Feinfühlige Technik – Blogreihe des Teams »Applied Neurocognitive Systems«
Im Zeitalter von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz nimmt die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine eine Schlüsselrolle ein. Neuroadaptive Technologien versprechen große Potenziale sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis. Im NeuroLab des Fraunhofer IAO arbeiten die Wissenschaftler*innen an der Schnittstelle zwischen kognitiver Neurowissenschaft, positiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Unser Ziel ist es, die zunehmende Intelligenz und den steigenden Grad an Autonomie technischer Systeme konsequent auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen auszurichten.

Diversität und Vielfalt bedeutet, dass alle Menschen ihre beruflichen Potenziale entfalten können. Je bunter die Mischung – sei es bezüglich Geschlecht, Herkunft, körperlicher Beeinträchtigung oder sexueller Orientierung – desto mehr Perspektiven und individuelle Stärken können zusammenwirken. Ein wichtiger Faktor fehlt jedoch bei dieser Rechnung: unser Gehirn. Denn jeder einzelne Mensch tickt anders. Hier liegt ein immenses Potenzial für Unternehmen verborgen. Die Kombination aus Neurotechnologie und Künstlicher Intelligenz (KI) könnte dabei der Schlüssel sein, der es bestimmten Personengruppen, wie z.B. autistischen Menschen, ermöglicht, ihre individuellen Stärken in die moderne Arbeitswelt einzubringen.

Computer oder gar Maschinen sind immer mehr dazu in der Lage, selbst zu lernen, zu kommunizieren und Entscheidungen zu fällen. Wissenschaftliche Methoden und Technologien, die wir unter dem Begriff »Neurofeedback« bzw. »Neuroadaptive Technologien« zusammenfassen, bieten erstmals die Möglichkeit, mentale Zustände, wie z.B. die eigenen Emotionen und kognitiven Befindlichkeiten, zu trainieren. Diese mentalen Zustände können im sozialen Miteinander zu Problemen führen und trotz hoher kognitiver Fähigkeiten sogar bis zum Scheitern beruflicher Lebensentwürfe führen. Und das, obwohl autistische Menschen sich durch ihr oft außergewöhnlich gutes rationales Denken und ihre logisch planende Arbeitsweise auszeichnen.

Neuroadaptive Technologie als Brückenbauer für berufliche Inklusion

Stellen Sie sich einen Projektmanager vor, der alle Meilensteine und Arbeitspakete jederzeit im Blick hat oder eine Qualitätsmanagerin, die einen 7. Sinn für Fehler hat – aber im Bewerbungsgespräch hat es auf der emotionalen Ebene nicht »gefunkt« und ausgerechnet die Person, die von ihren Fähigkeiten her am besten für die Aufgabe geeignet wäre, fällt durchs Raster. Wie wäre es, mit Hilfe einer neuroadaptiven Technologie, eine Art »Vermittler« an der Seite zu haben, der in der zwischenmenschlichen Interaktion unterstützt? Es braucht eine Art Schnittstelle, die versteht, wie wir denken, was wir wissen, wie wir entscheiden und wie wir uns verhalten.

Im Team »Applied Neurocognitive Systems« forschen wir daran, wie sich solche Schnittstellen für neuroadaptiv-gestützte Trainingsmaßnahmen einsetzen lassen. Unsere Vision ist es, zukünftig ein neuroadaptives System für selbstgesteuertes Lernen zu entwickeln. Im Laufe der Interaktion mit dem neuroadaptivem Lernsystem lassen sich so die spezifischen Schwächen genauso gut erkennen wie auch die individuellen Stärken des Lernenden. So kann das Lernen auf den jeweiligen Persönlichkeitstyp zugeschnitten werden. Um dieser Vision ein Stück näher zu kommen, arbeiten wir gemeinsam mit unseren Konsortialpartnern aktuell in einem BMBF-geförderten Projekt an der Entwicklung eines solchen innovativen Trainingssystems, das den Namen »UFO« trägt.

Im Projekt »UFO« haben wir mit Hilfe neurowissenschaftlicher Methoden und Technologien eine virtuelle Arbeitsumgebung geschaffen, in der Personen individuell nach ihren Kompetenzen gefördert werden können. Dabei handelt es sich um mentale Prozesse und kognitive Fähigkeiten, die dem Verhalten, der Aufmerksamkeit und den Gefühlen zugrunde liegen. Diese werden in der Fachsprache »exekutive Funktionen« genannt und umfassen hauptsächlich:

1) Arbeitsgedächtnis: Informationen für einen kurzen Zeitraum aufbewahren und diese in irgendeiner Weise verwenden
2) Inhibitorische Kontrolle: Ablenkungen ignorieren und Selbstbeherrschung aufrecht erhalten
3) Kognitive Flexibilität: die Fähigkeit, das Verhalten und Gedanken an neue, unerwartete Ereignisse anzupassen.

