Smarte Apps und intelligente technische Systeme sollen das Leben leichter und besser machen. Doch Hand aufs Herz: Macht Sie die Interaktion mit Maschinen, Sprachautomaten oder anderen technischen Systemen wirklich glücklich? Fühlen Sie sich mit Ihren Problemen, die Technik für Sie lösen sollte, verstanden?

Wahrscheinlich lautet die Antwort in vielen Fällen: Nein. Denn technische Systeme werden zwar immer flexibler und selbstständiger, aber für das wirkliche Verständnis ihres menschlichen Gegenübers fehlt den schlauen Maschinen die »feinfühlige Sensorik und Intelligenz«. Intelligente Technik kann heute schon im Kontakt mit Menschen über Sensoren erkennen, welche Präferenzen oder Absichten Nutzerinnen haben und wie diese berücksichtigt werden müssen. Doch nur wenn die Technik sensibel und prompt auf ihre Nutzer reagieren kann, wenn sie »den ganzen Menschen« mit seiner aktuellen emotionalen Gemütslage, seinen Fähigkeiten, Präferenzen und Bedürfnissen berücksichtigt, wird sie wirklich als kooperativ und menschengerecht wahrgenommen und als Hilfestellung oder Partner akzeptiert.

Wie also kann ein System oder eine Maschine merken, in welcher emotionalen Gemütslage sich das menschliche Gegenüber augenblicklich befindet? Ob der Kopf grade schon so schwirrt, dass kein Input mehr möglich ist oder eine Ablenkung die Aufmerksamkeit verringert? Für die Erkennung dieser psychologischen Prozesse ist es sinnvoll, direkt dort zu messen, wo der Zustand entsteht: nämlich im Gehirn.

Die Vision neuroadaptiver Technologien: anpassungsfähige und intelligente Mensch-Technik-Systeme

In der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung wurden sogenannte Brain-Computer Interfaces (BCIs) entwickelt, die anhand von Aktivierungsmustern im Gehirn Rückschlüsse auf kognitive und emotionale Zustände der Nutzerin oder des Nutzers zulassen. Bislang werden BCIs überwiegend für medizinische Anwendungen genutzt – etwa wenn es darum geht, mit schwerstgelähmten Patienten zu kommunizieren. Ihr Einsatz erfordert allerdings noch streng kontrollierte Laborbedingungen. In realen Situationen der Mensch-Technik-Interaktion können sie nicht ohne Weiteres genutzt werden.

In unserem NeuroLab erforschen wir, wie sich BCIs auch für Anwendungen außerhalb des medizinischen Bereichs gewinnbringend nutzen lassen. Hier ist es wichtig zwischen aktiven und passiven BCIs zu unterscheiden. Während aktive BCIs zur willentlichen Steuerung in der Medizin eingesetzt werden, z.B. zur Kontrolle einer Armprothese für Patienten, betrachtet man bei passiven BCIs die spontane Hirnaktivität des Menschen, die sozusagen »nebenbei« erfasst wird. Die Vision in Zusammenhang mit passiven BCIs sind sogenannte »neuroadaptive Technologien« (siehe nachfolgende Abbildung).

Neuroadaptive Technologien erfassen Informationen über Nutzerzustände, um sich dynamisch auf individuelle und situative Anforderungen einzustellen.
Neuroadaptive Technologien erfassen Informationen über Nutzerzustände, um sich dynamisch auf individuelle und situative Anforderungen einzustellen.

Dabei handelt es sich um anpassungsfähige technische Systeme, die mentale Nutzerzustände anhand der Hirnaktivität mithilfe von Neurosensorik erfassen, diese implizit über maschinelles Lernen interpretieren und dann intelligent auf die erkannten Nutzerzustände reagieren. Wie kann man sich eine neuroadaptive Technologie praktisch vorstellen?

Neuroadaptive Technologien ermöglichen es, mentale Zustände implizit und kontinuierlich zu messen und so Abweichungen oder Änderungen schnell zu erkennen. Dadurch lassen sich technische Systeme gestalten, die sich an erkannte emotionale und kognitive Zustände anpassen, die Konzentration unterstützen oder personalisiertes Lernen ermöglichen. Außerdem lassen sich kritische Situationen der Mensch-Roboter-Interaktion durch neuroadaptive Technologien schnell entdecken, um eine komfortable und akzeptierte Kollaboration zu gestalten. So kann z.B. der Roboter dem Menschen langsamer Teile anreichen oder gar eine Pause machen, wenn er erkennt, dass der Mensch abgelenkt ist. Erkennt der Roboter jedoch, dass sein menschliches Gegenüber voll konzentriert ist, kann das Tempo entsprechend flexibel erhöht werden.

