Ein provokanter Gedanke zu Beginn: Wenn wir in unseren Städten Kultur und im Besonderen die Nachtkultur nicht konsequenter mitdenken und entwickeln, laufen wir Gefahr im weltweiten Rennen um Fachkräfte mit den großen Metropolen ins Hintertreffen zu geraten. Darauf folgen ganz grundsätzliche Probleme wie eine stagnierende Wirtschaft, drohende Abwanderung und die schrumpfende Stadt. Doch es gibt Wege, diesen Trend umzukehren: Indem wir Klimaschutz und Nachtleben als Synergien entwickeln.

Sie werden jetzt vielleicht denken: »Ein ziemlich düsteres Szenario, das hier heraufbeschworen wird. Denke ich beispielsweise an Stuttgart, ist doch alles ok: Wir haben den Wasen, wir haben das Weindorf und bei meinem Lieblingsitaliener sitzt sich’s ganz wunderbar auf der Terrasse.« – Die Realität ist leider weniger rosig, als es den Anschein hat.

Lebendige Nächte, lebendige Städte: Erhalt urbaner Attraktivität erfordert aktives Handeln

Die »Nachtökonomische Studie der Stadt Stuttgart 2023« offenbart, dass 50 Prozent aller befragten Bars, Restaurants, Kneipen und Clubs akut in ihrem Fortbestehen gefährdet sind. 43 Prozent der Betriebe sind mit Beschwerden und Konflikten (bspw. wegen Lärm) konfrontiert, wobei sich die Anzahl der Beschwerden bei der Gaststättenbehörde in der letzten Dekade mehr als verdoppelt hat.

Diese Zahlen sprechen eine klare Botschaft: Handeln erforderlich, oder es drohen die in der Einleitung beschriebenen Konsequenzen. Dies am besten schnell und unter Umgehung der bisher vorherrschenden, kleinteiligen Konflikte durch positive Zugwirkung innovativer Lösungen!

Abbildung 1: Nachtökologie, Nachtkultur und Nachtökonomie gegenübergestellt (Quelle: Fraunhofer IAO/NE)

Abbildung 1: Nachtökologie, Nachtkultur und Nachtökonomie gegenübergestellt (Quelle: Fraunhofer IAO/NE)

Unsere Vision zur Umkehr des Trends

Genau hier setzen wir mit unserer Vision, geboren aus der Morgenstadt-Initiative des Fachgebiets für Stadtsystemgestaltung mithilfe unseres Partners VibeLab, an: Nichts weniger als die Umkehr des von Konflikten geprägten, kleinteiligen Diskurses durch Schaffen von Synergien mit der Klimapolitik und grüner Stadtentwicklung.

Denn umweltwirksame Maßnahmen sind bereits integraler Bestandteil der Stadtentwicklung und verfügen über etablierte Förderstrukturen. Sie sind gesetzlich vorgeschrieben und in der Praxis unumgänglich, werden jedoch meist nur tagsüber berücksichtigt.

Die Nachtkultur und Kultur im Allgemeinen verfügt über etablierte soziale Netzwerke, wie beispielsweise durch den Nachtbürgermeister in Stuttgart. Die Zeit nach Feierabend lässt auf echte Partizipation und direkteren Kontakt zu Stadtbewohnern hoffen.

Verbindet man beide Welten, so ergeben sich dreierlei Synergien:

  • Die Natur rückt durch Einbindung von Kultur näher an die Gesellschaft, die Kultur wiederum profitiert vom politischen Willen und finanziellen Mitteln hinter der nachhaltigen Stadtentwicklung.
  • Die Stadt als Ganzes profitiert durch effizienteren Einsatz finanzieller Mittel sowie langfristig durch erwartbar gesteigerte Attraktivität.

Auch für privatwirtschaftliche Akteure ergeben sich hierbei neue Möglichkeiten, denn Stadtbewohner sind im Allgemeinen in der Zeit nach Feierabend deutlich besser »erreichbar« und offener für Neues.

