Warum Deutschland Industrie 4.0 braucht
Dem aktuellen (und noch anhaltenden) Boom der deutschen Wirtschaft inmitten eines kriselnden Europa haftet etwas Paradoxes an: Ausgerechnet der Hochlohnstandort Deutschland behauptet sich und erwirtschaftet immer neue Exportrekorde. Experten sind sich über die Ursachen dieses kleinen Wachstumswunders weitgehend einig: Hohe Variantenvielfalt bei gleichzeitig wettbewerbsfähigen Lieferzeiten, große Kundennähe und eine überdurchschnittliche Servicequalität haben bisher dafür gesorgt, dass das BIP von 2009 bis 2011 zwischen Flensburg und Garmisch um fast 25 % stärker anstieg als im restlichen Kerneuropa. Qualität, Flexibilität und Kundennähe sind die drei Säulen von »Made in Germany«. Vor allem die Flexibilität der Produktion wird als Erfolgsfaktor in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Das neue Produktionsparadigma »Industrie 4.0« ist für den Industriestandort Deutschland deshalb nicht nur eine nette Spielerei, sondern kann langfristig einen existentiellen Beitrag leisten, weil es die standortspezifischen Stärken weiter entwickelt.

Industrie 4.0 ist Mensch + Technik
Industrie 4.0 wird teilweise als überwiegend technisches Thema gesehen. Wir denken aber, Industrie 4.0 ist kein rein technisches Phänomen, sondern die Verbindung zwischen Menschen und intelligenten Objekten. Diese kann nicht wie ein Roboter einfach in der Fabrik implementiert werden, sondern muss von einem tiefgreifenden Change-Prozess in der Arbeitsorganisation begleitet werden.

Wir arbeiten momentan an Methoden und Anwendungsbeispielen aus dem Bereich Kapazitätsflexibilität, um zu zeigen, wie eine solche Abstimmung von intelligenten Objekten und selbstbestimmten Mitarbeitern zukünftig aussehen kann.

Industrie 4.0 bringt viele(n) Vorteile
Am Fraunhofer IAO beschäftigen wir uns mit Fragestellungen rund um den arbeitenden Menschen. Im Kontext Industrie 4.0 heißt das zum Beispiel: Lösungen zu entwickeln, welche die Flexibilität aller Mitarbeiter durch den Einsatz von Mobilgeräten, Kommunikationsmöglichkeiten und stärkerer Vernetzung mit Objekt- und Anlagendaten steigern. Wir sind der Meinung, diese neue Flexibilität bringt jedem etwas:

  • dem Unternehmen, indem anstehende Produktionsaufträge ohne Wartezeit und Bündelung in der Auftragslosgröße gefertigt werden können,
  • dem Kunden, indem dadurch eine drastische Reduktion der Lieferzeiten möglich wird,
  • den Mitarbeitern, indem starre Arbeitszeitmodelle flexibilisiert werden und an Präferenzen oder Lebenssituationen angepasst werden können,
  • der Gesellschaft, indem der Mitarbeitereinsatz produktiver gemanagt wird, insbesondere in Verknüpfung mit einer sinnvollen Nutzung anfallender »Leerlaufzeiten«.

Allerdings hat diese Flexibilität ihren Preis: Mitarbeiter müssen für Industrie 4.0-Prozesse qualifiziert, übergreifende Standards geschaffen sowie eine leistungsfähige Informations- und Kommunikationsstruktur mit ausgefeilter Sensorik bereitgestellt werden. Insbesondere muss eine Umstellung der Produktion auf das 4.0-Prinzip aber auch organisiert werden. Wer vernetzt produzieren will, muss auch als Netzwerk organisiert sein. Eine dezentrale Entscheidungsfindung funktioniert nur dann, wenn klare Regeln und handhabbare Strukturen und Prozesse zur Kommunikation geschaffen werden.

Wie so etwas aussehen kann? Wir halten Sie auf dem Laufenden.

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Moritz Hämmerle

Moritz Hämmerle leitet seit 2018 den Forschungsbereich Cognitive Engineering and Production am Fraunhofer IAO.

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Kategorien: Advanced Systems Engineering (ASE), New Work / Connected Work
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