Menschzentrierte neuroadaptive Technologien lassen sich branchenübergreifend einsetzen

Das Ziel unserer Forschungen ist es, die zunehmende Intelligenz und Autonomie technischer Systeme konsequent auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen auszurichten. Egal in welcher Branche oder in welchem Bereich: Neuroadaptive Technologien lassen sich individuell anpassen und einsetzen. Sie ermöglichen es, Mensch-Technik-Interaktion so zu gestalten, dass sie Spaß macht, weil sie den Menschen unmerklich genau im richtigen Maße unterstützt und weiterbringt. So soll die Technik nicht nur als ein nützliches Werkzeug wahrgenommen werden, sondern den Menschen dazu befähigen, ihm Weiterentwicklungspotenziale zu bieten und bedeutungsvolle, positive Erlebnisse zu ermöglichen. Durch die weitreichenden gesellschaftlichen Implikationen beschränkt sich unsere Forschung hierbei nicht nur auf die technischen Herausforderungen. Denn werden neuroadaptive Technologien im nichtmedizinischen Bereich angewendet, so müssen sie sich konsequent an den Bedürfnissen und ethischen Wertvorstellungen der Nutzer und der Gesellschaft ausrichten.

Die Einsatzmöglichkeiten für neuroadaptive Technologien sind aus meiner Sicht unbegrenzt, ein paar Anwendungsbeispiele, an denen wir schon arbeiten, machen dies deutlich:

  • Intelligente Fahrzeuge, die den Automatisierungsgrad der Fahraufgabe dynamisch an die Aufmerksamkeit, mentale Beanspruchung und Wachsamkeit des Fahrers anpassen
  • Interaktive Lernprogramme, die Tempo und Schwierigkeitsgrad an die kognitiven Fähigkeiten des Nutzers anpassen
  • Neurofeedback-basierte Schnittstellen zur Förderung des eigenen subjektiven Wohlbefindens und Steigerung von Konzentration und Achtsamkeit
  • Personalisierte Internetanwendungen, die affektive Nutzerreaktionen erfassen, um ihre Inhalte sowie Darstellungs- und Interaktionsmechanismen an individuelle Bedürfnisse und Präferenzen anzupassen
  • Kollaborative Roboter, die sensibel auf Emotionen und Aufmerksamkeit reagieren

Wie geht das konkret? Der Demonstrator »MindTrain« macht es vor

Um zu veranschaulichen, wie ein Neurofeedback in der Praxis aussehen kann, haben wir den Demonstrator »MindTrain« entwickelt. Dabei handelt es sich um eine neuartige, gamifizierte Neurofeedback-Trainingsumgebung. MindTrain ermöglicht den Nutzern, die Fähigkeit zu erlernen, ihre Gehirnaktivität mithilfe von Virtual Reality (VR)-basiertem Feedback selbst zu kontrollieren. Die Trainingsumgebung kombiniert das Konzept der impliziten Kontrolle der Hirnaktivität mit einem mobilen EEG-Wearable in einer interaktiven und immersiven VR-Umgebung. Diese erlaubt es, Entspannungs- und Konzentrationszuständen zu trainieren, um das subjektive Wohlbefinden zu fördern.

Wenn Sie wissen möchten, was neuroadaptive Technologien zu Ihrem Geschäftsmodell beitragen können, dann nehmen Sie an unserer Veranstaltung »Interaktion mit Hirn« teil, in der wir menschzentrierte Anwendungen für Mobilität und Arbeitswelt vorstellen und Wege für die Implementierung im Unternehmen aufzeigen.

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Mathias Vukelic

Dr. Mathias Vukelić leitet das Team »Applied Neurocognitive Systems«. In seiner Forschung widmet er sich der Frage, wie digitale Technologien und intelligente Mensch-Maschine-Schnittstellen gestaltet sein müssen, damit Nutzer*innen besser mit Informationen umgehen können – also besser lernen oder bessere Entscheidungen fällen können. Konkrete Herausforderungen und Fragestellungen für ihn sind dabei, wie hoch die kognitive Belastung ist oder gar welche Rolle Emotionen im Umgang mit Technik spielen.

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Kategorien: Digitalisierung, Mensch-Technik-Interaktion
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