Der Einsatz dieser Fähigkeiten ist stets mit (mentalem) Aufwand verbunden und fällt nicht allen Menschen gleich leicht. Hier wollen wir mit UFO ansetzen. UFO möchte die Stärkung exekutiver Funktionen aller Lernenden wirksam unterstützen. Unser Ability-based Design Ansatz (fähigkeitsbasiertes Design), wertet nicht, sondern betrachtet das gesamte Spektrum menschlicher Fähigkeiten und entwickelt auf dieser Basis Mensch-Technik-Systeme, die jeder Person die Entfaltung ihrer individuellen Stärken ermöglichen.

Wissenschaftliche Methodik: Modularer, virtueller Erfahrungsraum auf Basis neuroadaptiver Technologie

Herzstück von UFO ist eine offene, multimodale und modulare Infrastruktur aus mobilen und neurophysiologischen Wearables und Software (siehe Abbildung).

Abbildung: Durch am Kopf und Körper getragene neurophysiologische und taktile Wearables unterstützt das UFO-System in virtuellen Lernszenarien das Training und die Interpretation kognitiver Prozesse und emotionaler Befindlichkeiten. (Grafik © Universität Stuttgart – LLiS)

Abbildung: Durch am Kopf und Körper getragene neurophysiologische und taktile Wearables unterstützt das UFO-System in virtuellen Lernszenarien das Training und die Interpretation kognitiver Prozesse und emotionaler Befindlichkeiten. (Grafik © Universität Stuttgart – LLiS)

Über maschinelles Lernen (ML) und neurophysiologische Wearables messen wir die jeweilige Exekutivfunktion der Testperson, interpretieren diese in Echtzeit und spiegeln die interpretierten Muster über taktiles Feedback an die Person zurück. Folgende Komponenten kommen dabei zum Einsatz:

1) Mobile Messgeräte: Mobiles neurophysiologisches Wearable misst die Hirnaktivität über die Nahinfrarotspektroskopie – kurz fNIRS. So lassen sich Aktivitäten des Gehirns mit einer guten räumlichen Auflösung in spezifischen Arealen messen.
2) Dateninterpretation mit ML: Die Interpretation der gemessenen Daten in kognitive und emotionale Zustände der Nutzenden erfolgt durch maschinelles Lernen.
3) Neurofeedback: Über die VR-Umgebung erhalten die Nutzenden so ein individuell auf sie angepasstes Neurofeedback. Das Feedback dieser kognitiven und emotionalen Zustände während des Trainings erfolgt über eine direkt spürbare Sinneswahrnehmung. Dies kann z.B. ein Armband sein, das vibriert und so direkt körperlich spürbar ist.

Durch die Kombination aus taktilem Feedback und VR-Trainingsumgebung hat der Proband oder die Probandin so die Möglichkeit, die eigene Hirnaktivität im wahrsten Sinne des Wortes »zu spüren«. Somit können die Exekutivfunktionen, die für soziale Interaktionen relevant sind, intuitiv und unmittelbar trainiert werden, ohne dass sie einen expliziten Aufwand des Trainierenden erfordern.

Das taktile Feedback soll also dazu dienen, autistischen Menschen ihre eigenen Emotionen erlebbar zu machen. Neben dem Einsatz der UFO-Plattform für autistische Menschen sehen wir vielfältige weitere Anwendungsmöglichkeiten der Entwicklung in der zukünftigen Arbeitswelt. Vor allem im Bereich Lernen und Weiterbildung sind Szenarien denkbar, die es ermöglichen, jedes einzelnen Menschen individuell nach seinen Stärken und Schwächen bestmöglich zu unterstützen.

Leselinks:

Mathias Vukelic

Dr. Mathias Vukelić leitet das Team »Applied Neurocognitive Systems«. In seiner Forschung widmet er sich der Frage, wie digitale Technologien und intelligente Mensch-Maschine-Schnittstellen gestaltet sein müssen, damit Nutzer*innen besser mit Informationen umgehen können – also besser lernen oder bessere Entscheidungen fällen können. Konkrete Herausforderungen und Fragestellungen für ihn sind dabei, wie hoch die kognitive Belastung ist oder gar welche Rolle Emotionen im Umgang mit Technik spielen.

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Kategorien: Digitalisierung, Mensch-Technik-Interaktion
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