Wenn ein traditionsreicher Maschinenbauer die Kurve kriegt und sich neu erfindet, dann ist das kein Einzelfall, sondern ein Vorbild. Die Transformation der industriellen Wertschöpfung ist kein Zukunftsthema. Sie passiert, hier und heute. Und sie beginnt mit der mutigen Frage: Was, wenn unser heutiges Wertschöpfungsmuster morgen niemand mehr braucht?
Zeitenwende für industrielle Wertschöpfung
Globale Krisen, technologische Umbrüche, Klimawandel und sich wandelnde Kundenbedürfnisse, all das wirkt mit Wucht auf die industrielle Produktion ein. Diese Entwicklungen markieren eine Zeitenwende: Wo früher Effizienz und Skalierung zählten, geht es heute um Resilienz, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Die vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erarbeitete Studie »Industrial Transformation« macht deutlich: Die industrielle Wertschöpfung steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Und viele Unternehmen sind bereits mittendrin.
Nehmen wir die Nagel Maschinen- und Werkzeugfabrik aus Nürtingen. Jahrzehntelang lief alles rund. Ihre Honmaschinen, also Maschinen, die mit höchster Präzision für die Leistung von Verbrennungsmotoren mitbestimmen, gelten als Goldstandard in der Branche. Technologieführer, Hidden Champion, ordentliches Exportgeschäft. Doch dann kamen E-Mobilität, Klimapolitik und struktureller Wandel. Und mit ihnen die Erkenntnis: Wenn es bald keine Verbrenner mehr gibt, braucht auch niemand mehr unsere Kernprodukte.
Statt weiter »Business as usual« zu machen, wagte Nagel den Sprung: von der fossilen Vergangenheit in die antriebs-technologieunabhängige Zukunft. Das Unternehmen stellte sich die vielleicht härteste, aber wichtigste Frage der industriellen Gegenwart: Wie können wir unser Wertschöpfungsmuster verändern und mit unserem Know-how in einem völlig neuen Markt wieder Wert schaffen?
Industrie-Transformation heißt: neu denken, nicht nur digitalisieren
Was Nagel durchlaufen hat und was viele Unternehmen noch vor sich haben nennt sich industrielle Transformation. Und sie ist kein Prozess mit Start und Ziel, sondern ein radikales Umlernen.
Die Fraunhofer IAO-Studie zeigt, was das konkret bedeutet. Es geht nicht um ein bisschen Effizienz oder den Austausch analoger Prozesse durch digitale. Es geht um das Fundament: Geschäftsmodell, Kundennutzen, Technologien, Produkte und Kompetenzen, alles kommt auf den Prüfstand.
Und was Nagel daraus gemacht hat, kann sich sehen lassen: Neue Maschinen für die Beschichtung von Bremsschreiben, neue Kunden, neue Partnerschaften im Ökosystem. Statt nur zu »überleben«, hat das Unternehmen begonnen, sein Wertschöpfungsmuster neu zu gestalten.
Neue Wertschöpfungsmuster: Mehr als Effizienz
Der Begriff der »Wertschöpfungsmuster« steht im Zentrum der Studie. Diese Muster beschreiben neue Formen der Organisation, des Technologieeinsatzes und der Zusammenarbeit, jeweils zugeschnitten auf spezifische Herausforderungen und Zielsetzungen. Fünf Gestaltungsansätze treten dabei besonders hervor:
- Resiliente Wertschöpfung: Der Schutz vor Schocks gewinnt Priorität. Unternehmen setzen auf Diversifikation, flexible Lieferketten und partizipative Entscheidungsprozesse.
- Kompetenzorientierte Wertschöpfung: Mit besonderem Wert auf den Kompetenzen der Mitarbeitenden, die einen relevanten Einfluss auf die neue Wertschöpfung haben, entwickeln Unternehmen kompetenzorientiert – sowohl Produkte und Leistungen als auch Mitarbeitende.
- Nachhaltige und kreislauffähige Wertschöpfung: Ressourcen werden geschont, Produkte auf Wiederverwendung und Reparierbarkeit optimiert. Das Ziel: ein echter Beitrag zur Dekarbonisierung.
- Plattformbasierte und datengetriebene Wertschöpfung: Daten, Plattformen und vernetzte Produkte ermöglichen neue Geschäftsmodelle, verbessern das Kundenverständnis und automatisieren Abläufe.
- Vernetzte Wertschöpfung: Kooperationen mit Partnern auf Augenhöhe werden zur Grundlage von Innovation und Stabilität, gerade in unsicheren Zeiten.
Transformation braucht Governance – und gute Geschichten
Was alle Unternehmen eint: Sie brauchen Orientierung. Die Studie bietet mit dem Konzept der Industrial Transformation Governance einen Rahmen. Sie zeigt, wie Unternehmen ihr Operating Model, also die operative Umsetzung ihrer Strategie, neu ausrichten können. Nicht nur im Excel-Sheet, sondern im Maschinenpark, in der Führungskultur, in der Werkhalle und im Unternehmen.
Doch noch etwas ist wichtig: gute Geschichten. Nagel zeigt, dass Transformation greifbar ist. Dass es weh tun kann, sich aber lohnt. Dass der Mittelstand nicht Opfer, sondern Akteur des Wandels sein kann.
Was wir von Nagel lernen können
- Frühes Umdenken schützt vor späterem Absturz. Wer erst reagiert, wenn das Kerngeschäft bröckelt, hat meist keine Zeit mehr für echte Erneuerung.
- Technologie allein reicht nicht. Transformation ist auch Kultur- und Kompetenzarbeit.
- Resilienz ist die neue Effizienz. Flexibilität wird zur wichtigsten Währung in einer Welt multipler Krisen.
Fazit: Der Kuchen wird neu gebacken – backen Sie mit!
Die industrielle Transformation ist kein Trend, sondern eine Notwendigkeit. Die Studie zeigt: Unternehmen beweisen heute schon, dass der Wandel erfolgreich möglich ist. Aber dafür braucht es mehr als Tools: Es braucht Haltung. Eine neue Vorstellung davon, was Wert ist. Und den Mut, ihn ganz neu zu schaffen.
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Leselinks:
- Studie: Industrial Transformation
- Pressemitteilung: Wie die industrielle Transformation gelingt
Kategorien: Advanced Systems Engineering (ASE), Nachhaltigkeit
Tags: Digitale Transformation, Industrie-Transformation, Resilienz, Wertschöpfungsmuster
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