte Saloon, wo unter dem Titel: »Wie wenig wollen wir arbeiten?« wesentliche Argumente ausgetauscht wurden. Ich hoffe, wir Teilnehmenden konnten die Debatte durch grundierte Fakten und wissenschaftliche Einschätzungen versachlichen. Denn diese Debatte ist meiner Meinung nach in weiten Teilen durch anekdotische Evidenzen statt seriöser statistischer Analysen und Schlussfolgerungen geprägt, von linearen Projektionen von Arbeitszeit auf Arbeitsmenge und Produktivität, und einer nur geringen Kenntnisnahme vorliegender Studien zum Zusammenhang von Arbeitszeit, Belastung und Krankheitsquote oder anderen wesentlichen Parametern wie Leistungsschwankungen, Leerzeiten etc. Dazu ist übrigens gerade auch ein lesenswertes Buch von Guido Zander erschienen.

Die Top-Aufreger: Homeoffice und die 4-Tage-Woche

Die Debatte entzündet sich nicht zufällig an der aktuellen Praxis der Ausgestaltung mobiler und hybrider Arbeit bzw. Homeoffice, deren Umfang durch vielfältige Rollback-Bemühungen wieder eingegrenzt werden soll. Und auch, siehe das Zitat des Bundeskanzlers, an der 4-Tage-Woche. Damit stehen DIE beiden wesentlichen Flexibilisierungsbewegungen unserer Arbeitssysteme unter Dauerfeuer: Orts- und Zeitflexibilität. Sie fungieren gefühlt beide als Synonym einer vermeintlich einseitig überzogenen Orientierung an Vereinbarkeit, mitarbeiterseitigem Wohlbefinden, die den Leistungsgedanken zu wenig beachte.

Wieviel arbeiten wir denn wirklich?

Wir wissen: Deutschland liegt z.B. im Bereich der Arbeitszeiten im Sinne von durchschnittlichen Mengen im Mittelfeld. Unser statistischer Schnitt wird überproportional durch viel Teilzeit, insbesondere bei Frauen, geprägt. Erst kürzlich kam dazu eine neue Meldung auf Zeit Online. Das ist, neben individuellen Präferenzen, zum Teil strukturell bedingt (unzureichende Kitabetreuung, einseitige Verlagerung von unbezahlter Care-Arbeit auf Frauen etc.) und zumindest gesellschaftspolitisch offenbar auch gewollt – sonst wäre das Ehegattensplitting und die damit gewollte Bevorzugung tradierter »Verdienermodelle« (eben meistens der Mann) schon lange Geschichte. Aber offenbar reichen Statistiken und Erfahrungen aus Nachbarstaaten hierzu bisher nicht, eine wirksame Änderung herbeizuführen. Gleichzeitig hatten wir noch nie eine so hohe Erwerbstätigenquote.

Strukturelle Herausforderungen der Arbeitswelt

Und ja: wir haben ein zumindest branchen- und tätigkeitsbezogenes Fachkräfteproblem. Und ein immer drängender werdendes demografisches Problem. Auch hier holt mich ein déja-vu Erlebnis ein: Ich erinnere mich ziemlich genau daran, in den frühen 2000er Jahren viele Projekte zum Thema »demografiefeste Personalplanung« betrieben zu haben; in der Zwischenzeit war dieses Thema gefühlt von der Agenda gerutscht, um jetzt als eine der größten Herausforderungen wieder massiv in den Vordergrund zu rücken. Die Babyboomer sind in der letzten Runde ihres aktiven Erwerbslebens, und jetzt wird auch wirklich fühlbar, was das einzelbetrieblich wirklich bedeuten kann. Was aber genauso zur aktuellen Situationsbeschreibung gehört: Wachsende Arbeitslosigkeit, umfassende Abfindungswellen gerade in großen Unternehmen in strukturell kriselnden Branchen (Automobil) oder solchen, die durch heftige technologische Disruptionen gekennzeichnet sind. Und das alles gleichzeitig….

Auf der einzelbetrieblichen Ebene kann man die Renaissance altbekannter Performance-Management-Konzepte beobachten, die sich aufs Einteilen in Looser und Winner konzentrieren und versuchen, in wenigen Kennzahlen Leistung messbar zu machen. Alte Rezepte gegen verzerrt wahrgenommene, in jedem Fall aber komplexe Problemlagen.

Hinter dem artikulierten Unwohlsein in Bezug auf Performance stecken auch selbstgemachte Umsetzungsfehler

Flexible, vereinbarkeitsorientierte Arbeitsformen reagieren auf veränderte Präferenzen der Mitarbeitenden (aller Generationen übrigens) und sind überdies auch die Konsequenz durchsetzungsfähiger Arbeitskräftegruppen am Arbeitsmarkt. Das ist Fakt und nicht umkehrbar. Allen markigen Ansagen prominenter Firmenlenker zum Trotz. Doch auch wir Arbeitswissenschaftler konstatieren: Langfristige Wirkungen schlecht gemachter Flexibilisierungen werden sichtbarer. Nein, es gibt keine messerharten Performanzeinbußen, aber schleichende Entwicklungen, wie die durch uns bereits beschriebene “soziale Erosion” als Überbegriff der Abnahme von Bindung, Austausch, Serendipität im Sinne informeller, ungeplanter und inspirierender Begegnungen. Und weitere Studienergebnisse unseres Hauses gemeinsam mit Projektpartnern die zeigen, dass es offenbar einen »Kipp-Punkt« für produktive hybride Arbeit gibt, was die Ratio von Präsenz im Büro und der Arbeit im Homeoffice angeht. Das Problem liegt meines Erachtens dennoch vor allem darin, dass man glaubt, bei geänderten Rahmenbedingungen wie Zeit- und Ortsflexibilität ohne Änderungen eingefleischter Kommunikations- und Wahrnehmungsroutinen sowie Führungsverhalten einfach »wie früher« weiterfahren zu können. Aber, wie man an der derzeitigen »Back to office«-Bewegung oder dem 4-Tage-Woche-Bashing sieht: Hier hat sich dann eine Fragestellung in der Debatte um den Umsetzungs- Prozess verselbständigt, ohne der eigentlichen Fragestellung »dahinter« wirklich auf den Grund zu gehen. Und die lautet:

Was macht den Leuten denn »wirklich wirklich« Lust auf Leistung?

