Nachdem wir uns nach Corona an die breite Umsetzung ortsmobiler Arbeitsformen mit großer Selbstverständlichkeit gewöhnt haben, rücken jetzt weitere arbeitszeitliche Flexibilisierungen ins Zentrum der öffentlichen Debatte um moderne Arbeitsformen. Insbesondere zum Thema 4-Tage-Woche, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in den Wirtschaftsseiten der Tagespresse über dieses Konzept berichtet wird. Dabei ist interessant, wie unterschiedlich das Verständnis dazu ist und wie weitreichend die diskutierten Implikationen sein können.

Ein Begriff – verschiedene Konzepte

Zuerst einmal muss klargestellt werden: mit dem gleichen Begriff werden hier grundsätzlich unterschiedliche Konzepte benannt, die damit auch unterschiedliche Reaktionen und sozialpartnerschaftliche Positionierungen induzieren. Die derzeit gewerkschaftlich, insbesondere von der IGM erhobene Forderung nach der 4-Tage-Woche, strebt faktisch eine Arbeitszeitverkürzung von derzeit 35 auf 32 Stunden an – bei vollem Lohnausgleich. Damit steht diese Forderung in der logischen Verlängerung jahrzehntelang erfolgreich durchgesetzter Arbeitszeitreduzierung, ohne dass anteilig die Entlohnung gekürzt würde. Eine andere, und meinem Eindruck nach ursprünglich zuerst diskutierte Version der 4-Tage-Woche, verteilt die tariflich oder einzelarbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsmenge in Stunden auf 4 statt der derzeit üblichen 5-Tage-Woche von Montag bis Freitag (bei Vollzeitbeschäftigten). Das bedeutet gleichzeitig, dass die tägliche Arbeitszeit in diesen 4 Tagen entsprechend länger wird und häufig an der Grenze der derzeit grundsätzlich erlaubten Höchstzahl von 10 Stunden pro Tag liegt. Die Motive dafür sind teilweise deckungsgleich, differieren aber auch.

In allen Fällen wird argumentiert, dass die damit vergrößerte Anzahl arbeitsfreier Tage pro Woche am Stück (häufig um das Wochenende »herum«) zu einem besseren Freizeitwert und damit zu einer besseren Erholung führten. Zudem erlaube dieser Vorteil naturgemäß eine bessere, entspanntere Verteilung privater Aktivitäten (z.B. Amtsgänge, Einkäufe) bzw. das Anpacken größerer Vorhaben, die an nur zwei freien Tagen hintereinander als wenig lohnend erscheinen. Hier zeigt sich auch die logische Nähe zur räumlichen Flexibilisierung von Arbeit durch mobile Arbeit oder Homeoffice: auch diese vergrößert ja die privaten Spielräume und verbessert damit prinzipiell die Work-Life-Balance. Hier nicht näher diskutiert werden soll die 4-Tage-Woche als eine Teilzeitform, die mit weniger Vergütung, aber eben auch mit der reduzierten Arbeitsmenge kombiniert ist.

Je nach Modell (Arbeitsumverteilung oder Arbeitszeitreduzierung bei vollem Lohnausgleich) kommen entsprechend sehr differenzierte Positionierungen der Sozialpartner ins Spiel. Insbesondere die Arbeitszeitreduzierung bei vollem Lohnausgleich trifft erwartungsgemäß auf viele Widerstände vor dem Hintergrund damit erhöhter Lohnkosten pro Arbeitseinheit und gleichzeitig zumindest rechnerisch abnehmender Arbeitskapazität. Umgekehrt wird aber auch argumentiert, dass die verbesserte Erholung eine verbesserte Produktivität biete. Und dass genau die Attraktivität dieses Modells bisher nicht oder in Teilzeit arbeitende Personen zu einer Arbeitsaufnahme motivieren könnten.

Ein wesentliches Argument für die 4-Tage-Woche ist auch die Tatsache, dass diese Form der Flexibilisierung eben auch für Tätigkeiten umsetzbar ist, die bisher von Flexibilitätsoptionen räumlich verteilter Arbeit ausgeschlossen waren. Die 4-Tage Woche bietet auch der Pflegekraft, dem Bäcker oder dem Handwerksgesellen im SHK-Betrieb zusätzliche Flexibilisierungs- und damit Autonomieoptionen, die bisher nicht verfügbar waren und gerade nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie und der dortigen Diskussion um den neuen digital divide höchst willkommen sein dürften.