Abbildung 2: Vorteile der beiden Sphären ›Grüne Stadtentwicklung‹ und ›Nachtkultur‹ gezielt nutzen, um effektiv die urbane Attraktivität des Stadtsystems zu steigern. (Quelle: Fraunhofer IAO/NE)

Abbildung 2: Vorteile der beiden Sphären ›Grüne Stadtentwicklung‹ und ›Nachtkultur‹ gezielt nutzen, um effektiv die urbane Attraktivität des Stadtsystems zu steigern. (Quelle: Fraunhofer IAO/NE)

Doch wie könnte das konkret aussehen?

Konkrete Ideen I: Grüner Schallschutz

In den letzten Wochen formierte sich unter Anleitung des Fraunhofer IAO ein Konsortium zum »grünen Schallschutz« (s. u.):

Die Idee ist einfach – durch den Aufbau einer grünen, modularen und mobilen Schallschutzlösung in Stuttgart wird eine synergetische Verbindung zwischen urbaner Klimawandelanpassung und Nachtkultur sowie sozialen Bedürfnissen geschaffen:

Die Maßnahme ist klimawirksam und verbessert die Lebensqualität durch Reduktion des Hitzeinseleffekts – tagsüber durch Beschattung, nachts durch Verdunstungskühlung. Sie wirkt positiv auf urbane Biodiversität durch Schaffung eines Insektenhabitats.

Gesellschaftlich positiv und sozialwirksam ist die Maßnahme durch die erhoffte Schallschutzwirkung und damit erhöhter Nachbarschaftsverträglichkeit sowie Möglichkeit der direkten Interaktion mit Kneipen-/Cafébesuchern mit dem Thema Klimawandelanpassung.

Dazu noch skalierbar, modular und mobil. (Bisher allerdings nur eine Idee…)

Abbildung 3: So könnte eine Doppelnutzung für Natur- und Schallschutz aussehen. (Quelle: Erstellt mithilfe von Dall:e/OpenAI)

Abbildung 3: So könnte eine Doppelnutzung für Natur- und Schallschutz aussehen. (Quelle: Erstellt mithilfe von Dall:e/OpenAI)

Konkrete Ideen II: Industrienetzwerk Smart City @ Night

Ebenfalls innerhalb der Morgenstadt-Initiative befindet sich momentan das Industrienetzwerk »Smart City @ Night« im Aufbau. Hier versuchen wir mit privatwirtschaftlichen Akteuren und Städten einen Austausch sowie innovative Pilotprojekte zum Thema auf den Weg zu bringen. Mit dabei sind die Fraunhofer Institute IMW (zukünftig ISI) und IML.

Der Weg nach vorne: Brückenbau am Fraunhofer IAO – mit Ihnen?

Bisher arbeiten wir mit den u. s. Institutionen zusammen. Die dargestellten Ideen sind in enger Zusammenarbeit mit Vibelab entstanden – einer Consultancy für die Zukunft des Nachtlebens, gegründet vom langjährigen Sprecher der Clubcommission Berlin und dem ersten Nachtbürgermeister seiner Art in Amsterdam. Durch Verbindung der Netzwerke in Kultur einerseits sowie in Stadtentwicklung und Fraunhofer-Ingenieurwissenschaften andererseits, lässt uns auf die Entdeckung und Beschreitung bisher noch nicht beschrittener Pfade hoffen – mit Ihnen?

Wenn Sie sich hierfür interessieren oder vielleicht sogar Teil dieser Überlegungen werden möchten, so melden Sie sich gerne.

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Niklas Effenberger

Niklas Effenberger ist ein engagierter Forscher im Bereich der nachhaltigen Stadtentwicklung. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team »Urban Governance Innovation« des Fachbereichs »Stadtsystemgestaltung« des Fraunhofer IAO, widmet er sich dem Wandel von Städten hin zu lebenswerten und ökologisch verantwortlichen Räumen.

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Kategorien: Nachhaltigkeit, Stadtentwicklung
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