Und welche Rahmenbedingungen sind wesentlich? Ich denke, wir sind mit einer noch immer unzureichenden Durchdringung dessen konfrontiert, was »gute Arbeit« im Sinne motivierender Arbeit heute und in zukünftigen Generationen, die sich gerade aufmachen in die Arbeitswelt, denn wirklich ausmacht. Was treibt die Mitarbeitenden an? Sind New Work-Ideen überholt? Ist die gefühlt wahrnehmbare Haltung »New Work ist out« angebracht?

Mein derzeitiger Erkenntnisstand: eine Mischung individueller, struktureller, kultureller und organisationspraktischer Voraussetzungen ist dafür verantwortlich

Meine Kollegen und ich debattieren viel ums Thema. Was sind die von uns (bisher) identifizierten »Zutaten« die zu Lust auf Leistung führen?

  • Gelingende Kooperation, enge Interaktion, zeitnahes und unmittelbares, multimodales Feedback. Hier sind Teamkollegen wie Führungskräfte gefragt. Menschen sind zutiefst soziale Wesen. Sie wollen gesehen, gewürdigt werden, sie brauchen Resonanz. Aber auch die Hilfe von Kollegen, im besten Fall deren wohlwollende Unterstützung. Diese aber braucht Zeit, und professionelles Feedback, das dieses als das realisiert, was es im besten Fall auch ist: ein Geschenk, das der persönlichen Weiterentwicklung dient. Dazu gehören: zeitliche Kapazitäten, Gesprächs- und Interaktionskompetenz des Einzelnen, eingeübte Routinen – kurz, die entsprechende Kultur.
  • Erfolge in der Gruppe, die gemeinsam erlebt, gefeiert, gewürdigt werden. Dadurch werden sie größer, nachhaltiger, und sie verstärken den Wunsch nach einem Mehr weiterer gemeinsamer Interaktion. Auch dies hat organisationsstrukturelle Voraussetzungen: Zeitbedarf, aber auch eine Organisation, die das Gemeinsame dieses Erfolgs möglich macht und ins Rampenlicht stellt. Und nicht nur den »einen« Star.
  • Inspiration und Motivation durch Begegnung und neue Umgebungen. Hier setzen innovative Bürolayoutmodelle und clevere Raumkonzepte an. Nicht umsonst setzen wir am Fraunhofer IAO seit vielen Jahren hier einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt. Das zeigt sich aber auch an der Kraft des Effekts, den wir mit dem Begriff der »Exposure« zu beschreiben versuchen: die Vielfältigkeit von Anregungen, neuen Ideen und neuen Erfahrungen, die in neuen Begegnungen mit anderen Menschen an anderen Orten zu finden ist, wenn man dort richtig »eintauchen« kann.
  • Wirksamkeitserfahrung: Der Mitarbeitende will spüren, dass seine Arbeit etwas bewirkt, einen Unterschied macht. Das allerdings liegt auch stark an der Zuordnung von Menschen zu Aufgaben. Passt meine Arbeit auch wirklich zu meinen Stärken, kann ich mich spürbar und unterscheidbar einbringen? Im besten Fall zeigt sich diese Wirksamkeitserfahrung durch spürbare, geradezu körperlich erfahrbare Arbeitsergebnisse (so eine der Thesen von Ingo Hamm). Hier findet sich auch eine Verbindung zu den bereits längerfristig geführten Purposedebatten. Aber Vorsicht: diese haben schnell einen übergroßen Anspruch. Zurecht wird auch darauf hingewiesen, dass »einfach den Job gut machen« auch eine sehr legitime und gute Arbeitshaltung sein kann. Denn nicht jeder Job, jede Tätigkeit besteht möglicherweise den Test der großen »Purpose«-Begründung im Hintergrund. Dennoch darf und kann man stolz auf das individuell erreichte sein.

Für uns steht fest: Wir brauchen eine intensive Debatte, genauso wie ein Überdenken der herangezogenen Maßstäbe, an denen Leistung gemessen wird. Was ist Ihre Meinung? Was macht die Menschen »wirklich wirklich« leistungsbereit? Und welche Rahmenbedingungen fördern dies? Ich wünsche mir immer, aber hier ganz besonders, Ihre Kommentare und Anregungen!

Und falls Sie Lust bekommen haben, dies auch direkt mit uns zu diskutieren, laden wir Sie auch direkt ein zu unserer Veranstaltung »New Work im Umbruch« am 11. November hier in Stuttgart!

P.S: Dieser Beitrag ist auch inspiriert durch meine Arbeit in dem DGFP HRThinkTank, der sich unter anderem mit positiver Leistungskultur auseinandersetzt. Ich freue mich schon sehr auf den weiteren Austausch mit den dortigen Mitstreitern aus Wirtschaftsunternehmen und der DGFP.

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Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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Kategorien: Arbeitswelten (New Work, Connected Work)
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