Die Studienlage ist noch sehr dürftig

Die größte Herausforderung in der Debatte stellt die bisher recht dürftige Studienlage dar. Berichtet wird überwiegend positiv in dem Sinne, als insbesondere die gesundheitlichen und produktivitätsbezogenen Effekte der Verlängerung der Arbeitspause auf die drei Tage in den Vordergrund gestellt werden. Berichterstattungen aus Deutschland, die sich eher auf Einzelfälle konzentrieren, thematisieren zusätzlich sehr stark die Effekte auf Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeiterbindung. Vor allem für Unternehmen und Branchen, die besonders stark um Fachkräfte buhlen, ist das ein wichtiges Signal. So werden gerne Berichte aus Handwerksunternehmen, im Bereich der Pflege aufgegriffen, die sich dadurch einen klaren Vorteil auf dem Arbeitnehmermarkt erarbeiten.

Die bisher vorliegenden Studien aus England bzw. Island operieren auf Basis recht geringer Fallzahlen und sind meines Erachtens auch schlicht zu kurzfristig angelegt gewesen, um belastbare Ergebnisse zu produzieren. Und diese sind unbedingt notwendig, um die derzeit so intensiv geführte und auch sozialpartnerschaftlich kontroverse Debatte mit validen Aussagen untermauern zu können.

Arbeitswissenschaftliche Einordnung und Forschungsfragen

Wir schätzen die 4-Tage-Woche (in beiden genannten Ausprägungen) als arbeitswissenschaftlich und arbeitsmarkttechnisch hoch interessante, aber noch sehr erforschungsbedürftige Arbeitsform ein. Denn bisher sind viele Fragen noch unzureichend geklärt und seriös beantwortbar. Dazu gehören:

  • Gesund?
    Die Wirkungen von täglich verlängerter Arbeit im »Umverteilungsmodell« auf die Gesundheit. Die bisher üblichen 8-Stunden-Arbeitstage und ihre Pausenvorschriften basieren auf jahrzehntelangen arbeitsmedizinischen Forschungen. Ist daher eine Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf die maximal erlaubten 10 Stunden mit gutem Gewissen vertretbar, auch wenn sie individuell und souverän entschieden wurde?
  • Produktiv?
    Wie erklären sich die in bisherigen Studien benannten Produktivitätseffekte genau? Und sind diese dauerhaft?
  • Sozial?
    Welche Wirkungen hat eine Arbeitszeitumverteilung auch auf soziale Beziehungen, da man zumindest erwarten könnte, dass die Arbeitnehmenden noch fokussierter, aber dafür auch »kommunikationsärmer« arbeiten werden. In Zeiten, in denen wir bereits aufgrund der zunehmenden Hybridität der Arbeitsbeziehungen Anzeichen schleichender sozialer Erosionen wahrnehmen, könnte dies solche unerwünschten Effekte noch vergrößern. Was macht es mit einer Organisation, wenn Menschen sehr stark auf ihre eigene, individuelle Arbeitserfüllung fixiert sind? Und wollen wir das überhaupt in einer Wettbewerbsumwelt, in der kollaborative Kreativität, gemeinsame Ideenfindung und Teamarbeit als unbedingt erforderlich erscheinen, um komplexe Produktive innovationsorientiert weiterentwickeln zu können?
  • Organisierbar?
    Wie kann man mit diesen Modellen befriedigende Kundenschnittstellen, Servicezeiten und Ansprechbarkeiten gestalten? Werden neue Formen von Schichtmodellen notwendig, die aber auch eine bestimmte Mindestanzahl an Beschäftigten benötigen? Erleben wir einen Aufschwung gruppenorientierter Arbeitszeitplanungen und hierbei erlebter Souveränität? Brauchen wir neben anderen Planungsinstrumenten dann auch andere, finanzielle Differenzierungen und Anreize? Für welche Branchen ist das machbar, und braucht es gerade für KMU nochmals spezifischer Konzepte? Wie könnten diese aussehen?
  • Nachhaltig?
    Realisieren sich die Wirkungen auf Arbeitgeberattraktivität und Fachkräftemangel in den bisher beschriebenen positiven Richtungen dauerhaft? Welche »Nettoeffekte« auf die Verfügbarkeit von Fachkräften (in welchen Segmenten) können wir beobachten? Und ist das tatsächlich ein Modell, um mehr Menschen von der Teilzeit in die Vollzeit zu bekommen?

Wir brauchen dringend arbeitswissenschaftliche Forschung, die für die genannten Fragen sowohl empirische Ergebnisse als auch gestalterische Ansätze bietet.

Was wäre Ihnen wichtig und welche Fragen wären für Sie relevant? Über Ihre Reaktion freue ich mich sehr.

Leselinks:

Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

Autorenprofil - Website - Twitter - Xing



Kategorien: New Work / Connected Work
Tags: , ,